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Titel112013

Schon ein Jahr Hollande  (Christophe Zerpka)

Am 15. Mai jährte sich zum ersten Mal der Amtsantritt von François Hollande. Nach dem egozentrischen Schaumschläger Sarkozy haben die Franzosen nun einen Präsidenten, der immer noch nach seiner Rolle sucht, aber keinen wirklichen Gegenentwurf zu seinem Vorgänger findet. Als langjähriger Parteichef der Parti socialiste (PS) ist er zwar ein routinierter Taktiker, der die verschiedenen Flügel der Partei gegeneinander ausspielen kann, aber von Strategie scheint er nichts zu verstehen. Es grenzt schon an Naivität, wenn man bei der Wahl der Minister auf alte Schulfreunde aus seiner Zeit auf der Eliteschule ENA zurückgreift, um die Ambitionen seiner Parteigenossen zu zügeln. Daß dabei eine so dubiose Figur wie der ehemalige Schönheitschirurg Jérôme Cahuzac zum Budjetminister ernannt wurde, rächte sich, sobald dessen Auslandskonten ruchbar wurden. Während die Arbeitslosenquote langsam steigt, fallen die Umfragewerte für Hollande rapide. Das ist um so bemerkenswerter, als die durch interne Querelen geschwächte Opposition keinen echten Gegenpart zum Regierungslager darstellt. Dagegen meldet sich die innere Opposition in der sozialistischen Partei immer heftiger zu Wort. Bei einem internen Treffen mit sozialistischen Abgeordneten bekam der sozialistische Wahlmonarch die Stimmung seiner Untertanen in drastischen Worten übermittelt. Der Tenor der Botschaft: Die Leute wollen einen Chef, keinen Zauderer und Aussitzer. »Pépère« – Großväterchen – mit diesem wenig schmeichelhaften Kosenamen bezeichnen inzwischen nicht nur frustrierte Parteimitglieder den Mann im Elyséepalast.

Als der Druck von linkem und rechtem Flügel stärker wurde, wich der Präsident auf Nebenkriegsschauplätze wie den Krieg in Mali und die Homoehe aus. Letzteres war eines jener Wahlversprechen, das er ohne große Widerstände glaubte erfüllen zu können. Aber viele Franzosen sahen in den Protesten gegen das Gesetz eine Möglichkeit, ihre Wut zu artikulieren. 74 Prozent der Bürger sind laut Umfragen unzufrieden mit diesem Präsidenten, ein Negativrekord für die Fünfte Republik. Und eben diese Fünfte Republik mit einer Verfassung, die dem Präsidenten eine umfassende Machtfülle einräumt, wird zunehmend in Frage gestellt. Als General de Gaulle 1958 seine Republik ins Leben rief, war dies ein Befreiungsschlag. Die schwache Vierte Republik war von ständigen Neuwahlen und Umbildungen geprägt und wenig handlungsfähig gewesen. Nun aber wird vor allem von der Linkspartei eine neue, eine Sechste Republik gefordert. Anfang Mai veranstaltete die Partei deshalb eine Großdemonstration unter dem Motto: »Für eine Sechste Republik, gegen Finanz und Sparpolitik«.

Der grüne Abgeordnete Noël Mamère schrieb in seinem Blog in einem Beitrag »François Hollande ist nicht Hannah Arendt«: »Eine sozialistische Partei in Fetzen und eine vielschichtige, zerrissene Parlamentsmehrheit. Eine gespaltene Gewerkschaftsbewegung und die garantierte Zunahme eines Nationalpopulismus. François Hollande mag glauben, daß er gegen sein eigenes Lager recht habe. Der großartige Film von Margarete von Trotta ›Hannah Arendt‹ zeigt, daß man gegen sein eigenes Lager denken und recht haben kann. Aber François Hollande ist kein Philosoph aus den 1960er Jahren. Er ist ein Politiker, gewählt von einer sozialen Basis auf Grund eines Minimalprogramms für einen Wechsel und nicht nur wegen der Ablehnung von Nicolas Sarkozy.«

Für Frankreich ist dieses vor einem Jahr gewählte ›kleinere Übel‹ daher eine herbe Enttäuschung, für Europa eine echte Katastrophe. Wer wenn nicht der französische Präsident hätte die Chance, den alternativlosen Merkel-Methoden ein soziales europäisches Gegenmodell entgegenzuhalten, zusammen mit den gebeutelten Südstaaten. Frankreich als zweitstärkstes Land der EU hätte zweifelsohne die Potenz dazu. Stattdessen werden Merkel-Kritiker vom linken Flügel abgekanzelt, wird weiterhin gebetsmühlenartig die deutsch-französische Achse propagiert. Beim Besuch des Finanzministers Pierre Moscovici in Berlin Anfang Mai versprach er im Beisein seines gnädig gestimmten deutschen Kollegen, Frankreich sei dankbar für den gewährten Aufschub beim Haushaltsdefizit und werde die gewonnene Zeit nicht dafür nutzen zu faulenzen. Schon seit Wochen feuern die deutschen Leitmedien Breitseiten auf die französische Wirtschaftspolitik, fordern »Reformen« die die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft auf deutsches Niveau heben sollen, es wird über nicht mehr zeitgemäße »Wohltaten« wie die Rente mit 60 und die 35-Stunden-Woche gelästert. Dem muß eine breite europäische Bewegung mit der Forderung nach einer neuen EU, eine sozialen Gemeinschaft entgegengesetzt werden. Frankreich könnte an der Spitze einer solchen Bewegung stehen. Aber François Hollande scheint solche Ambitionen leider nicht zu haben.