Feindselige Einstellungen gegenüber Asylsuchenden, Muslimen, Ausländern und Langzeitarbeitslosen haben sich in Deutschland auf hohem Niveau stabilisiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Studie mit dem programmatischen Titel »Verlorene Mitte – feindselige Zustände«. Mit der alle zwei Jahre durchgeführten Bevölkerungsbefragung wollen die Autoren nach eigenen Worten herausfinden, wie weit »rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen tatsächlich in die Mitte der Gesellschaft eingedrungen« sind. Allerdings sieht sich die Studie – durchaus berechtigter – Kritik an manchen ihrer Fragestellungen und Interpretationen ausgesetzt.
Der Aussage »Es leben zu viele Ausländer in Deutschland« stimmen 24,9 Prozent bis 35 Prozent der Befragten zu (beim niedrigeren Wert hatten die Befragten die Möglichkeit, »teils/teils« zu antworten, beim höheren Wert mussten sie sich deutlicher positionieren). Ausländer »zurückschicken«, wenn die Arbeitsplätze knapp werden, wollen hingegen »nur« 10,5 bis 18,7 Prozent. Wenig überraschend ist, dass dieser Wert bei AfD-Anhängern auf 59 Prozent steigt.
Auch antimuslimische Einstellungsmuster sind weit verbreitet: »Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land«, finden 30,3 bis 34,9 Prozent. 16,5 bis 28,6 Prozent geben an, »Probleme« damit zu haben, »wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten«, und gar 26,3 bis 36,5 Prozent finden, »Sinti und Roma neigen zu Kriminalität«.
Noch stärker als rassistische Einstellungsmuster scheinen sozialdarwinistische verbreitet zu sein: »Die meisten Langzeitarbeitslosen sind nicht wirklich daran interessiert, einen Job zu finden«, wird von 38,1 bis 50,6 Prozent unterschrieben, die Aussage »Ich finde es empörend, wenn sich die Langzeitarbeitslosen auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen«, gar von 50 bis 63,8 Prozent. Das sei, so die Autoren der Studie, »der höchstgemessene Wert, seit dieses Element im Rahmen der Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit erhoben wird.«
Während negative Einstellungsmuster gegenüber Muslimen und Asylsuchenden in Ostdeutschland besonders stark verbreitet sind, verteilt sich die Abwertung von Langzeitarbeitslosen auf Ost wie West gleichermaßen.
Interessant ist, dass – entgegen einem beliebten Darstellungsmodus in Massenmedien, die gerne prekär Beschäftigte als Kronzeugen vorführen, die gegen Langzeitarbeitslose hetzen – die Studie zu einem deutlich abweichenden Ergebnis gelangt: Die höchste Abwertung manifestiert sich bei Menschen aus der mittleren Einkommensgruppe mit 55,4 Prozent, während jene aus der schwächeren Einkommensgruppe zu 39,6 Prozent zustimmen. Offenbar wissen ärmere Leute doch genauer, dass Langzeitarbeitslose auf Hartz-IV-Niveau keineswegs ein bequemes Leben führen.
Bei all diesen erschreckenden Werten mag es verwunderlich scheinen, dass Demokratie und Menschenwürde trotzdem hohe Zustimmungswerte erfahren: »Es ist unerlässlich, dass Deutschland demokratisch regiert wird« finden 86,3 Prozent der Befragten, und sogar 92,6 Prozent möchten, dass »die Würde und Gleichheit aller an erster Stelle« steht. Man muss wohl konstatieren, dass dies häufig nur Lippenbekenntnisse sind, die schnell vergessen werden, wenn es konkret um Asylsuchende, Arbeitslose oder andere zu Feindbildern aufgebaute Menschengruppen geht.
So bedrückend und alarmierend viele der Einzelergebnisse wie auch die Grundtendenz sind, so deutlich zeigen sich aber verschiedene Unstimmigkeiten, unpräzise Fragestellungen und spekulative Interpretationen.
Beispielsweise bei der Ermittlung von Einstellungsmustern, die Asylsuchende »abwerten«: Dazu gibt es insgesamt nur zwei Aussagen, von denen die eine unterstellt, die meisten Asylsuchenden würden in ihrem Heimatland überhaupt nicht verfolgt (Zustimmung 28,2 bis 44,2 Prozent), während die andere lautet, der Staat solle bei der Prüfung von Asylanträgen »großzügig« sein (62,4 bis 74,5 Prozent Ablehnung). Die Zahlen werden in der Studie dahingehend interpretiert, dass Asylsuchende in den Augen der Befragten »nicht legitim seien« beziehungsweise diese es Asylsuchenden »versagen« wollten, in Deutschland zu leben. Diese Schlussfolgerung ist Nonsens. So ist für viele Linke klar, dass auch solche Asylsuchenden, die nicht wegen politischer Verfolgung fliehen, sondern »nur« aus schierer Existenznot, selbstverständlich in Deutschland Schutz finden sollen.
Ähnlich sieht es auch bei anderen Themenkomplexen aus, etwa zur Anhängerschaft von Verschwörungstheorien. Dazu soll beispielsweise die Aussage dienen: »Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.« Das finden 45,7 Prozent, aber mancher denkt vielleicht einfach nur an die Netzwerke von Lobbyisten oder Parteispendern, die auf Politiker einwirken.
Hinterfragt werden muss auch der Sinn einer Frage wie »Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit«, die von 36,3 Prozent bejaht wird. Ich selbst erlebe es im Bundestag immer wieder, dass die Regierung nicht nur der Bevölkerung, sondern auch dem Parlament nicht die Wahrheit sagt.
7,7 Prozent der Befragten meinen: »Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen.« Zeigt sich darin eine Verharmlosung des NS-Regimes, wie die Studie unterstellt? Immerhin wird ja hier nicht gefragt, ob man selbst Hitler als »großen Staatsmann« betrachten würde, sondern ob man glaube, dass andere das täten. Und hat man nicht, gerade auch aus linker Sicht, durchaus Grund zur Annahme, dass es leider genau so wäre?
Vollends absurd wird es, wenn unter der Überschrift »Neue rechte Mentalitäten« die Aussage steht: »Man muss sich gegen die aktuelle Politik wehren« beziehungsweise »Es ist Zeit, mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen«, jeweils mit Zustimmungswerten von über 30 Prozent. In dieser Logik würden auch Menschen, die beispielsweise mehr Widerstand gegen Rechtspopulismus fordern, zu Rechtspopulisten deklariert.
Die Autoren der Studie verweisen zwar darauf, dass die allermeisten jener Befragten, die einer – von den Autoren – als negativ interpretierten Aussage zustimmen, auch anderen solchen Aussagen zustimmen. »Wer eine Gruppe abwertet, wertet mit statistisch überzufälliger Wahrscheinlichkeit auch weitere Gruppen ab.« Das mag zutreffen. Immerhin stimmen den erwähnten Aussagen über Asylsuchende 84,7 Prozent der AfD-Anhänger zu. Dennoch zeigt sich in so mancher Fragestellung und den auf ihr beruhenden Schlussfolgerungen doch eine bemerkenswerte Unschärfe.
Die Verbreitung rechtspopulistischer beziehungsweise rassistischer Einstellungen ist im Übrigen womöglich noch weiter verbreitet als in dieser Studie festgehalten. Denn erst im vorigen Jahr hat die Heinrich-Böll-Stiftung eine ganz ähnliche, gleichsam konkurrierende Studie gesponsert (»Leipziger Autoritarismus-Studie«), in der teilweise die gleichen Fragen formuliert waren: »Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten« – die Zustimmung dazu bewegte sich bei 56 Prozent. »Sinti und Roma neigen zur Kriminalität« – Zustimmung bei 60,4 Prozent. Auch bei Fragen zu Asylsuchenden, Muslimen und so weiter verzeichnete die damalige Untersuchung wesentlich höhere Zustimmungswerte als die jetzige Studie, die sich mit diesem Umstand leider nicht auseinandersetzt.
Bei allen Unschärfen, Schwächen und Missverständlichkeiten: Das Fazit der Studie, dass sich rechtspopulistische Einstellungsmuster in der Gesellschaft verfestigt haben, und zwar nicht nur an ihrem »extremen« Rand, sondern in der sogenannten Mitte, ist ernst zu nehmen.
Rechtspopulistische und offen rechtsextreme Einstellungen vermischen sich, die »Mitte« driftet nach rechts und denkt zunehmend autoritär. Von der »Mitte« als gefestigtem Zentrum der Demokratie kann schlechterdings nicht mehr gesprochen werden, Denkmuster und Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit drohen sich zur Normalität zu entwickeln. Zugleich wollen die Befragten sich ihre »Rechtsverschiebung« offenbar nicht eingestehen, sondern äußern sich, unverbindlich-allgemein zu ihrer Haltung zur Demokratie befragt, durchaus positiv.
Notwendig wäre es nun, anhand dieses Befundes Schlussfolgerungen zum Beispiel für Demokratieprogramme zu ziehen, aber auch verstärkt nach sozialen Ursachen zu fragen. Dabei dürfte eines klar sein: Auch ein noch so gutes Demokratieprogramm ist zum Scheitern verurteilt, solange asylfeindliche und rechtspopulistische Einstellungen von Angehörigen der Bundesregierung mit politischen Verlautbarungen und flüchtlingsfeindlichen Gesetzesänderungen bedient werden. Hiergegen gilt es Widerstand zu leisten (und die Friedrich-Ebert-Stiftung möge bitte aufhören, den Begriff »Widerstand« negativ zu belegen).