Es gibt Wochenmärkte – die sind für Hartz-IV-Bezieher meist zu teuer, da bleibt nur der Einkauf beim Discounter. Und es gibt den Kunstmarkt – dort zu kaufen oder zu ersteigern ist Milliardären vorbehalten. Bei den Preisen kann man sich leicht mit den Nullen verzählen. Zu solchen Auktionsergebnissen bringen es Bilder des amerikanischen Malers Mark Rothko. Sie lassen sich kaum an Wände hängen, passen in kein Safe. Dennoch brachte eine Gemälde-Anlage jüngst bei Christie’s in New York 32,5 Millionen Euro, eine andere vor einem Jahr bei Sotheby’s 48.002.500 Euro.
Bilder dieses Künstlers sind jetzt in der Hamburger Kunsthalle zu besichtigen. Für die Versicherung fehlten 45.000 Euro. Nur mit Hilfe von Sponsoren gelang es, die Ausstellung zu realisieren. Vor den Riesenbildern halten niedrige eiserne Geländer – wie im Park – die Besucher ab, zu nah heranzukommen. Gemälde von Caspar David Friedrich – sie hängen zur Konfrontation neben den düsteren Bildern des Rothko-Spätwerks – darf man ohne Zäune studieren.
Der Künstler wurde 1903 als Marcus Rothkowitz, viertes Kind des jüdischen Apothekers Jacob Rothkowitz, im russischen Dwinsk (heute in Lettland) geboren. 1913 wanderte die Familie in die USA aus. Studium an der Yale University, dann in New York. Schon 1929 lehrt er an der Center Academy des Brooklyn Jewish Center Malerei. 1938 wird er US-Staatsbürger. Die Retrospektive ermöglicht es, auch frühe Werke kennen zu lernen. Neben einem düsteren Selbstbildnis von 1936 immer wieder Menschen am Fenster oder durch ein Fenster gesehen. Oder eine »Straßenszene« im Winter, um 1937 entstanden. Auf einem Treppenabsatz, ganz verloren, ein Vater (?), der schützend seine Arme um die Kinder legt. 1914 war Rothkos Vater gestorben, da war er elf. Die Fenster verfolgen ihn bis zum Schluß.
Nach 1945 setzt auch bei ihm ein Stilwandel zur Abstraktion hin ein. Leuchtende, später dunkel glühende Farbfelder, oft waagerecht unterteilt wie Fenster. Rothko selbst sah sich nicht als abstrakten Künstler: Er male aus dem Gefühl heraus. Wenn jemand seine Vorhänge nach den Bildern aussuche, mache ihn das rasend. Seine Bilder seien aus der Gewalt heraus geboren, als ein einziges Zerreißen. Eine Art Riesenschrei, kurz vor dem Zusammenbruch. Die späten Bilder spiegeln das deutlich in ihrer Dunkelheit – auch da diese Teilung. Wie ein fahlweißes Meer mit einem mondlosen Himmel darüber.
Eine Entdeckung: die Gemälde und Aquarelle, oft mit Kohle, die er zwischen 1939 und 1945 schuf. Rückzug in die Antike? Antigone, Teiresias, der blinde Seher, die »Riten der Lilith«, »Aufscheinendes Chaos«. Eine Geschichte aus der Bibel: »Der Assyrische Stier«, ein Flügelwesen mit menschlichem Gesicht, 1943 in Öl und Graphit gemalt, ganz in gelb, mit acht Beinen. Die Vorstudie »Kreuzigung« ist als Gemälde »Ohne Titel« (1941/42): zusammengedrängte nackte Menschen, Körperteile, einzeln, wie zusammengesucht, und viele Christusköpfe. Rothko war nie religiös, sagt sein Sohn hier in der Kunsthalle, auch wenn er als Kind die jüdische Schule besuchte, Jiddisch und Hebräisch sprechen konnte – nicht mit seinen Kindern. Er assimilierte sich total.
40 Jahre bevor seine Bilder eine gewaltige Wertschöpfung erfuhren und er von der Hamburger Kunsthalle »unter den Top Ten der teuersten Künstler der Moderne« geführt werden sollte, verschlechtert sich sein Gesundheitszustand so sehr, daß ihm seine Ärzte raten, nur noch in kleinen Formaten zu arbeiten. Er hält sich nicht daran. Es entstehen die großen »Black and Grey«-Gemälde. Zwei Jahre später, 1970, bringt er sich in seinem Atelier um.
Der Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen, 220 Seiten, 29 €