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Titel1110

Hannelore Kraft beim Suppuku  (Marja Winken)

In Bild am Sonntag verkündete Hannelore Kraft ihrem inzwischen reichlich verwirrten Wahlvolk, jetzt bestünden nur noch zwei Chancen, Nordrhein-Westfalen regierbar zu machen, entweder Große Koalition oder Neuwahl. Die dritte Möglichkeit, nämlich eine sozialdemokratisch-grüne »Minderheitsregierung«, lehnte sie ab, denn das sei »Harakiri«.

Die ehemalige Wissenschafts- und Forschungsministerin geht da mit den Begriffen der japanischen Kriegerkaste etwas nachlässig um. »Harakiri« ist nur der Akt des Bauchaufschlitzens beim »Suppuku«, das sie offenbar meint, also dem Samurai-Brauch der rituellen Selbsttötung zum Zwecke der Wiederherstellung persönlicher Ehre. Aber von Begrifflichkeiten mal abgesehen: Was die gefühlte Ministerpräsidentin in Düsseldorf strikt verwirft, ist eine Möglichkeit, die in der Verfassung ihres Bundeslandes ganz selbstverständlich ihren Platz hat. Koalitionsverträge sind dort nicht vorgesehen, auch bildet das Parlament nicht die Regierung, sondern es wählt einen Ministerpräsidenten oder eine -präsidentin – und zwar im ersten oder zweiten Wahlgang mit einer Mehrheit der gesetzlichen Landtagsmitglieder, dann der anwesenden Mitglieder und, wenn das nichts bringt, im dritten Wahlgang per Stichwahl, mit einfacher Mehrheit. Der Ministerpräsident oder die Ministerpräsidentin bildet die Regierung, indem er oder sie Minister beruft, ohne Mitwirkung des Landtags. Hannelore Kraft könnte sich also mit den Stimmen der sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten zur Regierungschefin wählen lassen; die einfache Mehrheit käme ohne weiteres zustande, weil die Abgeordneten der Linkspartei gewiß nicht den Kandidaten der CDU wählen würden. Hannelore Kraft müßten sie nicht wählen.

Für ihre Gesetzesvorhaben müßte diese Regierung sich dann jeweils parlamentarische Mehrheiten suchen. Nirgendwo steht geschrieben, daß diese vorher garantiert sein müssen. Die Abgeordneten sind, zumindest in der Verfassung, nicht als fraktionsdiszipliniertes Stimmvieh gedacht. Bleibt die Mehrheit im Landtag aus, so kann die Regierung ihr Vorhaben in einen Volksentscheid bringen. Es müßte dann allerdings hinreichend überzeugungskräftig sein …

Soweit die Möglichkeiten der Verfassung. Hannelore Kraft, so haben wir jetzt erfahren, hält diesen Teil des obersten Normengefüges ihres Bundeslandes für sittenwidrig. Das wäre doch mal ein christlich-abendländisches Postulat im Neuwahlkampf: Raus mit den Samurai-Relikten aus der nordrhein-westfälischen Landesverfassung!