Die Brüder Grimm kannten »goldgierige« Könige, das Rumpelstilzchen half Stroh zu Gold spinnen. Hier und heute (im Hamburger Schauspielhaus) ist es der Investmentbanker Robert Merkin, ein Junk-Bond-Trader, dessen Vorbild Michael Milken das Time Magazine als »America‘s alchemist« auf die Titelseite brachte. Nicht aus Stroh, aus Schulden machte er Gold – oder Geld. Strohmänner waren behilflich. Was wir sehen: »Junk«, ein Stück über die Finanzwelt von Ayad Akhtar – schon seine dritte deutschsprachige Erstaufführung an diesem Theater, das jetzt einige Monate wegen eines Umbaus schließt. Regie führte Jan Philipp Gloger. Das Bühnenbild (Marie Roth) besteht nur aus einer Wand, wie aus Stahlplatten montiert. Davor sitzen die Akteure aufgereiht, sie werden durch Spotlights hervorgehoben, einzeln und in Gruppen. Oder das Licht wird ihnen entzogen – wie das Zuschlagen einer Tür. Langweilig? Nein, obwohl fast nur gesprochen wird über schwindelerregend hohe Summen und 17 Prozent Zinsen, alles durch Junk-Bonds (Schrott-Anleihen) möglich. Robert Merkin (Samuel Weiss) ist der Revolutionär – mit Hosenträgern –, der die Finanzwelt grundlegend verändert und es fast selbst nicht glauben möchte, wie aus Schulden so einfach Millionen werden.
Das Stück geht zurück ins Jahr 1985, da begann der Run auf diese, eigentlich wertlosen, Papiere. Und die feindliche Übernahme von Firmen durch »Heuschrecken«, die meist von der Branche keine Ahnung haben. Vorgeführt im Stück am Beispiel eines gar nicht so maroden Stahlunternehmens der USA, hier Everson Steel genannt. Der Vorstandschef Thomas Everson (Ernst Stötzner), im grauen Anzug mit Weste, passt nicht mehr in die heutige Zeit. Er begreift nicht, was mit seiner Firma geschieht, kommt immer wieder auf die gute Tradition zurück, auf Vater und Großvater. In seiner Ansprache an die Belegschaft beteuert er, doch nur die Arbeitsplätze retten zu wollen – sich anbiedernd, mit gelbem Helm in der Hand. Sein Investmentbanker und die junge Anwältin, Harvard-Absolventin, sie reden hier für ihn unverständliches Zeug. Der Satz von Everson: »Es gehört mir doch« – sein Unternehmen, das er rückkaufen soll. Er versteht nichts mehr und wird vom Spotlight ausgeblendet. Firmenübernahmen – es beginnt erst. Und die Heuschrecken reden und reden, auch ins Telefon. Manchmal explodieren sie, gehen die Wände hoch – vor Wut oder Begeisterung. Besonders die windigen Arbitragehändler, die schon äußerlich herausfallen mit schwarzer Lederkluft oder mal halbnackt, die mit Sexismen um sich werfen oder in die Fäkalsprache wechseln, um dem Druck etwas entgegenzusetzen – sie sind die geldgeilen Kulis.
Robert Merkin, der Junk-Bond-Chef, hält die Fäden in der Hand – alles scheint möglich. Die Investoren schieben ihm das Geld tonnenweise rüber, Schulden auf etwas, das ihm nicht gehört – wer das sagt, unklar bei dem Gewirr von 15 Mitwirkenden aus der Bankenwelt. Geplänkel unter den Bänkern, sie plaudern über »jüdischen« Tee und »Matzenbrei« und über Merkin: »Dann verseucht der Shylock das ganze Land.« Üblicher Konversationsantisemitismus. Alles so leichthin gesagt, als sei das selbstverständlich. Merkins Frau Amy, als »Bilanzgenie« vorgestellt, sie reißt ihn immer wieder aus einer Lethargie heraus, baut ihn auf: »Du musst stark sein.« Irgendwann geht das schief, der Staatsanwalt schaltet sich ein. Aber er will in der Politik Karriere machen – er ist käuflich. Für ein Bürgermeisteramt braucht er Spenden für den Wahlkampf. Zwei kurze Jährchen Gefängnis für den Revolutionär des Bankensystems Merkin müssen reichen.
Die Journalistin Judy Chen schreibt ein Buch über diese Affären und quetscht den Finanzmagnaten Leo Tresler (Götz Schubert) für ihre Zwecke aus – wie sie glaubt. Er versucht anbiedernd schmierig sie mit seinen Millionen zu blenden, primitiv anzumachen. Zum Schluss schafft er es, dass sie auf die Veröffentlichung verzichtet. So viel Geld hätte sie nie durch ein Buch verdient. Die Rückwand der Bühne hat sich in die Schräge gestellt – die einzelnen Blätter des Manuskripts, sorgsam ausgewählt, fallen übereinander, unbeachtet, vergessen.
Inzwischen sitzt Robert Merkin im Gefängnis und beginnt gleich damit, seinem unwilligen Bewacher vorzurechnen, was er anlegen kann – auch ohne Anzahlung. Und leise zu sich selbst: »Das müssen wir nur noch der ganzen amerikanischen Bevölkerung verkaufen.« Und enthusiastisch: »Klingt perfekt.«