Beim Umgang mit der NPD hat sich die bundesdeutsche Justiz selten durch Rückgrat ausgezeichnet. In den zurückliegenden Jahren haben vor allem Verwaltungsgerichte dazu beigetragen, daß von den Kommunen untersagte Nazi-Aufmärsche letztlich doch stattfinden durften, oft mit enormem Polizeiaufgebot und entsprechendem Kostenaufwand zu Lasten des Steuerzahlers. Die These von der »wehrhaften Demokratie« scheint an dieser Stelle nicht zu greifen. Anders hingegen, wenn sich junge Leute einer solchen Demonstration nicht anschließen, sondern sich ihr entgegensetzen. Da findet sich dann schon einmal ein junger Mann Anfang Zwanzig auf der Anklagebank wieder, der als Gegendemonstrant einen nicht genau beschreibbaren »steinartigen« Gegenstand geworfen haben soll. Unbestritten kam niemand zu Schaden, und der junge Mann bestreitet, irgend etwas geworfen zu haben. Er kann auch einen Zeugen benennen, der den Tag an seiner Seite verbrachte. Der Zeuge, der die Darstellung des Angeklagten bestätigt, nützt ihm letztlich nichts. Ein Polizist in Zivil will anderes gesehen haben. Der weit verbreiteten Gerichtspraxis zu Folge wird dem Beamten geglaubt, der Angeklagte forsch verurteilt.
Wenn es gilt, Ziele und Absichten der NPD zu bewerten, hält sich die Justiz milde zurück. Das Oberlandesgericht München hat in einem Beschluß vom 9. Februar 2010, der erst ein Jahr später veröffentlicht wurde, festgestellt:
»Der Inhalt des Wahlplakats der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands für die Wahl zum Bayerischen Landtag am 28. 9. 2008, auf dem unter der Überschrift ›Guten Heimflug!‹ ausländische Mitbürger auf einem ›fliegenden Teppich‹ abgebildet waren, ist nicht als Volksverhetzung strafbar.« Das Plakat zeigte drei Personen, die auf einem »fliegenden Teppich« sitzen. Auch das Gericht geht davon aus, daß »es sich um ein türkisch oder kurdisch aussehendes Paar, der Mann mit langem Oberlippenbart und turbanähnlicher Kopfbedeckung, die Frau mit orientalisch gebundenem Kopftuch und einem langen ›sackähnlich geschnittenen‹ Kleid, sowie um einen ›Schwarzen‹ handelt«. Weiter heißt es: »Die türkisch oder kurdisch aussehenden Personen haben lange, gebogene Nasen, die eher ›Vogelschnäbeln als Nasen ähneln‹; der Oberlippenbart des Mannes ist ebenfalls vergrößert dargestellt; er reicht bis auf Kinnhöhe. Der ›Schwarze‹ hat ›überzeichnete wulstige Lippen, krauses Haar und abstehende Ohren. Alle drei schauen mit weit geöffneten Augen und sowohl ängstlichem als auch dummen Gesichtsausdruck‹ nach vorne.«
Das OLG kommt zu dem Schluß, daß ein Angriff gegen die Menschenwürde nicht vorliege. Ein solcher würde voraussetzen, »daß sich die feindselige Haltung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte, wie etwa die Ehre, richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Mißachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird.« Die Text- und Bildkombination auf den Wahlplakaten stelle »ungeachtet ihres möglichen ehrverletzenden Gehalts ein vom Schutzbereich des Artikels 5 des Grundgesetzes erfaßtes Werturteil dar«. Weiter: »Die mit dem Satz ›Guten Heimflug!‹ geäußerte Meinung, die bildlich dargestellten Bevölkerungsgruppen, also zum Beispiel die der Muslime, Türken, Kurden, Farbigen oder generell die in Deutschland lebenden Ausländer, mögen die BR Deutschland verlassen und in ihre Heimatländer zurückkehren, mag ein für diese Gruppen nicht erwünschtes politisches Ziel der NPD zum Ausdruck bringen, allerdings ist hieraus allein noch nicht erkennbar, daß damit den Ausländern ein ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertigen Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft bestritten und ihre Menschenwürde in Frage gestellt oder gar angegriffen wird.«
Die Gerichtsentscheidung wird zum Freibrief für Volksverhetzer: »Auch die Art der Darstellung der Personen stellt keinen Angriff auf die Menschenwürde dar. Die Zeichnung arbeitet mit einem bewußten Hervorheben der bestimmten Bevölkerungsgruppen angeblich typischen körperlichen Merkmale, die diese individualisierbar machen sollen, und verwendet mit dem ›fliegenden Teppich‹ ein mythisches Fortbewegungsmittel, das in Europa vor allem mit orientalischen Märchen in Verbindung gebracht wird.« »Die Parolen ›Juden raus‹, ›Ausländer raus‹ und ›Türken raus‹ enthalten – ebenso wie der Satz ›Guten Heimflug‹ – nach ihrem Wortlaut jedoch keine Aufforderung an andere, gegen die genannten Personengruppen bestimmte Maßnahmen zu ergreifen.« Es werde schließlich keine »nicht verfassungs- und gesetzmäßige gewaltsame Vertreibung der in der BR Deutschland lebenden Ausländer" angestrebt. Die Entscheidung endet mit der Feststellung: »Allein die bloße Ähnlichkeit in der Ausführung der Karikaturen enthält daher nicht die Aussage, daß Ausländer, wie von der Wochenzeitung Der Stürmer für die jüdische Bevölkerung propagiert, unterwertig oder nicht lebenswert sind und deshalb der physischen Vernichtung zugeführt werden müssen.«
Die in der Vorinstanz erfolgte Verurteilung wegen Volksverhetzung wurde aufgehoben, der Verantwortliche für die Wahlplakate freigesprochen. Und das Buch des in seiner Partei fest verankerten Thilo Sarrazin (SPD) ist inzwischen zum Bestseller geworden.