Lilo Seibel-Emmerling (*1932) erlebte als Kind eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter die rassistische Verfolgung durch die NS-Diktatur. (Sie berichtete darüber im alpha-Forum von ARD-alpha am 13.5.2014.) Um dazu beizutragen, dass so etwas nie wieder geschieht, trat sie in die SPD ein, wurde Abgeordnete im bayerischen Landtag (1966–1980) und zum Europaparlament (1980–1989). Für ihr Engagement erhielt sie viele Auszeichnungen, darunter der Bayerische Verdienstorden, die Europa-Medaille der Bayerischen Staatsregierung, das Bundesverdienstkreuz am Bande sowie 1. Klasse. Das Europaparlament machte sie zum Ehrenmitglied. Jetzt ist die 88-Jährige, zusammen mit ihrem Mann, dem Maler und Graphiker Alfred Emmerling (90), der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) beigetreten. Dem bayerischen Verfassungsschutz schrieb sie aus diesem Anlass einen Brief: »Um Ihre Arbeit zu erleichtern, teilen wir Ihnen mit, dass wir ab sofort ein Beobachtungsziel für Sie darstellen.« Dem bayerischen Verfassungsschutzbericht 2018 hätten sie entnommen, dass sie in dessen »Beobachtungsmuster« passen, »denn wir orientieren uns an den Ideen des Sozialismus und sind weit entfernt von aller Bewunderung für Kapitalismus oder gar Faschismus«. Überdies zeige sich ihre »linksradikale (in Ihrem Sprachgebrauch ›linksextremistische‹) Auffassung« auch darin, dass sie »den totalen, ungehemmten Kapitalismus für eine wesentliche Ursache für Faschismus, Rechtsextremismus und Krieg halten«. Sehr beruhigt, so Lilo Seibel-Emmerling in ihrem Brief an den bayerischen Verfassungsschutz weiter, »hat uns natürlich Ihre Formulierung ›Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Antifaschisten konkret unter ›Faschismus‹ verstehen.‹ Ich kann Ihnen hier keine vollständige Definition des Begriffes Faschismus geben, nur eine allgemeingültige Feststellung: Er zeigt sich in vielfältiger Gestalt. Aber jedes seiner Gesichter ist inhuman, grenzt Menschen aus, verneint die Gleichheit aller Menschen, neigt zu Gewalt, bedroht und zerstört menschliches Leben, dem er unterschiedliche Bedeutung zumisst, und vernichtet demokratische Gesellschaften.« Was Faschismus heißt, habe sie am eigenen Leib als eines seiner Millionen Opfer erlebt. »Nun sind mein Mann und ich 90 und 88 Jahre alt und damit nicht mehr allzu beweglich, aufmerksam und umtriebig«, schließt Frau Seibel-Emmerling ihren Brief. »Die Beobachtung unserer ›extremistischen‹ Aktivitäten wird also wohl nicht alle Ihre Kräfte binden. Wie wäre es deshalb mit einem etwas verstärkten Blick nach rechts oder gar in Ihre eigenen Reihen??«
An die VVN-BdA schrieb Lilo Seibel-Emmerling: »... Natürlich wurde ich schon oft gefragt, ob ich nicht dabei sein will. Bis jetzt hielt mich manche andere Sichtweise über gemeinsam erkannte Probleme davon ab, um die Mitgliedschaft anzusuchen. Die unheimliche Veränderung unserer Gesellschaft macht die Unterschiede unserer Ansichten sehr klein gegenüber dem gemeinsamen Ziel: Nie wieder Faschismus! Da Brecht leider so recht hat mit ›... der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch‹, bitte ich Euch nun um Aufnahme für mich und meinen Mann Alfred Emmerling ...«
Seit das Berliner Finanzamt der VVN-BdA im November die Gemeinnützigkeit entzogen hat, sind mehr als 2000 Menschen der »größten linksextremistisch beeinflussten antifaschistischen Organisation in der BRD« (bayerischer VS-Bericht) beigetreten.
Der vollständige Text der beiden Briefe von Lilo Seibel-Emmerling ist in der Zeitschrift antifa – Magazin der VVN-BdA für antifaschistische Politik und Kultur veröffentlicht.