In den farbig matten und stumpfen Landschaften von Markus Matthias Krüger (1981 in Gardelegen), aus der Vogelperspektive aufgenommenen, ziehen wechselnde Wolkenstimmungen über den Himmel. Mit Blick auf holländische Bilder erläutert der Direktor des Panorama Museums, Gerd Lindner, in seinem Katalogtext, wie Krüger in der Überschau die Landschaft im Wechsel von Feldern, Wiesen und Waldstücken entfalten kann und zugleich zu einer tiefenhaften Perspektive gelangt.
Dass Krüger in Leipzig künstlerisch ausgebildet wurde, war als »glücklicher Zufall« mit den notwendigen Folgen versehen – einer bei ihm fruchtenden Lehre im Grundstudium in Perspektive und Maltechnik bei Wolfram Ebersbach und in der Fachklasse und als Meisterschüler (bis 2013) bei Annette Schröter, einer Schülerin Bernhard Heisigs.
Krügers Kunst ist Teil der Bestrebungen, die Realität mit der holländischen Maxime »naar het leven« ganz »naar het traditie« zu erfassen, und legt in der »anachronistischen« Malweise ein Lob handwerklicher Tugenden nahe und die bedrückende Erkenntnis, dass es vergeblich wäre, zu glauben, die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit könnte erfüllt werden.
Die vom menschlichen Plan organisierte Landschaft zeigte in holländischen Bildern des 17. Jahrhunderts die Harmonie mit dem Land, das dem Meere abgerungen wurde und inzwischen als naturgeworden erlebbar ist. Doch manche Künstler wollen nicht Spuren des Gebrauchten und Vergänglichen vorweisen, sondern den Verlust an Menschlichem. Kürzlich sah ich in der Galerie im Quellenhof Garbisdorf Ingolf Schelhorns (1934–2014) Gemäldefolge »Braunkohle. Dokumentation Breunsdorf«, 1994, deren Tore, Häuserwände, Dächer in ihrer lebendigen Konstruktivität klarmachen, dass ein menschliches Leben in ihnen ausgetrieben, aber noch spürbar ist (Göpfersdorfer Kunstblätter 13). Anders bei Krüger. Dessen Landschaften sind der phantastischen Vorstellung des Künstlers unterworfen: was die Menschen der Landschaft antun, wie sich die Pflanzen in der Landschaft zur Wehr setzen, sich selbst verändern könnten und als »Wildnis« Häuser überziehen. Der Betrachter reagiert auf etwas, dass ihm auf der Bühne des Bildes vorgespiegelt wird. Nicht ein philosophischer Hintergrund ist maßgebend, sondern die künstlerische Absicht: »Mir geht es um ein Spiel mit Kontrasten.« Inmitten der Stille des Abends das zerberstende Flugzeug im Feuerball; die zufällige Bresche im gepflegten Waldstück; die bewaldeten Berge in Pyramidenform. Krügers Idealbild ist rationalistisch geometrischen Formen unterworfen. In der klar kalkulierten Landschaft deuten Rauchfahnen, brennende Bäume, wie plötzlich Katastrophen in die rational bestimmten Alltagssituationen einbrechen. Der technische »Fortschritt« ist nicht umkehrbar, läuft selbstgesteuert weiter – Einflüsse des Science-Fiction-Autors Stanisław Lem, zu dem sich der Künstler bekennt. Beim Gebrauchtwagen im »Wasser« des Flusses, bei der noch stehenden »Esse« oder beim »Strandhaus« als ein neuer Bau am Meer und doch schon Ruine, vielleicht aus Geldgründen nicht fertig geworden, haben Menschen etwas verlassen und aufgegeben: ihr eitles Vorhaben, das nicht mehr effektive Werk, das unnütze, unbrauchbare, in der Natur entsorgte Gerät.
In den großen Bildern Krügers, die das Panorama Museum unter dem Thema »Hortus«, Garten oder Park, präsentiert, könnte als Konzept eine »Domestizierte Natur« oder »Das ideale Weltmodell als Albtraum« ausgemacht werden, wenn zwei »heilige« Haine in mathematisch-geometrischer Form, symmetrisch ins 2 x 3 Meter große Panoramabild gebracht sind. Aber die aufs Geometrische reduzierte Form treibt mythische Vorstellungen des Magisch-Geheimnisvollen ins Nichtige. Ein Bild hat den idealen Begriff »Quader«, 2016, der davon absieht, dass die Verwurzelung der unteren aller sechs Flächen des Quaders nichtig sei, der Wald als Quader nur »obenauf« liegt und leicht vom Wetterschicksal und von den Zwecken der Zeit weggewischt werden kann. Ein »See«, 2015, ist viereckig ausgehoben worden und von Wald umgeben, dessen Bäume in einer Art Quadratnetzverfahren gepflanzt worden sind. Erkennbar sind künstlerische Einflüsse, wie die Wolken, die wie bei Jacob van Ruisdael dahinziehen, oder das See-Viereck, das sein Vorbild in dem von Wolfgang Mattheuer im »Grauen Leipzig« gemalten Bassin am Völkerschlachtdenkmal besitzt.
Äste der Bäume umschlingen sich, ob sie angstvoll den Schutz des anderen suchen oder ob sie voller Stress oder vom Erdmagnetismus getrieben in sich ständig ändernde Richtung wachsen. Der Rain in fünffacher Höhe und Größe besitzt ein Übermaß. Die Natur tritt mit Gewalt, vielleicht genmanipuliert, gegen die Menschen, deren Häuserdächer ein Baum leicht emporhebt wie ein Grashalm die Asphaltschicht.
Im »Irrgarten«, 2015, der den Raum sinnlos teilt, zeigt sich Verschlossenheit und schimmern die mit Ziegelsteinen errichteten Mauern von Dunkelrotbraun bis Weißgelb. Zuerst störte mich, wie Krüger mit immer demselben Mauerverband die Mauern malt. Aber gerade in der stereotypen Wiederholung liegt der Sinn, den seine Kunst mitteilen will. Die Emotion der Sinnleere schafft eine andere Art Mysterium.
Die reichen Sinnbezüge der Tradition fallen in rationalistischer Ernüchterung ab und stoßen zu einem »verlorenen Ort, der etwas Trostloses hat«, vor (Gerd Lindner), in eine seelenlose Einsamkeit und Verlassenheit. So wie Jean Paul das Jüngste Gericht darstellt, wie die Toten den Gräbern entsteigen, um das Gottesurteil zu erwarten; doch sie sehen: Da war aber keiner! – Religiöses ist durch Naturwissenschaft und durch Mathematik ersetzt.
Panorama-Museum Bad Frankenhausen, Am Schlachtberg 9, bis 18.6.17, Di-So 10-18 Uhr, Katalog (Hirmer, 200 Seiten, 25 € im Museum, 39,90 € im Buchhandel)