Thüringer AfD-Schiedsgericht. – Sie haben mitgeteilt, dass der Antrag des Bundesschiedsgerichts Ihrer Partei, auf Ausschluss Ihres Führers Höcke, abgelehnt wird. Man hatte höhernorts befürchtet, die berüchtigte höckesche »Dresdner Rede« zur »dämlichen Bewältigungspolitik« und der geforderten »erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad« wäre nicht statutengerecht. Sie aber stellten fest, dass es »eine Wesensverwandtschaft Höckes mit dem Nationalsozialismus« nicht gäbe Wir wollen keinesfalls spekulieren, womit AfD-Schiedsgerichte ihrem Wesen nach verwandt oder nicht verwandt sind. Wir stehen einfach nur stramm und staunen.
Karl-Marx-Büste von Fritz Cremer, einst versenkt. – Aus einem gewissen Anlass heraus wurden Sie kürzlich aus der Grube geholt und im Hof der Rudolstädter Bibliothek aufgestellt. Nun wenden Sie dort der benachbarten Superintendentur den Rücken zu. Das wird von ortsansässigen Kirchen-Gliedern heftig kritisiert. Was aber wäre, wenn Sie in Richtung Kirche schauten? Wäre nicht das erst ein wirklicher Kirchen-Affront?
Tinder, manchem unverständlich. – Sie sind eines dieser hübschen neuen Wörter, mit denen zwei Millionen Menschen in Deutschland etwas anfangen können. Für die anderen wollen wir mal ein paar heimische Übersetzungen versuchen: Anmachen. Sich gesellschaftlich verankern. Poussieren. Adressen tauschen. Rumkriegen. Um die Häuser ziehen. Äugeln. Sich wichtigmachen. Flirten. Netzwerken.
Fußball-Fans gegen rechts. – Ihr habt beim Spiel FC Bayern München gegen FC Sevilla im April mit großen Transparenten in der Südkurve des Münchner Stadions den KZ-Überlebenden und jahrzehntelang aktiven Münchner Antifaschisten Martin Löwenberg geehrt, der am Ostermontag gestorben ist. Oben Löwenbergs Satz, mit dem er dazu aufrief, sich einem Neonazi-Aufmarsch in den Weg zu stellen (wofür er dann verurteilt wurde): »Es kann legitim sein, was nicht legal ist.« Darunter: »Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg! Ruhe in Frieden, Martin Löwenberg«. Was für ein unglaubliches Bild! Was für eine tolle Aktion! Danke!
Oliver North, kundiger Waffenlobbyist. – Mit Ihnen gelangt ein früherer US-Offizier und Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats nun an die Spitze der National Rifle Association (NRA). Sie haben schon in den 1980er Jahren bewiesen, dass Sie fähig sind, zahlungskräftige Kunden mit Waffen zu versorgen. Laut späterem Geständnis halfen Sie, den Erlös aus dem Waffenverkauf heimlich zur Finanzierung rechtsgerichteter Aufständischer in einem anderen Staat einzusetzen. Verständlich: Ein solcher Vorlauf prädestiniert Sie geradezu für die Tätigkeit als Kopf der US-Waffenhalterlobby.
Heiko Maas, Supergau der deutschen Diplomatie. – Mit der Erklärung »Deutschland ist machtlos gegenüber US-Sanktionen« reagierten Sie auf die ultimative Drohung des neuen US-Sicherheitsberaters John Bolton, alle Firmen zu bestrafen, die ihre Geschäfte mit dem Iran fortsetzten trotz Präsident Trumps Aufkündigung des Atomabkommens. »Machtlos« ist demnach Ihre SPD-Formel für Kanzlerin Merkels »alternativlos«. Damit erweisen Sie sich als ausgesprochen einfalls- und rückgratlos. Sie sollten Namen und Adresse auf Ihre Schuhsolen schreiben, damit man weiß, wo Sie zu erreichen sind, wenn Sie grad mal wieder den Machthabern in Washington eine Rektalvisite abstatten.
Heribert Prantl, Staatsanwalt a. D. und Ressortchef Meinung der Süddeutschen Zeitung. – Sehr deutlich kritisieren Sie in der SZ-Ausgabe vom 11. Mai die Entscheidung Ihrer Zeitung, die Berichterstattung über die Münchner Demonstration vom Vortag gegen das geplante neue bayerische Polizeiaufgabengesetz in den Lokalteil zu verbannen. Das bayerische Gesetz, das der Polizei erlauben soll, uns alle als potentielle Terroristen zu behandeln, »ist nicht bloß eine bayerische Angelegenheit«, schreiben Sie auf der Kommentarseite. »Es ist unter der Ägide von Horst Seehofer, dem jetzigen Bundesinnenminister, produziert worden. Es soll als ›Musterpolizeigesetz‹ bundesweit Geltung erlangen. Das wäre fatal, weil es im Namen des Rechts den Rechtsstaat mürbe macht.« Die weit über 30.000 Demonstrant*innen – dreimal so viel wie erwartet – zeigten, dass sie das verstanden haben. Und Sie haben völlig recht: Es hätte der SZ gut angestanden, dieses positive Zeichen nicht zu einem lokalen Ereignis herabzustufen, sondern durch ausführliche Berichterstattung auf Seite 3 seine – bundesweite – Bedeutung bewusst zu machen.
Robert Schwegele, Demonstrant gegen die Neufassung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes. – Zur Demo am 10. Mai in München kamen Sie mit einem Schild »Big Söder is watching you«, und Sie erklärten gegenüber der tz: »Wir sind alle grundverdächtig, so kann man sich nicht mehr freifühlen. Und das, obwohl die Kriminalität in Bayern abnimmt. Trotzdem kommt so ein massives Gesetz – das kann ich nicht verstehen.« Offensichtlich geht es ja auch gar nicht um wirkliche Kriminalität. Sondern darum, dass als kriminell behandelt wird, wer weiter denkt als die CSU erlaubt.
Heinz-J. Bontrup, kein Mainstream-Professor. – Es wäre »ein Missverständnis zu glauben, dass politisches Engagement nur dann legitim sei oder vielmehr nur auszeichnungswürdig sei, wenn es der aktuellen Mehrheitsmeinung – dem Mainstream – entspricht«. Diese Aussage findet sich im Grußwort des Landrats Olaf Schade anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Sie. Und so hat Ossietzky erneut Anlass zu gratulieren und ergänzt die Liste der Ordensträger unter seinen Autoren um Ihren Namen. Demokratie lebe vom Widerspruch und davon, dass Politik nicht alternativlos sei, betonte Schade. In der offiziellen Begründung zur Auszeichnung heißt es: Bontrups Tätigkeit »dient … im besten Sinne der ›ökonomischen Alphabetisierung‹ breiter Bevölkerungskreise«. Wir empfehlen das von Ihnen und Mohssen Massarrat verfasste »Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit« (Ossietzky-Sonderdruck Mai 2011) allerdings nicht nur breiten Bevölkerungskreisen, sondern vor allem Entscheidern in Politik und Wirtschaft. Da gibt’s noch ökonomischen Alphabetisierungsbedarf.