Schwejk traf Candide
Letzte Nacht träumte mir, der brave Soldat Schwejk habe im Himmel wieder einmal den braven Candide getroffen. Der sei ziemlich aufgeregt gewesen wegen dieses Kevin Kühnert, der angeblich die beste alle Welten abschaffen wolle. Solche Aufrührer habe man früher gekreuzigt, soll Candide gesagt haben. No, das passiert doch mit dem Kühnert jetzt auch, nur nicht so wie früher, soll Schwejk geantwortet haben. Jemanden ans Kreuz nageln ginge heute nicht aus Rücksicht auf die Umwelt und das Klima. Daraufhin habe Candide eine E-Mail an seinen Lehrer Pangloss geschickt, ob das stimmt, und der sagte: Ja, so ist es. Heute gehe das mit dem Kreuzigen anders. Jetzt würden die Leute irgendwie in der Luft zerrissen. Dass Kühnert BMW verstaatlichen und Susanne Klatten zur Hartz-IV-Empfängerin machen will, sei nicht in Ordnung. Auf so einen Sozialismus würde er auch pfeifen, habe Schwejk gesagt. Er möchte schließlich weiter Hunde verkaufen, auch wenn das Geschäft nicht mehr so laufen würde wie früher. Jeder könne ja denken, was er will. Nur sagen sollte er es nicht, weil das die Demokratie gefährdet.
C. T.
Geschichten aus Dingsda
Wahlbeteiligung
»Die letzte Parlamentswahl«, sagte mein Freund aus Dingsda, »war eine Katastrophe. Fünfundzwanzig Prozent Wahlbeteiligung«. Ich wollte es nicht glauben. »Die Politikverdrossenheit hat ihre Ursachen«, erklärte mein Freund, »wir sind so oft enttäuscht worden, dass wir keinem Kandidaten mehr vertrauen. In dem Wahlkreis, in dem ich wohne, hat der Bewerber versprochen, wenn er gewählt wird, würde er einzig nach seinem Gewissen und stets ausnahmslos im Interesse der Bürger handeln. Diese Absicht zu verwirklichen, beschwor er beim Andenken seiner Mutter.
»Und? Ist er gewählt worden?« »Nein. Niemand hat ihm geglaubt, dass er eine Mutter hat.«
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Die Sieger
Mein Freund aus Dingsda staunte. »Ihr«, sagte er zu mir, »seid, wenn Ihr schon mal ein bisschen Krieg macht, immer furchtbar besorgt, dass Ihr dabei Schaden nehmen könntet. Wir dagegen können gar nicht besiegt werden«. »Aufschneider«, sagte ich, »Prahlhans«. »Reine Wahrheit«, entgegnete er, »wir haben nämlich eine gesetzliche Regelung: Im Ernstfall müssen ein Minister und zwanzig Parlamentarier in vorderster Front als gemeine Infanteristen kämpfen. Jede Woche wird gewechselt. Sobald einer stirbt, rückt sofort ein anderer nach. »Und damit gewinnt Ihr Kriege?« fragte ich ungläubig.
»Nein. Damit vermeiden wir sie.«
Günter Krone
Gericht macht Weg zur Wahl frei
Eine Schlappe vor Gericht mussten die Partido Popular (PP) und die Ciudadanos einstecken. Sie hatten gemeinsam gegen die Kandidatur von Carles Puigdemont, Clara Ponsatí und Antoni Comín auf der EU-Wahlliste der »Junts per Catalunya« Einspruch eingelegt. Die PP ist der Auffassung, dass die drei ihre politischen Rechte nicht wahrnehmen können, da sie derzeit außerhalb Spaniens leben. Der spanische Wahlvorstand gab dem Einspruch mit neun Stimmen bei vier Gegenstimmen statt. Die Wahlbehörde teilte den Kandidaten einen Tag nach der spanischen Parlamentswahl, am 29. April, die Entscheidung mit. Die drei Kandidaten legten gegen den Beschluss Widerspruch beim Obersten Gericht in Madrid ein. Am 5. Mai widersprach das Gericht der Sperre der spanischen Wahlbehörde. Da es sich um einen Grundsatzbeschluss handelt, musste im konkreten Fall das Verwaltungsgericht in Madrid urteilen und stimmte dem Obersten Gericht zu.
Die drei Kandidaten stehen auf den ersten drei Plätzen der Liste von »Junts per Catalunya«. Puigdemont und Comín leben im Exil in Belgien, Ponsatí in Schottland. Carles Puigdemont hatte nach einem Referendum 2017 für Katalonien die Unabhängigkeit erklärt und wurde daraufhin von der Zentralregierung in Madrid abgesetzt. Um seiner Verhaftung wegen Rebellion zu entgehen, floh er nach Belgien. In Spanien ist der Haftbefehl weiter in Kraft.
K.-H. W.
Arbeitskampf
En guerre – Streik« ist ein eindrucksvoller Film von Stéphane Brizé mit einem überragenden Hauptdarsteller und einer überzeugenden Laientruppe. Der durch verschiedene reale Arbeitskämpfe inspirierte Filmplot: Die 1100 Arbeiter des einzigen größeren Werkes in einem südfranzösischen Ort verzichten seit drei Jahren auf zahllose Rechte, die von Vorgängergenerationen schwer erkämpft wurden, arbeiten nun 40 Stunden pro Woche für den gleichen Lohn wie bisher, alle Prämien sind gestrichen. Trotzdem soll nun das Werk zugemacht werden, obwohl die Bilanz Rekordgewinne ausweist. Der deutsche Besitzer hüllt sich in Schweigen, die Arbeiter beginnen einen aufsehenerregenden Streik. Einer der Streikführer kämpft mit nie vorher erlebter Leidenschaft für seine Arbeiter. Der Film zeigt dies in einem thrillerartigen Spannungsbogen. Die Redegewandtheit des altgedienten Gewerkschaftlers Laurent Amédéo (Vincent Lindon) ist atemberaubend, ebenso seine blitzschnelle Auffassungsgabe und seine Kenntnis der Konzerninterna, mit denen er jede Halbwahrheit als Lüge entlarvt. Dem Sieg ist die Belegschaft schon nahe, als sich sogar ein französischer Industrieller findet, der das Werk kaufen will. Da winkt die Firma ab, sie will einen Konkurrenten neben sich nicht dulden, will deutsche Vorherrschaft über französisches Kapital. Die Arbeiter rasten aus, und die Sache entgleitet. Ein traurig machender und doch ermutigender Film, der zeigt, wie schwer und mühsam der Klassenkampf ist.
Anja Röhl
Unsere Zustände
Je mehr sich die Vergangenheit von uns entfernt, desto größer die Gefahr ihrer Verleugnung.
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Der Mensch glaubt, er bestimmt sein Leben. Aber das Leben bestimmt ihn.
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Der Baum, gegen den wir fahren, ist schon markiert.
Wolfgang Eckert
5 in Mathe
Günter Neugebauer, der verdienstvoll in der unrühmlichen Vergangenheit seines Heimatortes Rendsburg geschürft hat (siehe Ossietzky 8/2019 »Im Innern des Landes«), war nicht, wie zu lesen stand, 20 Jahre, sondern 30 Jahre Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtages: von 1979 bis 2009. Er wurde als SPD-Abgeordneter in dem vorher und nachher »schwarzen« Wahlkreis insgesamt achtmal direkt gewählt. Ehre, wem Ehre gebührt. Unser Autor aber fasst sich an den Kopf: Setzen, 5.
K. N.
Vale! Andreas Hähle
Er hat uns, 51 Jahre jung, am 24. April dieses Jahres auf der Höhe seines Schaffens verlassen – verflucht sei der Krebs, diese Geißel der Menschheit! Dass Andreas Hähle ein Mann mit Herz war und Verstand, offenbaren allein zwei Zeilen aus seinem wunderbaren Repertoire: »… wenn die lieben lieben alle vor uns stehn uns ihre welt erklären, dann brauchst du mich nur lächelnd anzusehen …« Dunja Averdung hatte traurige Augen, sie weinte nach innen, als sie am Freitag, den 3. Mai, im Sommertheater von Born/Darß den Song von der Macht, dem Geld und dem Wahnsinn sang – und nicht nur den einen, sondern etliche Songs mehr, an die sieben Hähle-Songs, und Jörg Nasslers Gitarre weinte. Was das Duo Liaisong, die Averdung und der Nassler, empfand, übertrug sich auf alle, die der winterlich-stürmischen Nacht getrotzt hatten, um zur Hommage zu kommen. Andreas Hähle, oben in den Wolken, wird langmütig darüber gelächelt haben, dass sich wegen des widrigen Wetters nur wenige eingefunden hatten – gelächelt, wie es in dem Song von der Macht, dem Geld und dem Wahnsinn gemeint ist … Vale! ihm, der nicht mehr bei uns ist und der Welt noch so viel hätte geben können.
Walter Kaufmann
Schicksale
Es sind die Schüler einer Nachkriegsschulklasse aus Trier (der Geburtsstadt der Autorin), die das Buch strukturieren. Ihr Schicksal und vor allem das ihrer Eltern über fast das ganze vorige Jahrhundert werden von Ursula Krechel verfolgt, wobei es ihr wohl vor allem um einen »Durchschnitt« geht. Es waren Helden, Opfer und Mitläufer, und sie leben in derselben Stadt, ohne sich gegenseitig wahrzunehmen. Sie leben, schweigen, dulden.
Torgaus sind Kommunisten, die über Jahrzehnte zu ihrer Gesinnung stehen und es mit ihrer Überzeugung schwer haben. Neumeisters, Blanks und Grit Berghausen »wursteln« sich ohne Schuld- empfinden durch. Am eindrucksvollsten das Schicksal der Sinti-Familie Dorn, das das Gleichgewicht des Romans sprengt. Aber das ist kein Fehler, sie sind die, die am meisten berühren und interessieren. Wie sie in den frühen dreißiger Jahren ein neues Gerät für ihr Jahrmarktsunternehmen kaufen wollten und in ein Lager gerieten. Wie wenige von der Familie 1945 übrig geblieben waren. Wie es den Frauen, die sterilisiert worden waren, erging. Auch Annchen, die Klassenkameradin, wird wieder erleben, wie wenig geduldet sie in Trier ist. Die meisten Bürger haben so gar nichts aus den Ereignissen gelernt!
Ein Buch, in dem dokumentarisch wirkende Abschnitte mit fast lyrischen oder essayistischen Passagen wechseln. Auch ein Buch, das – historisch und soziologisch – ein breites Panorama umfasst und dennoch in die Tiefe geht. Es macht nachdenklich und betroffen.
Christel Berger
Ursula Krechel: »Geisterbahn«, Roman, Verlag Jung und Jung, 650 Seiten, 32 €
Haarig
Haare in der Suppe? Das kann man servieren.
Man muss die Haare nur schön frisieren.
Günter Krone
Zuschriften an die Lokalpresse
Ich begrüße es sehr, dass man durch die Tagespresse täglich auf Gedenktage hingewiesen wird, die das Leben bereichern und einem sonst wohl entgangen wären. So erinnerte der Berliner Kurier vom 5. Mai auf Seite 46 daran, dass wieder der »Weltlachtag« anstand. Er wird seit 1998 in 6000 Lachclubs in 100 Ländern immer am 1. Sonntag im Mai, pünktlich um 14 Uhr, durch eine gemeinsame Lachminute eingeleitet. Wie Lachfachleute wissen, senkt Lachen den Blutdruck und setzt Glückshormone frei. »Bis hinunter zum Zwerchfell gerät unser Körper in Wallung«, verrät der Bericht. Im Beitrag werden auch Trainerinnen vorgestellt, die Lach-Workshops in Firmen, Krankenhäusern und Selbsthilfegruppen anbieten. Ich finde, je weniger es Grund zum Lachen gibt, desto mehr sollte man sich zur Fröhlichkeit zwingen. Da bis zu 80 Gesichtsmuskeln – von den darunter liegenden Partien ganz zu schweigen – vom Lachvorgang in Anspruch genommen werden, wird man auch einen notorischen Griesgram dann nicht mehr als solchen erkennen. Könnten das Gesundheitsministerium und Minister Spahn nicht ähnlich dem Impfzwang eine Lachpflicht mit Nachhaltigkeit durchzusetzen? – Cordula Lachnit (64), Humoristin, 99518 Lachstedt
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Wie der Berliner Kurier am 6. Mai verrät, sind die Planungen für Hochhäuser in Berlin und im Umland weiter vorangetrieben worden. Nicht nur am Alex, sondern auch im luftfahrtgeschwängerten Flecken Schönefeld werden Türme in den Himmel wachsen, so der mit 110 Metern höchste Wolkenkratzer von Brandenburg. Ich finde, das ist ein geschickter Schachzug vom Gemeinderat, denn vom Dach des Gebäudes aus wird man die weiteren Fortschritte auf dem BER und die neu auftretenden Baumängel klarer verfolgen und beurteilen können und Schönefeld aus dem Gerede vielleicht sogar wieder ins Gespräch bringen. – Elli-Chantal Stürmer (53), Angestellte, 12529 Schönefeld b. Berlin
Wolfgang Helfritsch