Erkenntnisse
Die Bundesgeschäftsstelle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) hatte eine Stelle für einen Bundesfreiwilligen (Bufdi) beantragt. Als Antwort traf ein Schreiben des Bundesfamilienministeriums ein, mit dem der Antrag »aufgrund von Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden« abgelehnt wird, denn es sollten das Rechtssystem der Bundesrepublik und die Verfassung geachtet und eingehalten werden. Und das ist mit der VVN-BdA nicht zu machen?
Die Vereinigung der Antifaschisten ist dabei, eine Kampagne »Aufstehen gegen den Rassismus« voranzubringen, die von der VVN-BdA mit Bündnispartnern aus Gewerkschaften, Parteien – auch die Partei der Familienministerin ist darunter – und Jugendverbänden betrieben wird.
Die briefliche Mitteilung erinnert an eine eindringliche Aufforderung des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger, der eine Aufklärungsschrift an die Schulen des Bundeslandes richtete, in der dazu aufgefordert wird, die »verfassungsfeindliche« Losung »Der Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen« nicht mehr zu verwenden, weil sie deutschen Staatsbürgern ein Grundrecht abspreche. Der Vorgang erinnert auch an das KPD-Verbotsurteil. Die durch die Haltung des Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung manifestierte Vorgehensweise gegen Antifaschisten lässt noch manche Überraschungen erwarten. Leider nur böse.
Ulrich Sander
Schöne Ursula
Ach, wie war es ehedem
für Frau Leyen immer schön.
Schmucke Männer – Uniform,
das gefiel ihr doch enorm.
Selber kam sie gern daher
als Jeanne d’Arc der Bundeswehr.
Selbst vor schlimmem Hintergrund
lief es bei ihr durchweg rund.
Jetzt steht unsre Ursula
plötzlich echt belämmert da.
Nazis bei der Bundeswehr?
Ja, wo hat sie das bloß her?
Sie, die sonst nach gar nichts fragt,
hat hier wohl zu viel gewagt.
Weiß man doch: Beim Militär
tun sich Demokraten schwer
Conrad Taler
Doppelleben
Ein Bundeswehroberleutnant versieht ordentlich seinen Dienst und agiert gleichzeitig als syrischer Flüchtling. Wie einst der Hauptmann von Köpenick führte der Offizier die Obrigkeit seit 2015 am Nasenring durch die von ihr geschaffene politische Arena. 890.000 Flüchtlinge strömten in jenem Jahr unkontrolliert nach Deutschland, die meisten davon junge Männer. Da fiel es nicht auf (»Wir schaffen das!«), dass sich in jenem Jahr einer als syrischer Flüchtling ausgab, der kein Wort Arabisch sprach. Jetzt sind alle platt angesichts dieses Doppellebens. Dabei gibt es einen leider völlig vergessenen Fall von ganz anderem Kaliber.
Der Mitverfasser des immer noch führenden Grundgesetzkommentars Maunz/Dürig, Theodor Maunz, hat jahrelang juristisch und politisch ein Doppelleben geführt. Nach außen hin verteidigte er die freiheitliche demokratische Grundordnung, gleichzeitig war er mit einem ihrer schlimmsten Verächter im Bunde, mit Gerhard Frey nämlich, dem Herausgeber eines rechtsradikalen rassistischen Hetzblattes. Als dem Verleger das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit entzogen werden sollte, half ihm Theodor Maunz heimlich mit einem Rechtsgutachten aus der Patsche. Nach seinem Tod rühmte sich die Zeitung damit, dass der Herausgeber mit Maunz »seinen wunderbaren Wegbegleiter« verloren habe, der ein Vierteljahrhundert sein maßgeblicher Berater gewesen sei. Als die Sache aufflog, kehrte die ehrenwerte politische Klasse die Angelegenheit schnell unter den Teppich, wo sie immer noch liegt.
C. T.
Kampf ums Recht
Rechtsfragen sind Machtfragen – das macht Rechtsanwalt Rolf Geffken in seinem neuen Buch deutlich. Der Fall Emmely schien nach geltender Rechtsprechung aussichtslos. Die Berliner Kassiererin hatte sich an Gewerkschaftsaktionen beteiligt und erhielt vom Unternehmen eine Kündigung wegen »Diebstahls« von Flaschenpfandbons im Wert von 1,30 Euro. Die Beschäftigte ging rechtlich dagegen vor. Es gründete sich ein Solidaritätskreis, der bundesweit auf den Skandal aufmerksam machte. Sie verlor beim Arbeitsgericht und beim Landesarbeitsgericht in Berlin und erreichte erst beim höchsten deutschen Arbeitsgericht in Erfurt eine Grundsatzentscheidung zu Unzulässigkeit dieser Kündigung. Ohne gesellschaftlichen Druck durch die Solidaritätskampagne wäre es nie zu dieser Entscheidung gekommen, ist sich der Autor sicher. Es sei das große »Verdienst eines Menschen wie Emmely, ein Beispiel gegeben zu haben und den aufrechten Gang praktiziert zu haben, und es ist das Verdienst all ihrer Begleiter, die sich nicht vom eingeschlagenen Kurs haben abbringen lassen« (Seite 48).
Geffken macht Mut, die eigenen Rechte auch wahrzunehmen. »Es wird keine Solidarität im Großen stattfinden, wenn bereits im Kleinen Einzelne aus Angst um den Arbeitsplatz oder aus (auch von der Justiz geschürter!) Angst vor einem möglicherweise verlorenen Prozess auf eine Rechtswahrnehmung verzichten« (Seite 48).
Das Arbeitsrecht ist immer wieder Angriffen ausgesetzt. »In der Zeit und in Phasen des Faschismus wurde und wird es entweder suspendiert oder sogar militarisiert wie im ›Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit‹ von 1934. Gewerkschaften wurden verboten, kollektive Rechte ganz abgeschafft. Individuelle Rechte nur begrenzt zugelassen: Der Unternehmer ›sorgte‹ von sich aus für die ArbeitnehmerInnen, die ihm aber ›unbedingten Gehorsam‹ zu leisten hatten.« (Seite 174) Heute findet eine »neue Art der Ideologisierung des Arbeitsrechts« statt. Einerseits durch neue Managementkonzepte wie »indirekte Steuerung«. Dabei müssen sich einzelne Arbeitnehmer in eigener Verantwortung innerhalb der Vorgaben direkt dem Kunden gegenüber am Markt orientieren. Ein Beispiel hierfür können Zielvereinbarungen sein. Bei diesen ist nicht »der Weg« das Entscheidende, vielmehr entscheidet der Arbeitnehmer eigenständig, wie das Ziel zu erreichen ist. Dieses beteiligungsorientierte Konzept ist jedoch problematisch, wenn die Ziele zu hoch angesetzt werden. Statt direkten Anweisungen, wie eine Arbeit auszuführen ist, organisieren die Beschäftigten, häufig in Teams, ihre Arbeitsabläufe selbst. Das Arbeitsverhältnis soll zum Verhältnis »Dienstleister gegenüber Kunde« werden, um so scheinbar aus dem Arbeitnehmer einen »Unternehmer im Unternehmen« zu machen. Beschäftigte nehmen bei diesen Konzepten kaum arbeitsrechtliche Ansprüche wahr, sehen kaum Anlass für kollektive Aktivitäten.
Ein weitergehendes Risiko sieht Geffken im vermeintlichen Sachzwang »Digitalisierung«. Technische Neuerungen werden von Unternehmensverbänden als Vorwand genutzt, um massiv gegen das Arbeitszeitgesetz, den Acht-Stunden-Regelarbeitstag und die Zehn-Stunden-Höchstarbeitszeit vorzugehen. Besonders problematisch ist für den Autor, dass die Gewerkschaften sich in »Dialogprozesse« mit Unternehmen und Bundesregierung einbinden lassen. Geffken ruft zum »Boykott diese Dialogs auf« (Seite 177), da er im Vorgehen der Bundesregierung einen »ideologischen Generalangriff auf das klassische Verständnis vom Arbeitsrecht als einem Schutzrecht für Arbeitnehmer« (Seite 176) sieht. Das »Weißbuch Arbeiten 4.0« der Bundesregierung zeigt, wie Recht der erfahrende Jurist damit hat!
Marcus Schwarzbach
Rolf Geffken: »Kampf ums Recht. Beiträge zum komplizierten Verhältnis von Politik, Arbeit und Justiz«, VSA-Verlag, 184 Seiten, 16,80 €
Löcherliches
Früher sah man Hosen mit Löchern nur bei Landstreichern. Heutzutage sind Jeans mit Löchern und Rissen große Mode und werden von Männern ganz gern zu verwahrlosten Bärten getragen. Zum Glück ist diese Mode, bisher jedenfalls, bei den Eliten nicht angekommen. Martin Schulz oder Peter Altmaier mit Hosen, durch deren Löcher man die Beine sieht – unvorstellbar. Nicht wegen der Beine. Aber hämische Nörgler würden womöglich gleich von symbolträchtig reden.
Günter Krone
Bleiben oder gehen?
Die polnische Wochenzeitschrift Polityka stellte jüngst die tabellarisch erfassten neuesten Befragungsergebnisse soziologischer Forschungen unter Jugendlichen zu wichtigen Lebensfragen vor. Befragt worden waren Jugendliche aus sechs Ländern: Deutschland, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn. Die erste Frage zur EU-Mitgliedschaft, »Bleiben oder gehen? Was wäre für dein Land die beste Entscheidung?«, beantworten mehr als 70 Prozent der Jugendlichen aus den »alten« EU-Staaten Österreich und Deutschland mit einem Votum für den Verbleib in der EU. Aus den »jungen« EU-Staaten entschieden sich knapp oder etwas mehr als 60 Prozent der Jugendlichen für das »Verbleiben«. Im Mittel sprachen sich 16 Prozent der Befragten in allen sechs Ländern für ein »Verlassen« aus: neun Prozent der jungen Deutschen, 18 Prozent junger Tschechen und Österreicher, jedoch 14 beziehungsweise 15 Prozent junger Ungarn und Polen und 22 Prozent junger Slowaken.
Auf die Frage »Wie wichtig sind dir die Vorteile, die sich aus der europäischen Integration für die Mitgliedstaaten ergeben?« entschieden sich mehr als 70 Prozent der Befragten aus den »jungen« EU-Mitgliedsstaaten dafür, dass ihnen diese Vorteile wichtig seien, und 80 beziehungsweise 81 Prozent der befragten deutschen und österreichischen Jugendlichen. Für 60 bis 67 Prozent der Jugendlichen spielte dabei die Möglichkeit, in einem anderen Mitgliedsland der EU wohnen und arbeiten zu können, eine positive Rolle, in Polen vertraten diese Ansicht 72 Prozent. Gleichmäßige 61 bis 66 Prozent bewerteten die Studienmöglichkeit in einem anderen EU-Land als Vorteil. Eine geringere Rolle – zwischen 37 Prozent (in Tschechien) und 49 Prozent (in Ungarn) – spielten die Fördergelder der EU für schwachentwickelte Mitgliedsländer (Strukturfonds). Starke Unterschiede zeigen die Antworten auf die Frage nach der Grenzöffnung für politisch Verfolgte oder Flüchtlinge aus Ländern mit militärischen Konflikten. Im Mittel vertraten 59 Prozent aller Befragten die Ansicht: »Mein Land soll keine Flüchtlinge aufnehmen!« 26 Prozent der befragten deutschen und 39 Prozent der befragten österreichischen Jugendlichen wollen keine Flüchtlinge aufgenommen sehen, 70 Prozent der tschechischen, 72 Prozent der ungarischen, 73 Prozent der polnischen und 75 Prozent der befragten slowakischen Jugendlichen sprachen sich gegen eine Flüchtlingsaufnahme aus.
Gerd Kaiser
Nach Tabellen in: Polityka, Warschau, Tygodnik (Wochenzeitschrift), Heft 14 / 5.-11.4.2017, Seite 26-28.
Theater und der Rest der Welt
Nun hat die postmostmoderne Unverbindlichkeit, derer sich die etablierten Theater für Erwachsene seit Jahren befleißigen, leider auch heftig nach den Kinder- und Jugendtheatern gegriffen.
AUGENBLICK MAL!, biennales Festival des Theaters für Heranwachsende, gibt es seit zwanzig Jahren, immer wieder in Berlin. In diesem April hatte es unter fünf Aufführungen für Kinder und fünf für Jugendliche sowie drei ausländischen Gastspielen genau drei Inszenierungen nach Textvorlagen aufzuweisen. Zwei davon entstanden nach Prosatexten, zu sehen war ein einziges für Kinder geschriebenes Theaterstück. Die restlichen zehn Darbietungen bewegten sich – nonverbal und verbal – in dramatikfreien Räumen: Tanz, Akrobatik, Musik, Gespräche … Adoleszente Körpererfahrung, Genderbestimmung (wie hoch haben Männer zu pieseln), Konzert mit angehängter charmanter, absurder Beziehungskiste, theatralische Reflektion der Erinnerungen von Mitwirkenden – kurz: Performance allerorten. Nun ist gegen die Erprobung der vielfältigsten szenischen Möglichkeiten nichts einzuwenden. Nur: Wenn die Selbstfindung, Selbstspiegelung der Macher überwiegt und wenn die Darstellung von Vorgängen zwischen Leuten dahinschwindet, dann bleibt irgendwann die Potenz des Mediums Theater auf der Strecke und der Rest der Welt außen vor … Deine Sache wird verhandelt – das ist es, was die soziale Funktion und den besonderen Reiz des Theaters von seinem Beginn an ausmacht: Entwürfe alternativer Räume, in die einzutreten ich, der Zuschauer, eingeladen bin.
Der Rest der Welt kommt schon noch vor: TIGERMILCH (nach Stefanie de Velasco, Fassung und Regie Catharina Fillers, Comedia Theater Köln). Die Dekoration: ausgediente Kühlschränke vor Projektionen von Neubaublöcken, eine kalte Welt; zwei Vierzehnjährige auf dem Weg ins Leben, eine bio-deutsch, eine aus dem Irak, im Asylverfahren … Ihre Freundschaft ist eng und existenziell: Neugier auf Sex, erster Suff, Scheu vor Gefühlen, Selbstfindung auch hier. Aber eben nicht nur. Unsere Heldinnen leben in einer prekären multiethnischen, sehr konkret gegenwärtigen Welt, sie müssen mit dem Scheitern der Erwachsenen fertig werden, begegnen Gewalt und Mord, sie nehmen den Krieg draußen wahr und finden ihn »Scheiße«. Am Ende wird die eine abgeschoben, die andere schwört, sie zu besuchen, sie zu besuchen, sie zu besuchen … Wird nie das Geld dafür haben. Nadja Duesterberg und Sibel Polat spielen die beiden und auch mal andere Figuren. Und kommunizieren mit uns, den Zuschauern, als Partner. Unsere Sache wird verhandelt, uns bricht das Herz. Selten so gelacht – selten fast geweint. Eine wunderbare Inszenierung voller Poesie und Kraft. Na also, geht doch!
Katrin Lange
Die nächsten Vorstellungen: 13. und 14. Juni, Comedia Theater Köln
Valentino Parlato (1931–2017)
So etwas kann man wohl nur noch in Italien erleben.
Valentino Parlato, ein als freidenkender Kommunist bis zum Tode aktiver Intellektueller und seit vielen Jahrzehnten einer der brillantesten Journalisten der noch immer unorthodox »kommunistischen« Tageszeitung il manifesto, hat – nun plötzlich im Sarg liegend – zumindest in jenen Stunden des ihm gewidmeten Gedenkens am 5. Mai die zersplitterte italienische Linke in seinem Geiste vereint, wie einer der Trauerredner mit beklemmender Ironie feststellte. Alle waren sie gekommen, Politiker aus der alten PCI und den diversen Folgeparteien, Kollegen aus verschiedensten Medien und viele seiner Leser und Freunde aus allen Milieus. Ein großes Blumenkissen vor dem mit der PACE-Fahne bedeckten Sarg stammte von seinem alten Bäckerladen um die Ecke, aus der Via dei Serpenti.
Der ehrwürdige historische Saal der Protomoteca auf dem römischen Kapitolshügel hatte sich zwischen 15 und 19.30 Uhr mit Hunderten von Menschen gefüllt, zusammengekommen aus ganz Italien und Europa, um Valentino Parlato, dem Mitbegründer des legendären Manifesto-Kollektivs (nach dessen Ausschluss aus der PCI, 1969) und der 1971 daraus hervorgegangenen gleichnamigen Tageszeitung, zum letzten Mal nahe zu sein und die Ehre zu erweisen.
Denn Valentino, wie ihn alle nennen, war – bei aller Schärfe seiner Überzeugungen – ein sanftmütiger Mensch, der die Gabe der Freundlichkeit besaß und die der Offenheit gegenüber auch Andersdenkenden. Er war wie viele Große jemand, der sich selbst nicht so ernst nahm, selbstironisch und großzügig, ein »vero uomo gentile«, was der Begriff Gentleman kaum fasst.
Wie vielgeliebt er war, geht auch aus den Hunderten von Zuschriften und Artikeln hervor, die in den letzten Tagen die Seiten des manifesto füllten und Zeugnis davon ablegen, wie tiefe Spuren er im Leben, in den Köpfen und Herzen ungezählter Menschen hinterlassen hat.
Das liegt wohl auch daran, dass il manifesto über lange Jahre mehr als nur eine Zeitung war, nämlich auch eine Art politischer Ankerplatz für viele inzwischen heimatlose Linke. Die große Stärke des Blattes lag in seinem geistig anspruchsvollen kritischen Blick auf die Gegenwart, in seiner Bereitschaft, sich dem ideologischen Mainstream zu widersetzen und immer laut zu sagen, »was ist«. Die Fähigkeit dazu war stark an die alte Gründergeneration gebunden, die 2012 abgetreten ist, und von der jetzt nur noch die beiden großen Damen der unorthodoxen Linken, Rossana Rossanda und Luciana Castellina, im hohen Alter noch aktiv sind. Letztere hat mit ihrer Autobiografie »Die Entdeckung der Welt« (Laika, 2016) einen weiteren Blick auch auf die komplexe Geschichte der italienischen Linken ermöglicht (s. Ossietzky 17/2016, S. 627). Rossandas Schriften liegen seit Jahren großenteils auch auf Deutsch vor (zuletzt ihre Autobiografie: »Die Tochter des 20. Jahrhunderts«, Suhrkamp, 2007). Wie auch Lucio Magris letzte desillusionierte Reflexionen mit dem Brechtschen Titel: »Der Schneider von Ulm« (Argument, 2015, s. Ossietzky 8/2016). Aber bereits aus dem Jahre 2003 stammt die kurz vor seinem Tode von dem großen Luigi Pintor lapidar formulierte Einsicht: »Die italienische Linke, die wir kennen, ist tot ... Sie ist als Handelnde von der politischen Bühne abgetreten«, die die heutige Situation kennzeichnet.
Trotz alledem gehörte Valentino zu denen, die nicht aufgeben, die uns – wie noch in seinem letzten Leitartikel – auffordern, die Bedingungen unserer Gegenwart weiterhin zu erforschen und zu studieren, denn nur auf der Basis einer genauen Analyse kann man überhaupt Wege zur notwendigen Veränderung der Verhältnisse finden.
Susanna Böhme-Kuby
Lesehinweis: »Weimar auf Italienisch«, ein Interview von SBK mit Valentino Parlato, In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2008, Seite 59-72
Zuschrift an die Lokalpresse
Wie ick in de ARD-»Taresschau« jehört und in de Bild am Sonntag nachjelesen habe, hat unser Innenminister de Maizière zehn Thesen erfunden, die unsere deutsche Leitkultur jenauer festmachen soll‘n. Also, ick finde det jut, dass er sich seine Schöpfung jrade fürs Lutherjahr uffjehoben hat. Der Luther hat zwar vor schlappe 500 Jahre een paar mehr Thesen an de Schlosskirche zu Wittenberch jenarelt, beinah‘ hundert, aba vielleicht falln dem Minista nachträchlich ooch noch een paar mehr ein. Die Sache mit die Thesen is ‘ne jute alte Tradition. Sowat Ähnlichet stand ja schon im Alten Testament, da hieß et aba noch »Jebote«. Und später bei Walter Ulbricht nannte sich det ooch so ähnlich, nämlich »Jebote der sozialistischen Moral«. Und dass dem Spitzbart jrade mal noch janze zehn Rejeln einjefall‘n sind un nich eene einzije mehr, det wird wohl mit die Mangelwirtschaft in die DDR zu tun jehabt ham, da warn ja die Näjel zum Anpinnen imma knapp. Daran kanns ja nu heutzutare nich mehr liejen. Aba nu fallen alle über unsern Minister her und fraren, wat eijentlich mit unser‘n Jrundjesetz is oda ob sich det damit erledicht hat mit die »Würde« in Artikel 1 oder die »Freiheit« in Artikel 2 un sowat allet. Da kommt unsa Minista janz scheen in de Bredullje. Und da sachter, det er ja nich nur Minister is, sondern ooch Mensch und Bürjer, und da kann er sich doch Jedanken machen über »die innere Verfasstheit unseres Landes« und die bundesdeutsche »Leitkultur«. Da jeben aba unsre Meckerköppe imma noch keene Ruhe un wolln wissen, ob det Jrundjesetz wenigstens noch für die Muslime und die mit die Burkas un die andern Jlaubensbrüder weita jüldet. Dabei jeht et doch mehr um so ‘ne Art Benimm-Rejeln. »Wir geben uns zur Begrüßung die Hand«, sacht der Minister. Und: »Wir zeigen offen unser Gesicht.« Det wird ja manchmal in de öffentliche U-Bahn oder nachts uffn schummrijen Alex falsch vastanden, und die Erste Hilfe hat dann ihr Tun. So isset aba nich jemeint, und det musste mal jesacht wer`n. – Traugott Knirrschke (67), Teilzeit-Rentner, 13503 Berlin-Heiligensee
Wolfgang Helfritsch