In Backnang, einer württembergischen Stadt von etwa 35.000 Einwohnern nahe Stuttgart, wird derzeit ein Trauerspiel aufgeführt. Sein Titel zitiert eine ebenso häufig wie gedankenlos aufgesagte Redewendung, die lautet »Im Tode sind alle gleich«. Auf und hinter der Bühne agieren keine Berufsschauspieler, doch Personen, denen mit der Bezeichnung Laiendarsteller auch nicht recht getan wäre. Die Hauptpersonen des Stückes, die seit dem ersten Akt die Bühne beherrschen, geben der Vorsitzende des Fördervereins Friedhofskapelle, der gleichzeitig ein Aktivist des Volksbundes Kriegsgräberfürsorge ist, und der Stadtarchivar. In späteren Akten werden der Oberbürgermeister und die Gemeinderäte zu sehen und zu hören sein. Zurückhaltend berät der Direktor des Stuttgarter Hauses der Geschichte die Regie.
Die Handlung ist rasch erzählt: Auf einem Friedhof der Stadt gibt es eine 125 Jahre alte Kapelle, die seit langem zweckentfremdet als Geräteschuppen genutzt wird. Die soll eine neue und ihr angemessene Bestimmung erhalten und in ihrem Inneren eine Gedenkstätte aufnehmen, die an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft während des Naziregimes erinnert. An ihre Eröffnung ist im Jahre 2011 gedacht, die geplanten Kosten werden eine halbe Million Euro betragen, von denen die Stadt den größten Teil aufbringen soll. Das allein gäbe selbst in Zeiten knapper Kassen kein Drama, wäre da nicht ein Streit aufgekommen, wer den Opfern rechtens zuzuzählen sei. Das Thema ist in der Bundesrepublik nicht neu; wer sich seiner Geschichte erinnert, denkt an die Gestaltung der Neuen Wache in Berlin. Dort schon war der Tod als Allesgleichmacher bemüht worden.
In Backnang sind beim Sammeln der Namen von Personen, die mit Sterbedatum und -ort auf Tafeln an den Wänden der Kapelle vermerkt werden sollen, im Stadtarchiv mehr als 700 zusammengekommen, vor allem Bürger, die an den Kriegsfronten umkamen, andere, deren Leben im Luftkrieg endete, Zwangsarbeiter, KZ-Insassen. Nun ist in diese lange Liste auch ein Mann geraten, der 1941 in den ersten Wochen des Überfalls auf die Sowjetunion »gefallen« ist. Der war vordem Kreisleiter der NSDAP, ein alter Kämpfer der Nazipartei, der zu ihren Backnanger Gründungsvätern gehörte und selbstverständlich auch Mitglied der SS war. Der soll da nicht vergessen werden, meinen die beiden Aktivisten, die erklärten, sie würden sich nicht »zu Richtern über persönliche Schuld aufschwingen«. Das ist, sagen wir, ein bißchen geheuchelt, denn die Herren urteilen doch und eigenartig. Ja doch, der Mann sei Nationalsozialist, und zwar ein überzeugter gewesen, ein Zusatz, der offenbar als mildernder Umstand gelesen werden soll. Zu den Scharfmachern habe er keinesfalls gezählt. Wo eine Tatsache der Stadtgeschichte dem womöglich widerspricht, ist das Unheil jeweils »von oben«, also von den Führern in Stuttgart gekommen. Vor allem: Kein Anhaltspunkt spreche dafür, daß der Mann Kriegsverbrechen begangen habe. Das wäre gleichsam die Marke gewesen, die zu seiner Streichung von der Opferliste hätte führen müssen. Überzeugt dies den Oberbürgermeister, der sich zur Parteinahme bisher nicht hat entschließen können, und den Gemeinderat, der ebenfalls bislang nur zusieht, dann wird des Bonzen Gedenktäfelchen nicht weit entfernt von einem anderen angebracht werden, das an Dora Caspari erinnert, die zu den ersten nach Riga deportierten Juden gehörte und dort, wie die Stuttgarter Zeitung fein bemerkt, »den Tod fand«.
Hier ließe sich unser Bericht aus dem Schwabenlande schließen, hätte die Zeitung nicht den Direktor des Stuttgarter Hauses der Geschichte besucht und befragt, ob man am »selben Ort einer ermordeten Jüdin und eines überzeugten Nazis gedenken« könne, und zur Antwort erhielt: »Man kann schon.« Doch bedürfe das einer sensiblen Darstellungsweise. Die wurde im weiteren so erklärt: »Man könnte zeigen, daß die Geschichte gleichzeitig und gemeinsam erlebt wurde – von Juden und Christen, Nazis und Kommunisten, Kranken und Gesunden.« Auch der Experte ist der Meinung, daß der Kreisleiter, wäre er »darüber hinaus auch noch ein Kriegsverbrecher gewesen«, dann, ja dann neben Ermordeten nichts zu suchen haben würde. Wie er sich das Kunststück der Differenzierung in solchem Raum denke, wurde er schließlich ausgeforscht und bekannte: »Dazu fällt mir spontan nichts ein ...«