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Wie ich Publizist wurde  (Rolf Gössner)

Ossietzky-Mitherausgeber Rolf Gössner erhielt am 15. Mai den Kölner Karlspreis der im Internet erscheinenden Neuen Rheinischen Zeitung. Bei der Entgegennahme des Preises schilderte er unter anderem, wie er Publizist wurde (Auszüge).

Da der Kölner Karlspreis, im Unterschied zum Aachener, eine Auszeichnung für kritische Publizistik ist, habe ich mich gefragt, wem ich eigentlich das Publizieren ursprünglich zu verdanken habe und warum ich so hartnäckig dabei geblieben bin. Es ist schon eigenartig: Ausgerechnet ein renommiertes, solides schwäbisches Bankhaus, so was gab es mal, hat mich zur Flucht ins Veröffentlichen meiner frühen dissidenten Gedanken getrieben und angesichts des ersten Erfolgs auch noch dazu, immer weiter zu publizieren. Es war Ende der 1960er Jahre, als ich – so um die 20 Jahre jung – in der Landeshauptstadt Stuttgart eine Banklehre absolvierte. Es waren die Zeiten der Studenten- und allmählich auch der Lehrlingsbewegung. Die Berufsausbildung zum Bankkaufmann, die seinerzeit als »Königin der Lehren« galt, entsprach jedoch nicht meinen jugendlichen Vorstellungen, meinen demokratisch-emanzipatorischen Erwartungen und enttäuschte mich schwer. So schwer, daß ich die obligatorischen Lehrlingsberichte, die ich wie alle Auszubildenden zu schreiben hatte, zu »Gegenberichten« umfunktionierte, in denen ich die stupide Sortiertätigkeit in der Überweisungsabteilung, Botengänge und Brötchenholen für die Belegschaft authentisch beschrieb und danach erläuterte, was man alles in dieser oder jener Abteilung hätte lernen können. Diese Gegenberichte schickte ich an Bankvorstand und Personalrat mit dem Angebot, gerne ein Gespräch mit dem Vorstand darüber zu führen.

Doch keine Reaktion – monatelang. Solche Ignoranz irritierte mich als engagierten Lehrling, weshalb ich mich genötigt sah, den Druck zu erhöhen: Und so schickte ich meinen Gegenbericht unter dem Titel »Kritische Lehre« an den Gabler-Wirtschaftsverlag in Wiesbaden, der ihn tatsächlich in seiner in Finanzkreisen viel gelesenen Fachzeitschrift Der Bankkaufmann (Auflage knapp 50.000) veröffentlichte und mir mein erstes Honorar in Höhe von 100 DM zukommen ließ. Meine Kritik am Banklehrsystem führte zu heftigen Diskussionen unter Bankkaufleuten und Auszubildenden – obwohl oder weil die Redaktion den Text mit Lehrherrenmeinungen durchsetzt hatte, etwa: »Lehrjahre sind keine Herrenjahre«, »hier irrt der kritische Lehrling«, »wir sind doch kein Lehrstuhl für Bankwissenschaft« et cetera. Die Diskussionen fielen sehr heftig aus – und siehe da: In diversen Bankinstituten kam es zu Verbesserungen der Ausbildung. Nicht aber in meiner Bank. Dort dauerte es länger, bis spürbare Reformen eintraten: Doch eines Tages wurden die eigentlich interessanten Kredit- und Börsenabteilungen, bislang für Lehrlinge tabu, zu Ausbildungsstätten, plötzlich gab es auch Schulungen außerhalb der Bank, in denen abseits der täglichen Routinearbeit endlich auch finanzpolitische und ökonomische Zusammenhänge thematisiert und behandelt werden konnten.

Diese frühzeitige Erfahrung, daß man mit widerständigem Verhalten und öffentlichem Druck etwas Handfestes erreichen kann, führte mich zum Schreiben und Veröffentlichen als einer Form von Gegenwehr – und beflügelte mich offenbar, immer weiter zu veröffentlichen, bis heute. [...]

Zwölf Jahre nach meinen Stuttgarter Erfahrungen, nach meinem Jura-Studium in Freiburg und meiner Gerichtsreferendarzeit in Bremen erschien 1982 mein erstes, mit dem Journalisten und früheren Wallraff-Mitarbeiter Uwe Herzog verfaßtes Buch »Der Apparat. Ermittlungen in Sachen Polizei«. Es waren Zeiten politisch-sozialer Bewegungen der achtziger Jahre, in denen unsere Polizeikritik große Resonanz erfuhr, auch reichlich Furore in den politisch-sozialen Bewegungen, insbesondere der Anti-AKW- und Friedensbewegung, machte – aber auch innerhalb des Polizeiapparates. Das Buch wurde zum Bestseller und auch in hoher Auflage als Raubdruck in Kölner Kneipen verkauft. Angesichts einer prekären Polizeientwicklung und diverser Polizeiübergriffe und -skandale bot das Buch Initialzündung für einige oppositionelle Projekte: So entstanden in elf Städten Initiativen »Bürger beobachten bzw. kontrollieren die Polizei« und auch die 1985 gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft Kritische Polizistinnen und Polizisten ließ sich hiervon inspirieren. Solche Effekte bestätigten mich darin, mit Schreiben und Veröffentlichen fortzufahren, um damit etwas zu bewegen. Und so wurde aus mir seit den beginnenden achtziger Jahren ein politischer Publizist – parallel zu meinen Berufen als Anwalt und parlamentarischer Berater, die sich im Ideal- und Einzelfall auch bestens kombinieren lassen. [...]

Im Laufe der Jahre, mit der Entwicklung der digitalisierten Mediengesellschaft und abnehmender politisch-sozialer Bewegungen, sind politische Wirkungen immer schwerer gelungen. Trotzdem konnte ich immer auf besonders treue Stammleser und -hörer bauen, wie ich Jahre später erfahren durfte: Nun, jeder Autor und jeder Referent freut sich über eine treue und kritische Leser- und Zuhörerschaft. Und so nahm ich durchaus mit Genugtuung zur Kenntnis, daß Bedienstete des Bundesamtes für Verfassungsschutz über mehrere Beamten-Generationen hinweg zu meinen treuesten Mitlesern und Mithörern gehörten – leider auch zu den verständnislosesten und böswilligsten. Umso mehr freue ich mich über die heutige Würdigung meiner publizistischen Aufklärungsarbeit sowie meines »Doppelsieges« über den Verfassungsschutz des Bundes und Nordrhein-Westfalens. Und ich verspreche Ihnen/Euch (und dem Verfassungsschutz), weiterzumachen – soweit es meine Kräfte zulassen.

Rolf Gössners jahrzehntelange, nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln grundrechtswidrige Überwachung durch den Verfassungsschutz war Thema des Ossietzky-Heftes 22/10 (»Akte Gössner und andere Geheimdienst-Geheimnisse«).