»Ja, verdirb den Ossietzky-Lesern nur weiter den Appetit,« schrieb Eckart Spoo, als ich ihn fragte, ob ich nach »Fieses aus der Fischereiwirtschaft« und »Fieses aus der Milchwirtschaft« (Ossietzky 4/10 und 10/10) auch noch über Geflügelhalter schreiben solle, die lebenden Puten, Hühnern und Moschusenten die Schnäbel abhacken.
Deutschland hat zur Zeit einen Bestand von 115 Millionen Hühnern, Puten und Moschusenten (»Flugenten«). Ökologische Freiland-Haltung ist selten. Das Federvieh werde vielmehr größtenteils »nicht tiergerecht gehalten: durchweg zu enge Ställe, fehlender Auslauf für die Tiere und Kürzen der Schnäbel«, berichtete der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Er ermittelte zudem große Defizite bei der Überwachung und Durchsetzung des Tierschutzes. Vielerorts fehlten Informationen über den Gesundheitszustand der Tiere, die Sterblichkeitsraten oder die Bestandsdichte in den Ställen, zu schweigen von Dokumentationen über die Kontrollen des veterinärärztlichen Dienstes.
In Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern werden die meisten neuen industriellen Geflügelställe gebaut, mehr als je zuvor, obwohl es bundesweit bereits ein beträchtliches Überangebot an Geflügel gibt. Schuld daran sind Agrarsubventionen aus Brüssel, Berlin und den Bundesländern. Der Geflügelbestand Niedersachsens zum Beispiel, 48 Millionen Tiere, soll um ein Drittel zunehmen. »Die deutsche Fleischbranche will den Weltmarkt erobern und bedient sich dazu beim Steuerzahler,« moniert der BUND.
Der Tierschutz gerät dabei unter die Räder. Viele Geflügelhöfe halten bis zu 25 Hühner auf einem Quadratmeter. Das ist zu eng, die Tiere bekommen zu wenig frische Luft, und auch falsche Beleuchtung und Fütterung führen zu Verhaltensstörungen. Die Tiere zerren am Gefieder ihrer Artgenossen, hacken und verletzen sich, Krankheiten entstehen, Kannibalismus tritt auf. Der Geflügelbauer braucht dann nur noch zu versichern, daß er die Minimalbestimmungen für Mastbetriebe einhalte und daß mit anderen Futtermischungen oder Stallverdunklung den Störungen nicht abzuhelfen sei – schon bekommt er die Erlaubnis zum Schnäbelschneiden.
Im Verordnungswerk des Landes Niedersachsen heißt es: »Das Schnabelkürzen ist eine Amputation nach § 6 TierSchG, die grundsätzlich verboten ist und nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt werden darf. Das Kürzen ist nicht nur ein schmerzhafter Eingriff, sondern beeinträchtigt auch die vielfältige Funktion des Schnabels. ... Eine Erlaubnis kann nach glaubhafter Darlegung der Unerläßlichkeit des Eingriffs gemäß § 6 Abs. 3 S.2 TierSchG erteilt werden.« Und so gilt Tierquälerei geradezu als geboten, wenn der Geflügelbauer »glaubhaft« macht, daß sein Betrieb Minimalstandards erfüllt. Das Schnabelabhacken ist zwar grundsätzlich verboten, aber meistens erlaubt.
Die grausame Praxis dient nur dazu, die Tiere an miese Haltungsbedingungen anzupassen. Gehackt wird ohne Betäubung, und da es millionenfach geschieht, muß Wundversorgung unterbleiben. Weggeschnitten werden das sogenannte Bill-Tip-Organ und damit 80 Prozent aller Nervenenden des Oberschnabels. Die Zunge abzuschneiden, ist verboten, im Fließbandbetrieb aber nicht ausgeschlossen. Hühner, Puten und Moschusenten mit gekürztem Schnabel werden durch die hinfort beim Picken auftretenden Schmerzen davon abgehalten, sich gegenseitig zu attackieren.
Bei Legehennen (einst besungen: »Ich wollt, ich wär’ ein Huhn«) erfolgt die Tortur gleich nach dem Schlüpfen, wobei Ober- und Unterschnabel mit einer Art heißem Fall-Messer gekappt werden. Auf der Fachmesse »EuroTier” in Hannover wurde ein Schneideautomat angeboten, der gleichzeitig auch Impfungen durchführt. Der Schnabel des Kükens wird in eine rotierende Halterung geführt, das Tierchen muß, hilflos darin baumelnd, die Qualen über sich ergehen lassen.
Den Puten werden mittels Laser-Lichtbogen die Oberschnäbel zurückgeschmort. Neuerdings gibt es Infrarot-Geräte, mit denen das Gewebe innerhalb des Schnabels nur schwach erhitzt wird, daß der Vorderteil erst nach einer Woche abfällt. Der spezielle Nutzen dieses Geräts: Das Bedienpersonal nimmt nicht mehr wahr, was es dem Tier antut.
Den Moschusenten dagegen werden die Oberschnabelspitzen im Alter von bis zu vier Wochen noch mittels einer Amboß-Schere abgehackt, wie sie im Gartenbau Verwendung findet.
»Am Umgang mit Tieren erkennt man den Wert einer Gesellschaft,« sagte einst Mahatma Ghandi. Was würde er aus den Zuständen in unserer Massentierhaltung schließen?
Wo Tierquälerei nur auf Profitdenken zurückzuführen ist und leicht zu vermeiden wäre, erscheint mir Kritik daran nicht nur erlaubt, sondern geboten.
Als Dorfkind habe ich den bäuerlichen Umgang mit Natur, Pflanzen und Tieren erlebt, das Säen, Ernten, Füttern und auch das Schlachten. Von Tierliebe habe ich zwar auch damals wenig bemerkt. Ich lernte immerhin, daß in vielen animalischen, uns grausam erscheinenden Verhaltensweisen – auch des Menschen – viel Unschuld liegen kann. Mir scheint aber, daß inzwischen das sittliche Empfinden im Umgang mit dem Tier nicht nur den Bauern verloren gegangen ist (s. Tierversuche, Tiertransporte, Tierhandel, Jagd, Schlachthöfe).