Ohne Zweifel betreibt der türkische Präsident eine Politik, die mit den Werten, auf die sich die westliche Gemeinschaft beruft, wenn es darum geht, unliebsamen Regierungen Fehlverhalten vorzuwerfen, wenig zu tun hat. Bei »Freunden« oder gar NATO-Partnern allerdings ist das etwas ganz anderes, auch wenn da eindeutige Despoten das Sagen haben. Weil man das Wohlwollen unseres türkischen Verbündeten bei einem ziemlich zwielichtigen Flüchtlingsdeal braucht, schaut man gern über die seit Monaten eskalierenden militärischen Gewaltakte gegen türkische Staatsbürger kurdischer Abstammung hinweg. Auch der Tod von Frauen und Kindern wird kommentarlos hingenommen. Und dass Journalisten, die ihrer Pflicht nachkommen und kritisch über kritikwürdige Zustände und Aktionen berichten, mit Gerichtsverfahren und jahrelangen Haftstrafen bedroht werden, erzeugt hierzulande bei unseren politischen Eliten, wenn überhaupt, auch nur ein in Ankara kaum wahrnehmbares Stirnrunzeln.
Da geht der türkische Präsident ganz anders zur Sache. Wegen des eigentlich recht harmlosen Liedchens »Erdowie, Erdowo, Erdoğan«, das in der NDR-Sendung »Extra 3« vom 17. März verbreitet wurde, aber nicht nach seinem Geschmack war, ließ er den deutschen Botschafter mehrfach einbestellen. Immerhin, die Liedermacher hatten die Stirn, auf ihre Weise auf etwas aufmerksam zu machen, was unsere obersten Staatsvertreter bislang anzumerken versäumten. Während unsere politische Elite über äußerst kritikwürdige Zustände reaktionslos hinwegschaut, lässt ein Liedchen den türkischen Alleinherrscher zu harschen diplomatischen Maßnahmen greifen. Aber auch das führte zu keiner entschiedenen Reaktion unserer Regierung.
Inzwischen aber gibt es das Böhmermannsche Pamphlet, das die Emotionen im Lande und der halben Welt hochkochen lässt, eine dämliche Zote, die sich normalerweise pubertierende Jungs hinter vorgehaltener Hand auf dem Klo in der Schule erzählen. Allerdings ist auch dieses Machwerk und dessen Verbreitung im ZDF der Tatsache der beharrlichen Schweigsamkeit unserer Regierenden geschuldet. Weil der andernorts Regierende sich von der Knabenklo-Zote aber tödlich beleidigt fühlte, war diese Indifferenz nicht länger durchzuhalten. Er bestand darauf, dass die deutsche Regierung den Majestätsbeleidiger gerichtlich zu belangen habe. Darüber hinaus stellte er selbst Strafanzeige bei einem deutschen Gericht. Dass nicht dieser dumme, zotige Reim ihn lächerlich macht, sondern seine unsouveräne Reaktion darauf, das sagt ihm leider niemand von unseren Oberen. Und so müssen sie nun alle das Spiel mitspielen. Auch unsere Bundeskanzlerin, die Wichtigeres zu tun hätte, lässt sich in diese Schmierenkomödie integrieren, investiert Kraft und Zeit in diese lächerliche Angelegenheit, ohne zu protestieren oder zur Vernunft zu rufen, und beschädigt damit ihr Ansehen und ihre Autorität. Und die deutsche Öffentlichkeit? Sie meint, dass auch Geschmacklosigkeiten unbedingt den Schutz der Meinungsfreiheit genießen müssen. Das obszöne Machwerk wird sogar zur Kunst erklärt, weil es gereimt daherkommt. Satire wäre das Ganze, wird behauptet. Liege ich denn so völlig falsch, wenn ich bei Kunst und Satire immer und unbedingt ein bestimmtes Maß an Geist, Originalität, gern auch Sarkasmus und Witz erwarte? Ich fürchte, dass ich nach all dem, was in dieser Kausa zu vernehmen war, mit meiner Einschätzung völlig falsch liege. Allerdings tue ich das gern und mit Überzeugung.