Unerhörtes ist im Gange. Auf Antrag der Oppositionsparteien im Brandenburger Landtag (CDU, FDP und Grüne) wird sich eine Enquete-Kommission mit der Aufarbeitung der Geschichte des Landes nach 1990 beschäftigen und unter anderem folgende Fragen untersuchen: »Wie haben sich die Veränderungen der Eigentumsstruktur (Arbeit der Treuhand, Unternehmensneugründungen, Privatisierung von Wäldern, landwirtschaftlichen Flächen und Seen) auf die Einkommens- und Vermögensstruktur und auf das soziale Gefüge der Bevölkerung ausgewirkt? Welche langfristigen Auswirkungen – positiv wie negativ – hatte die starke Orientierung an den institutionellen, rechtlichen und organisatorischen Vorgaben des westdeutschen Modells? Die Funktionseliten nahezu aller prägenden gesellschaftlichen Subsysteme Brandenburgs (Verwaltung, Recht, Wissenschaft, Wirtschaft – weniger Politik, Kultur, Sport) wurden zunächst in hohem Maße aus der alten Bundesrepublik rekrutiert beziehungsweise mußten von dort rekrutiert werden. Wie ist ihre Arbeit zu bewerten? Wie sehen die soziologischen Folgen dieser Konstellation aus?«
Eine Enquete-Kommission, die auf Initiative von CDU, FDP und Grünen geschaffen wurde, soll also Mißstände aus der Zeit nach dem Anschluß der DDR aufdecken! Bravo, möchte man ihnen zurufen. Allerdings wurden die eingangs zitierten Fragenkomplexe nicht von den drei Parteien formuliert, die die Kommission initiiert haben, sondern von SPD und Die Linke, die sie kraft ihrer parlamentarischen Mehrheit zusätzlich in den Untersuchungsauftrag der Kommission aufnahmen. Auch trägt sie nicht den kurzen Titel »Aufarbeitung der Folgen des Anschlusses Brandenburgs an die BRD«, sondern den etwas längeren: »Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg«.
Als Vorbild des parlamentarischen Gremiums nannte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Axel Vogel, die Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«, die 1992 vom Bundestag eingesetzt worden war und als Eppelmann-Kommission zu fragwürdigem Ruhm gelangte. Aus ihr ging die nahezu gleichnamige Stiftung hervor, die mit ihrer antikommunistischen Geschichtsklitterung noch immer die politische Atmosphäre vergiftet und Steuergelder frißt.
Vogel nennt das Gremium auch Kommission »zur Aufarbeitung der Aufarbeitung«. Ein eingängiger Name. Aber was sollen die Aufarbeitungsaufarbeiter denn nun neben den zusätzlich aufgenommenen Komplexen tatsächlich aufarbeiten? Nach Auffassung der schwarz-gelb-grünen Urheber des Gremiums soll »zwei Jahrzehnte nach dem Übergang von der SED-Diktatur zum demokratischen Rechtsstaat« Rückschau gehalten und geprüft werden, »ob der Prozeß der demokratischen Umbildung in Brandenburg ... erfolgreich war und ob es Versäumnisse und Fehlentwicklungen gab und gibt, die zu korrigieren sind«. Mit diesem hehren Ziel wird die Kommission zwei Jahre lang die brandenburgische Gesellschaft durchleuchten, um die in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten geleistete oder noch nicht ausreichend geleistete Aufarbeitung der »MfS-Verstrickungen« zu überprüfen und herauszufinden, »welches Geschichtsbild von der SED-Diktatur ... in den Medien, bei den Bürgern, in der Politik und in kulturellen Einrichtungen reflektiert bzw. geprägt wird«. Besonders scharf soll geprüft werden, was die Bildungspolitik dazu beigetragen hat, Wissen über den Charakter der SED-Diktatur, die Bedeutung der friedlichen Revolution und die deutsche Einheit zu vermitteln.
Es bedarf keines besonderen Spürsinns, um hinter dem ursprünglichen Untersuchungsauftrag die Absicht zu erkennen, den sogenannten Brandenburger Weg, womit der langjährige Ministerpräsidenten Manfred Stolpe den Verzicht auf eine »Totalverteufelung« der DDR meinte, zu zertrampeln und die jetzt regierenden Rosa-Roten an den Pranger zu stellen. Allerdings wird dieses Vorhaben allein schon durch die von den beiden Regierungsparteien veranlaßte eingangs erwähnte Erweiterung der Aufgaben der Kommission erschwert. Aber gerade deshalb stehen Brandenburg in den kommenden zwei Jahren – so lange soll der Gesinnungs-TÜV währen – manch lehrreich-unterhaltsame Stunden bevor. So nimmt es auch nicht Wunder, daß im märkischen Land echte Vorfreude aufkommt, zum Beispiel bei den Abgeordneten, die nun neben 40 Jahren DDR auch Brandenburg von 1990 bis 2010 aufzuarbeiten haben; bei den ehemaligen Beschäftigten der von der Treuhand verschleuderten und zerstörten Großbetriebe Kranbau Eberswalde, Märkische Faser AG in Prenzlau, Schwermaschinenbau-Kombinat in Wildau, Walzwerk in Oranienburg, Gubener Textil-Kombinat und vieler anderer Werke, die an den Verlust ihrer Arbeitsplätze erinnert werden; bei den Wirtschaftsministern des Landes, die den durchschlagenden Mißerfolg ihrer Investitionen in die Unternehmen Cargolifter, Lausitzring, Chipfabrik Frankfurt/Oder und manch andere nacherleben dürfen; bei den freien und demokratischen Medien, die überprüft werden und Zensuren erhalten sollen; den Eltern und Großeltern, die endlich nachgewiesen bekommen, daß sie, wie der Grünen-Fraktionschef Vogel beklagte, die DDR-Geschichte »eher verklärt als erklärt« haben; dem Finanzminister, der sich freut, ein paar Millionen Euro für Veranstaltungen, Berater, Gutachten, Reisekosten und ähnliches bereitstellen zu dürfen.
Kurz gesagt: Die Enquete-Kommission wird das triste politische Leben im Lande in Schwung bringen.