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Titel1110

Schwaben gegen Griechen?  (Otto Meyer)

Die beruhigenden Beteuerungen, das Ende der Weltwirtschaftskrise stehe kurz bevor, sind wieder einmal Makulatur. Nachdem in allen großen Industriestaaten vor anderthalb Jahren für mehrere hundert Milliarden Euro angeblich alternativlose Schutzschirme für Banken aufgespannt worden waren, braucht man nun noch größere Schirme für ganze Staaten, nicht nur für Griechenland. Die Regierungschefs der EU-Länder haben in einer neuerlichen dramatischen Sitzung die Europäische Zentralbank veranlaßt, bis zu 750 Milliarden Euro für Kredite an Mitgliedsstaaten bereitzustellen oder dafür zu bürgen. Der von der BRD garantierte Betrag soll – entsprechend der Größe ihrer Volkswirtschaft – 125 Milliarden Euro betragen. Nach der angeblichen Rettung »systemrelevanter« Banken mit Staatsgeldern sind nun mehrere Staatshaushalte im Euro-Raum gefährdet, weil sie auf den Finanzmärkten nicht mehr die zur Schuldenfinanzierung benötigten neuen Kredite bekommen können. Der »kluge Kopf«, der angeblich »immer« hinter der »Zeitung für Deutschland«, der Frankfurter Allgemeinen, steckt, wurde im Kommentar des Herausgebers Berthold Kohler mit der Überschrift gelockt: »Bis alle Schwaben sind«; in einem weiteren Kommentar von Stefan Dietrich erfuhr er dann: »Längst ist klar, daß die ›griechische Krankheit‹ eine Euro-Pandemie ist.«

Die Bild-Zeitung als selbsternannte Stimme fürs gemeine Volk hatte schon Tage zuvor ihre wochenlangen Hetzkampagnen gegen die Griechen auf andere EU-Länder ausgedehnt. Die großen weißen Buchstaben auf schwarzem und rotem Grund bedienten Volkes Frust und gaben der aufkommenden Wut ein Ventil: »Wir sind wieder mal Europas Deppen!«, »750 Milliarden für Pleite-Nachbarn, aber Steuersenkung gestrichen«. Und dann erklärte Bild-Kommentator Einar Koch seinem Schlagzeilen lesenden Volk, wer Schuld daran ist, wenn es ihm bald noch mehr an den Kragen geht: »Zehn Jahre lang haben wir Deutsche für einen stabilen Euro geschuftet, haben Opfer gebracht. Haben uns bei den Löhnen zurückgehalten, haben – ohne groß zu murren – bei den Renten Nullrunden hingenommen. Haben Soli geblecht, haben die höchste Mehrwertsteuererhöhung aller Zeiten hingenommen. Wir haben die Zeche gezahlt – während andere auf unsere Kosten schamlos Party feiern konnten! … Das ist die verheerende Botschaft: Die anderen haben Schulden ohne alle Maßen gemacht, wir müssen dafür den Gürtel noch enger schnallen!«

Der »kluge Kopf« der FAZ bekommt feinere Kost, seine Verblödung geschieht subtiler. Herausgeber Kohler unterstützt den Kurs von Kanzlerin Merkel, die er mit dem Satz zitiert: »Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.« Wenn der Euro gerettet werden solle, brauche die EU »tatsächlich eine gänzlich ›neue Stabilitätskultur‹« sowie eine »Verbesserung der gegenseitigen Überwachung«. Die Währungsunion, so Kohler, kranke daran, daß »die Voraussetzungen dafür nicht in ausreichendem Maße erfüllt waren«. Das betreffe »nicht nur Unterschiede in der Wirtschaftskraft, sondern auch Unterschiede in den Mentalitäten und Kulturen. Selbst in der Eurozone gehen, wie gesehen, die Anschauungen zu Konsum, Verschuldung, Inflation und sogar Prinzipien wie Treu und Glauben mitunter weit auseinander.« Merkel wolle endlich »diese europäisch bunte Mischung auf eine Linie zwingen – auf die der schwäbischen Hausfrau. Denn nur mit Sparsamkeit und Disziplin ließe sich das Feuer endgültig löschen.«

Tatsächlich verraten die Macher der Bild-Zeitung mehr als die der FAZ. Sie sagen, wer die Zeche schon bisher gezahlt hat und nun den Gürtel noch enger schnallen soll, nämlich die Masse der abhängig Beschäftigten und all jene, die von Sozialleistungen abhängig sind. Bild sagt sogar, daß »wir« uns bei den Löhnen schon lange zurückgehalten haben. Bild sagt allerdings nicht, daß eben dieses deutsche Lohn- und Sozialdumping der Hauptgrund dafür ist, daß die Währungsunion heute kurz vor dem Scheitern steht. Ihre LeserInnen könnten jedoch auf solche Gedanken kommen, wenn ihre Gewerkschaften ihnen dazu Hinweise gäben und endlich auch in Deutschland zu wirksamen Streikaktionen für Löhne entsprechend dem Produktivitätsanstieg sowie für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich aufriefen. Doch die letzten Tarifabschlüsse waren alles andere als Zeichen der Solidarität mit den griechischen, portugiesischen, spanischen und den anderen Kollegen in der EU; da zeigte sich mehr die Mentalität der »schwäbischen Hausfrau« – so, als hätten die Deutschen weiterhin die Aufgabe, die angeblich »Party« machenden »Anderen« niederzukonkurrieren.

Daß die FAZ und andere Herrschaftsmedien unbeirrt verlangen, die Löhne zu senken, also den Konsum der Massen einzuschränken, und daß sie nunmehr fordern, in ganz Europa staatliche Leistungen kaputtzusparen, kann kaum überraschen. Darin offenbart sich die Blindheit derer, die Nutznießer des kapitalistischen Systems sind. Konsequent systemimmanent gedacht könnte man ja auch auf den Gedanken kommen, daß erhöhte Produktion auf kaufkräftige Abnehmer angewiesen ist. Was unsere Staats- und Kapitallenker ebenfalls regelmäßig verschweigen, ist die Tatsache, daß all die vielen Milliarden und Billionen an Schulden, die die Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten aufgehäuft haben, um den wegbrechenden Binnenkonsum einigermaßen zu stabilisieren, bisher immer auf der anderen Seite reiche Gläubiger gefunden haben, die froh waren, daß ihnen der als sicher geltende Staat ihre überflüssigen Reichtümer gegen Bundesschatzbriefe abnahm und dafür Zins und Zinseszins zahlt.

Es wäre logisch und sogar »systemimmanent«, heute endlich wieder eine höhere Besteuerung der Gewinneinkommen zu fordern und die hierzulande seit mehr als zehn Jahren ausgesetzte Vermögenssteuer wieder zu erheben. Stattdessen schüren der hessische Ministerpräsident Koch und andere die Angst, wir verpraßten »die Zukunft unserer Kinder«, wenn wir jetzt nicht auch bei der Bildung sparten – absurder geht es kaum noch. Die heutigen Staatsschulden, sollten sie tatsächlich noch vererbt werden, wären doch in 30 Jahren die weiter angewachsenen Vermögen der Kinder der Reichen. Deren Zukunft wäre also nicht »verpraßt«, sondern mehr als »gesichert« – sofern das Kapitalsystem mit seinen Mechanismen der Verarmung für die Massen und der schamlosen Bereicherung für wenige überhaupt bis dahin eine Zukunft haben sollte. Wenn jetzt, entsprechend der FAZ-Klugheit, die »Mentalitäten und Kulturen« in Europa auf die Spar-Kultur der »schwäbischen Hausfrau« gezwungen werden, kann das nur weiter in die Unkultur des Massenelends führen. Mir sagen da die Mentalitäten der Griechen und anderer Südländer mehr zu.