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Titel1109

Die Lenz-Lösung  (Otto Köhler)

Der scheidende Generalsekretär des Deutschen PEN-Zentrums zeigte am Abend Größe.

Am Morgen noch auf der PEN-Jahrestagung in Görlitz hatte Wilfried F. Schoeller im letzten Rechenschaftsbericht seiner Amtsführung von einem »unwürdigen Schauspiel« um die Berufung von Erika Steinbach in das Kuratorium der Stiftung gegen Vertreibung gesprochen. Das sei »von polnischer und deutscher Seite inszeniert«.

Wie denn das?

Inszeniert hatten nicht die erstgenannten Polen, inszeniert hatten einzig und allein die zuständigen Deutschen. Sie hatten eine provokante Fälschung zur Präsidentin des »Bundes der Vertriebenen« gemacht. Diese Wahl soll den Polen klar machen, daß noch immer deutsches Besatzungsrecht gilt.

Erika Steinbach wurde bekanntlich 1943 im polnischen Rumia als Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten und einer Wehrmachtshelferin geboren und lebte ihre ersten achtzehn Monate in einem beschlagnahmten polnischen Haus. Doch die Eltern warteten 1945 nicht die ihnen zustehende Strafe ab, sondern machten sich unter Mitnahme der Tochter in ihre westdeutsche Heimat davon.

Obwohl Erika Steinbach somit gänzlich unvertrieben ist, wurde sie seit 1998 fünfmal in Folge zur Präsidentin des Vertriebenenbundes gewählt und gebar die Idee eines Zentrums gegen Vertreibung, dem nach den ersten Protesten der Plural »-en« angepappt wurde.

»Wir sollten unsere Reserven aufgeben und uns am Inhalt dieses Zentrums lebhaft beteiligen«, hatte Schoeller noch am Morgen gefordert und verlangt, daß Schriftsteller Sitz und Stimme im Kuratorium bekommen sollten.

Ein abenteuerliches Vorhaben, ein Feigenblatt für Erika Steinbach, die nach einem Wahlsieg der Union doch noch in das Kuratorium einziehen wird. Die Idee dazu kam von einer angeblichen Else Lasker-Schüler-Gesellschaft – die Dichterin, seit dem 12. Januar 1945 tot, kann sich dagegen nicht wehren – und drei ehemaligen West-PEN-Mitgliedern, die aus Protest gegen die Vereinigung von Ost- und West-PEN ausgetreten sind: Ralph Giordano, Reiner Kunze und Ingrid Bachér, die 1995 als West-Präsidentin dem Ost-PEN zumutete, sich aufzulösen, damit seine Mitglieder erst nach gründlicher Gesichts- und Gesinnungskontrolle eventuell dem dann gesamtdeutsch firmierenden West-PEN beitreten dürften.

Jetzt aber, am Abend in Görlitz, siegten – wie es sich für den PEN gehört – Vernunft und Literatur bei einer deutsch-polnischen Diskussionsrunde über politische Kultur im Stadttheater.

Wilfried F. Schoeller kam, ohne sich mit Steinbachs Zentrum gegen Vertreibungen aufzuhalten, zu der Antwort, die Dichtung auf die Zumutungen der Vertriebenenfunktionäre bereit hält: das »Heimatmuseum« von Siegfried Lenz.

Der Roman von 1978 ist das sichtbare Zeichen, das flammende Fanal der Literatur gegen die Zumutungen der Vertriebenenfunktionäre.

Der fiktive Erzähler Zygmunt Rogalla, ein 1945 geflohener masurischer Teppichmeister, hat mit unbeirrbarer Hingabe in Schleswig-Holstein ein Heimatmuseum aufgebaut. Vertriebenenfunktionäre versuchen mehr und mehr, ihn und sein Museum zu vereinnahmen. Letzte Seite des Romans: »… die ersten Vorbereitungen, und ich traf sie bedachtsam und in der ruhigen Gewißheit, daß mir nun nichts anderes übriggeblieben war, als von meiner letzten Freiheit Gebrauch zu machen, gründlich, bevor geschah, was ich nicht dulden und auf mich nehmen konnte. Während ich eingefärbten Wollabfall zusammentrug, während ich den Kanister, dessen Inhalt die Wolle tränken sollte, hierhin und dorthin schleppte, bis ich ihn unter den Trachten verwahrte, während ich schon die Stellen bestimmte, an denen es zuerst aufflammen sollte, während ich hundert Versuchungen widerstehen mußte, dies oder jenes noch im letzten Augenblick auf die Seite zu schmuggeln, hatte ich nur den Wunsch, die gesammelten Zeugen unserer Vergangenheit in Sicherheit zu bringen, in eine endgültige, unwiderrufliche Sicherheit, aus der sie zwar nie wieder zum Vorschein kommen würden, wo sich aber auch niemand mehr ihrer bemächtigen könnte… «

Rechzeitig bevor Erika Steinbach die deutsche Exilliteratur und den deutschen Widerstand für ihren finsteren Plan vereinnahmt, sollte der dringliche Hinweis des bisherigen PEN-Generalsekretärs auf die Lenz-Lösung für deren Zentrum gegen Vertreibungen seine Erfüllung finden.