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Titel1110

Baal badet  (Monika Köhler)

Theaterpause: Ein Mädchen, gestoßen, stürzt Stufe für Stufe die Treppe herunter. Jemand kriegt ein Messer in den Rücken. Die Polizei wird ins Theaterfoyer gerufen, wo es so unsanft zugeht. Ein Polizist kommt, fixiert alle Anwesenden und schickt sie rein, in den Saal, sie sollen sich zur Vernehmung bereithalten. Der Saal ist der »Malersaal« des Hamburger Schauspielhauses. Hier sind wir bei »Baal«, Bert Brechts erstem Stück.

Neun Studierende des sechsten Semesters der Theaterakademie spielen abwechselnd den Baal, erkennbar an Brechts Brille, die jeder mal tragen darf. Zuerst ist Baal weiblich, thront auf einem Beton-Container, unten wird ihm gehuldigt. Alle singen den Choral vom Baal. Die Idee, ihn exzessiv fressen zu lassen – Spaghetti – stammt wohl vom Regisseur Samuel Weiss. Brecht hatte erst den Titel »Baal frißt! Baal tanzt!! Baal verklärt sich!!!« vorgesehen. Der gedrehte Container, eine armselige Bude, karg möbliert (Bühne: Ralph Zeger), ist Baals Dachkammer. Alle tragen glitzernde Party-Klamotten, die Haare hochgestylt. Wie Studenten, die den »Baal« spielen. Sie machen ihre Sache gut. Auch die Choräle, mit denen sie ihn anfeuern oder kommentierend begleiten (von Joachim Kuntzsch einstudiert), werden Brecht gerecht. »So nimm denn meine Hände« – während Baal mit der Freundin seines Freundes im Bett liegt und sie entjungfert. Vorher zitterte sie wie Espenlaub, die Siebzehnjährige. Das Sich-Ertränken findet abseits in der Badewanne statt, ein Föhn hilft dabei. Baal sieht nichts, ist schon mit anderen Mädchen beschäftigt. Baal hurt und schreit, dichtet und schreibt es in sein kleines Notizbuch, stolz seine Einfälle wiederholend.

Die »Kulturindustrie« will Baal für sich einspannen. Er macht, was er soll, tanzt, schnulzt ins Mikro. Wie kam das Blut an seinen Mund? Das Lied vom ertrunkenen Mädchen – singt er mit? Eine andere – Lebende – schnallt sich einen Schwangeren-Bauch um. Seine Bühne zerfällt auf der Bühne. Alle treiben es miteinander, fast nackt. Dann liegen sie wie Leichen unordentlich hineingestopft in der Badewanne, im Dunkeln. Ein schreckliches Bild, das Assoziationen weckt – bis sich wieder Leben regt. Alle singen und sprechen wie Kinder, ganz hoch, mit piepsigen Stimmen. Sind sie verrückt geworden oder betrunken? Auch Baal steigt in die Wanne. Eine irre Szene. Was soll`s? Man muß wohl nicht alles verstehen.

Baal flüchtet sich irgendwann an die Mutterbrust und scheint sich dort sehr wohl zu fühlen, allzu wohl. Aber sie scheucht ihn weg, den Nichtsnutz, Faulpelz, Mädchenverführer. Zum Schluß ist der Container mit Bäumen gefüllt, eine nicht ganz heile Welt. Einige Bäume sind umgeschlagen, Kadaver. Baal liegt wimmernd wie ein Kind am Boden, nicht bereit zu sterben. Die Gefährten verlassen ihn. Kein Waldarbeiter wie bei Brecht, eine Schwarzwälderin in ihrer Tracht mit roten Pompons – ein absurdes Bild – kommt, hört ihm zu. Am Ende ist er allein, ruft: »Mama, Mama«.

Brecht 1954 zu seinem Frühwerk: Baal sei asozial, »aber in einer asozialen Gesellschaft«. Ein Zusammenhang, den Weiss’ Inszenierung kaum vermittelt.

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Die kanadische Choreografin Chrystal Pites hat sich lange mit der Darstellung des Schattens beschäftigt. Mit ihrem Stück »Dark Matters« gastierte ihre neue Gruppe »Kidd Pivot« aus Frankfurt am Main auf Kampnagel in Hamburg. Schwarz gekleidete Tänzer mit verhüllten Gesichtern führen an Stäben eine große Marionette. Das Licht spielt mit, wirft Schatten. Der Kunst-Mensch tanzt skurrile Duette mit seinem Schöpfer, rebelliert schließlich gegen ihn, der sich gegen sein Geschöpf nicht mehr wehren kann. Die eigene Kreatur ersticht ihn mit einer Schere. Schatten kämpfen gegeneinander, Häuser stürzen ein. Pause.

Nun beherrschen fünf Tänzer in normaler Kleidung die Bühne. Nur ein schwarzer Schattenmensch blieb zurück, mischt sich ein, lenkt und führt sie, versucht, sie zu seinen Marionetten zu machen. Am Ende entkleidet sich der Schwarze und stellt sich als Frau, als die Choreografin, heraus. Ganz folgerichtig, keine Mystik. Das romantische Thema bekommt Witz, wird ironisch gebrochen. Beifall. Das Publikum hat begriffen.