Die Verfolgung geostrategischer Machtinteressen schafft keinen Frieden, sondern Krieg. Maßgebliche US-Politiker fordern einen Regime Change im Iran: Wäre die Forderung umkehrbar? Wenn sich der Iran von den USA bedroht fühlt, könnten dann die iranischen Machthaber den Vereinigten Staaten einen Regime Change androhen? Naive Frage, die aber zeigt, dass das internationale Regelwerk zur Vermeidung und Ächtung von Kriegen und zur Sicherung der Menschenrechte Makulatur ist. Es gilt das Recht des Stärkeren.
Die USA treiben die globale Eskalation zum Krieg voran. Ihr verlässlichster Verbündeter im Nahen Osten ist Israel. Als gäbe es kein Völkerrecht und keine UN-Charta, treiben beide die Spirale politischer Drohungen und militärischer Angriffe voran. Man vergleiche die Präambel und die ersten Artikel der Charta der Vereinten Nationen von 1945 mit der Realität im Nahen und Mittleren Osten: Der Gegensatz könnte krasser nicht sein. Stehen US-Präsident Donald Trump und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zusammen mit ihren Ministern und Sicherheitsberatern Mike Pompeo, John Bolton oder Avigdor Lieberman über dem Völkerrecht? Sind Menschenrechte für sie eine lästige Nebensächlichkeit? Beobachter warnen, diese Extremisten betrieben eine Politik, die ungewollt zum Krieg führen könne. Sie irren: Die Genannten wollen den Krieg.
Der gemeinsame Feind der beiden Mächte im Zusammenwirken mit Saudi Arabien ist der Staat Iran. »Es gibt nur eine Lösung: Wir müssen das Regime (im Iran, G. R.) austauschen. Deshalb werden wir noch vor 2019 zusammen in Teheran feiern!« Der das Mitte 2017 vor versammelter Menge ruft, ist der inzwischen zum Nationalen Sicherheitsberater der USA ernannte John R. Bolton (»Flächenbrand im Mittleren Osten: heute Syrien, morgen Iran?« Monitor, 19.4.2018). Ganz ähnlich nennt der neue Außenminister Mike Pompeo ebenfalls Regime Change als Ziel, ungeachtet des Willens der Bevölkerung oder der Konsequenzen eines Krieges. Seine ersten Auslandsbesuche führten ihn nach Saudi Arabien und Israel. Das israelische Parlament hat kürzlich dem Regierungschef und dem Verteidigungsminister das Recht zugestanden, militärische Operationen zu befehlen und einen Krieg zu erklären – auch ohne Zustimmung des Parlaments und des Kabinetts. Es scheint nur noch darum zu gehen, wie man den Feind so provozieren kann, dass seine Reaktionen als Vorwand für den entscheidenden Schlag dienen können. Israel befindet sich schon im Krieg: Das Militär startet immer wieder Luftangriffe auf iranische Stellungen in Syrien. Wie lange wird und kann sich das die iranische Regierung gefallen lassen?
Netanjahu veranstaltete ein ebenso lächerliches wie abstoßendes Medienspektakel mit angeblichen Massen von Beweisen zum iranischen Atomprogramm. Mit der Schau hat er aber den Bogen überspannt, auch die Verbündeten fanden die Lügen gar zu offensichtlich und peinlich. Von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) über Waffenkontrollexperten und internationale Medien bis zur EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini – alle meldeten erhebliche Zweifel an über die »Zirkusnummer« (Waffenkontrollexperte Jeffrey Lewis). Sogar der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warf Netanjahu Täuschungsmanöver vor, mit denen die USA zur Kündigung des Atomabkommens mit Iran bewegt werden sollen. Wenn man bedenkt, dass es bei der Lügenshow des Premierministers nicht um eine Lappalie geht, sondern um Anstiftung zum Krieg und um das Leben von Millionen Menschen, erscheint die Reaktion iranischer Offizieller geradezu besonnen.
Die Lage im Nahen Osten ist so brisant, dass jede weitere Eskalationsstufe zu einem Flächenbrand, zu einem Krieg in der ganzen Region führen kann. Der Krieg Saudi Arabiens gegen Jemen, der auch mit »unseren« Waffen geführt wird, die entsetzlichen Schlachten in Syrien, der Einmarsch des NATO-Staates Türkei ins syrische Afrin, der jetzt zusätzlich für Zerstörung sorgt, die taktische Instrumentalisierung islamistischer Kampfgruppen, die mal aufgerüstet, mal bekämpft werden, die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt von Israel, die Bomben der Koalition der Willigen – USA, Großbritannien und Frankreich – auf Ziele in Syrien nach einem angeblichen (und wie Experten inzwischen feststellten gefaketen) syrischen Chemiewaffenangriff – Lügen und Kriege in rascher Folge heizen die angespannte Lage an. Die Großmächte und ihre jeweiligen Verbündeten kennen keine Menschenrechte, längst ist ihnen das Völkerrecht oder die UN-Charta ein lästiges Papier, das man rasch und schmerzlos in die Tonne treten kann. Die Völker werden zu kleinen Schachfiguren auf dem Spielbrett der großen Player. Menschenleben zählen nur insofern, als sie den eigenen Interessen dienen.
In diesem Chaos verbrecherischer Kriegspolitik ohne Menschlichkeit müssen wir keine ohnmächtigen Zuschauer einer zwangsläufigen Eskalation zum Krieg bleiben. Herausforderungen für Engagement gibt es genug. So liefert Deutschland trotz gegenteiliger Bekundungen Waffen in Spannungsgebiete und an Länder, die völkerrechtswidrige Angriffskriege führen: Saudi Arabien, Türkei, Israel oder Ägypten. Es sind gewichtige Gruppen und Institutionen, die jede Schmälerung ihrer Profite und Interessen zu verhindern trachten: vor allem die Bundesregierung mit ihrer Gier nach Rohstoffen und strategischen Einflusszonen einerseits und die hiesigen Rüstungskonzerne andererseits. Jede Hoffnung auf Einsicht und humane Beweggründe dieser Akteure ist vergeblich und schafft nur Illusionen und Enttäuschungen.
Eine Bewegung gegen den Krieg muss von unten kommen, wir können uns dabei nicht auf Regierungen verlassen – ganz im Gegenteil, wie wir erleben. Solange es nicht gelingt, den Druck auf die Profiteure zu erhöhen, wird die Kriegsgefahr wachsen. Die Bellizisten, die Angriffskriege vorbereiten und führen, gehören vor den Internationalen Strafgerichtshof. Da von offiziellen Instanzen eine Anklage nicht zu erwarten ist, sollte wenigstens ein Tribunal zur Untersuchung der Verbrechen veranstaltet werden; es könnte die Weltöffentlichkeit aufrütteln. Afrin, Jemen, Palästina – Themen gibt es leider genug. Darüber hinaus haben alle die Möglichkeit, an Aktionen gegen Kriegsvorbereitungen, Kriege und Atomwaffen teilzunehmen, etwa in Ramstein (vgl. Aktionen Stopp Air Base Ramstein) oder bei der bundesweite Initiative »Frieden geht« (https://www.frieden-geht.de/). Und nicht zu vergessen: 122 UN-Mitglieder haben sich auf ein Atomwaffenverbot verständigt. Aber die NATO-Staaten sind nicht dabei. Zur US-Kündigung des Atomabkommens mit Iran sagt ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons): »Die Kündigung des Abkommens ist völlig verantwortungslos und erhöht die Gefahr eines Atomkriegs.« Höchste Zeit, dass Deutschland dem UN-Atomwaffenverbot beitritt.