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Titel1019

Vier »Bauhausmädels«  (Peter Arlt)

Mit der bewundernden Feststellung, »Mädchen wollen etwas lernen«, wies im Januar 1930 die Zeitung Die Woche darauf hin, dass sich in dieser Generation ein deutlicher Wandel vollzog: Das war ein »selbstbewusster, kreativer Typus«, wie er sich risikobereit und »attraktiv in Szene setzt«; wobei »Bauhausmädels« nicht etwa geringschätzig, sondern anerkennend gemeint war (Katalogeinleitung). Beim Aufschwung der Frauen denke man weiterhin auch an die Malerin Marianne von Werefkin, die Chemikerin Marie Curie oder an die Politikerin Rosa Luxemburg.

 

Das Bauhaus gewann den Ruf, die richtige Lehreinrichtung mit einem geschlechterübergreifenden Gemeinschaftsgedanken zu sein. Der Anteil ausländischer Schülerinnen lag hoch, oft mit jüdischen Wurzeln. In vier differenziert betrachteten exemplarischen Biografien von Bauhausfrauen in den Gewerken Fotografie, Metall, Keramik und Textil wird im Angermuseum Erfurt gezeigt, dass für sie gar nicht oder nur teilweise eine autonome, freiberufliche Lebensgestaltung möglich war.

 

Das gelang im Metier der Handweberei der Erfurterin Margaretha Reichardt (1907–1984), die eine Werkstatt aufbaute und 50 Jahre erfolgreich betrieb. Über das Margaretha-Reichardt-Haus, Am Kirchberg 32, in Erfurt-Bischleben, Außenstelle des Angermuseums, berichtet im Katalog Magdalena Droste. Von den vier »Bauhausmädels« war Margaretha Reichardt die bildhaft Begabteste. Schon in der Kunstgewerbeschule Erfurt entstanden 1925 für die Bewerbung am Bauhaus talentvolle expressive Zeichnungen: Sankt Severi, Porträts, Durchdringungs- und Kompositionsstudien, abstrakt oder stilisiert, wie die Katze in geometrischen Formen. Aus der Bauhauszeit (Dessau von 1926–32) wird eine Vielzahl von Teppichentwürfen und Webproben gezeigt. Die Hochbegabte mit vielen Preisen und Ehrendiplomen unterwarf alles kompromisslos ihrem kritischen, oft überzogen urteilenden Blick. In Selbstbildnissen reflektierte sie sich selbst aber auch als eine Art Meduse. Ihre bildhaften Tapisserien, von fantasievollen Motiven durchdrungen, sind hochkünstlerisch gestaltet und weisen sie, zeitweilig freie Mitarbeiterin, als Schülerin von Paul Klee und Wassily Kandinsky aus.

 

Aber Frauen war es nicht möglich, am Bauhaus Architektur zu studieren. Gertrud Arndt (1903–2000), die eine Lehre bei einem Erfurter Architekten absolviert hatte, musste ihre Ambitionen als Frau eines Architekten, der in Probstzella einen Betrieb errichtete, unterordnen. Weil Georg Muche zu einer ihrer Vorkursübungen meinte, diese sei gut als Teppich umzusetzen, kam sie in die Weberei. Einer ihrer Knüpfteppiche, von denen einer im Arbeitszimmer von Walter Gropius lag, wird neben einer Webprobe und originären Fotografien gezeigt: Maskenselbstbildnisse und Maler auf Leitern, schräg ins Bild und in Licht wie Schatten gesetzt.

 

Gunta Stölzl als Werkstattleiterin der Weberei war die einzige Frau im Meisterrat, der männerbündische Züge trug. Man meinte, ein Genie bei Frauen nicht ausmachen zu können, zumal diese nach Auffassung von Johannes Itten nur zweidimensional sehen könnten, also bei ihrer Arbeit auf der Fläche bleiben sollten.

 

Krachend schied Margarete Heymann (1899–1990) aus der Keramikausbildung in Dornburg aus. Das wird im Katalog als Sensation ausgebreitet, anstatt zu prüfen, ob es stimmt, dass die Bauhaus-Meister Gerhard Marcks und Max Krehan wirklich meinten, aus ihrer Werkstatt seien »Frauen kategorisch (…) auszuschließen«. Denn zeitgleich lernte Marguerite Friedlaender, zuvor in Krehans Werkstatt ausgebildet, bis 1925 in der Bauhaus-Zweigstelle Dornburg bei Marcks, dem sie an die Burg Giebichenstein nachfolgte, wie es 1989 Klaus Weber nachwies. Margarete Heymann-Loebenstein prägte mit dem »aus der Kenntnis von Material, Funktion, Form, Farbe usw. hergeleiteten Ausdruck« (Lucia Moholy, Katalogzitat) die Gestaltung moderner Haushaltsgegenstände bauhausgleich in ihren eigenen Hael-Werkstätten für künstlerische Keramik, die nach dem Zwangsverkauf später von Hedwig Bollhagen wiedereröffnet wurde.

 

In der Metallwarenfabrik Ruppelwerk Gotha fand 1929 die Chemnitzerin Marianne Brandt geb. Liebe (1893-1983) als eine leitende Entwerferin ihren Einsatz, die am Bauhaus studiert hat und sich dort in der Metallwerkstatt als Frau durchsetzen musste und die rechte Hand und Nachfolgerin von Laszlo Moholy-Nagy wurde. Sie rückte am Bauhaus durch Arbeiten, wie das Tee-Extrakt-Kännchen, nach 1924, in die erste Reihe auf. An dieser streng funktionalen »Ikone« begeistert, wie klar gegliedert Wölbungen, Kanten und gerade Flächen aufeinander stoßen. Faktengenau recherchierte bereits 2009 der Designer Klaus Blechschmidt, auf den sich Elizabeth Otto im Katalog beruft, wie es Brandt als Künstlerischer Leiterin gelang, die »ziemlich geschmacklosen Sachen« zu überwinden, von denen sie Gropius berichtete. Der treue Förderer bestaunte die von ihr überarbeiteten Ruppel-Erzeugnisse. Es gelang ihr in den knapp drei Jahren, neue, wie das Kugeltintenfass, einzuführen. 1932 wurde sie entlassen; 1938 die Metallwarenfabrik »arisiert«. Bei den »Verkaufsverhandlungen« im KZ Buchenwald musste sich die Familie Ruppel die Ausreise nach England erkaufen. Die 1894 von Ruppel gegründete Metallwarenfabrik wurde auch in der DDR fortgeführt und blieb auch in Fachkreisen bekannt durch das Wirken der Bauhauskünstlerin Marianne Brandt, die in der frühen DDR in Berlin-Weißensee Industriedesign unterrichtete.

 

Die Bildwerke werden in Erfurt nicht wie im neuen Bauhaus-Museum Weimar so schandbar in drei Ebenen übereinander gruppiert, sondern zur individuellen Betrachtung präsentiert.

 

Angermuseum Erfurt, bis 16. Juni, Di-So 10-18 Uhr, Katalogbuch (336 Seiten) 38 €