»Übrigens sah der Verurteilte so hündisch ergeben aus,
daß es den Anschein hatte, als könnte man ihn frei auf den Abhängen
herumlaufen lassen und müsse bei Beginn der
Exekution nur pfeifen, damit er käme.«
Diese Beschreibung von Franz Kafka steht als Motto über dem »Schwarzbuch Kapitalismus«. Robert Kurz schrieb diesen »Abgesang auf die Marktwirtschaft« zehn Jahre nach der rasch vereinnahmten »friedlichen Revolution«, 1999. Zuvor, 1994, klang es noch nach wilder Prophetie, als er in seinem »Kollaps der Modernisierung« – gedruckt in der »Anderen Bibliothek« – ankündigte, daß »auch die westlichen Bestandteile des warenproduzierenden Gesamtsystems die Krisenfolgen ebenso hart wie der Rest der Welt zu spüren bekommen«. Als 1999 sein »Schwarzbuch Kapitalismus« erschien, war es noch nicht ganz so weit.
Ein halbes Jahr vor seinem Tod (s. auch Carsten Schmitt in
Ossietzky 17/12) mußte er – in
konkret – längst schreiben: »Griechenland zeigt exemplarisch, daß die Menschen auf Jahre hinaus aufhören müßten zu leben, um weiterhin kapitalistischen Kriterien zu genügen.«
2009, in der Einleitung zur Neuausgabe seines Schwarzbuchs waren vom Sieg der Freiheit nur rauchende Reste geblieben. Kurz erinnert sich: »Francis Fukuyama hatte das »Ende der Geschichte« verkündet; die menschliche Entwicklung sei in der immerwährenden Form von »Marktwirtschaft und Demokratie« an ihr Ziel gelangt. Der professorale Restmarxismus und die politische Linke kamen mit dem Abschwören gar nicht mehr nach; das Bekenntnis zum marktgerechten Realismus war geradezu ein Ritual geworden. Und die »neoliberale Revolution« schien das neue marktradikale Menschenbild unaufhaltsam durchzusetzen. Damals befand sich die kapitalistische Weltökonomie auf dem Höhepunkt einer beispiellosen Hausse der Aktienbörsen.«
Das alles war nur zehn Jahre nach der Erstausgabe seines Schwarzbuchs längst vorbei. Seine düsteren Vorhersagen, ja Berechnungen über die Zukunft des Kapitalismus, die hatten sich als krisensicher offenbart.
Sein Schwarzbuch erwies sich als ein erschreckend abwechslungsreiches Lehrbuch vom Leben und Sterben der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die bei ihrem korrekten Namen zu nennen so lange verfemt war.
Robert Kurz, 1943 in Nürnberg geboren, wurde 1993 in das Deutschen PEN-Zentrum gewählt. Er war Philosoph, Publizist, Journalist, Autor – oft auch zusammen mit seiner Frau Roswitha Scholz – zahlreicher Bücher. Bis 2004 war er Mitherausgeber von
Krisis später, nach einem Streit der dazugehörigen Gruppe, gründete er die Zeitschrift
Exit!
Gegen Ende des Schwarzbuchs Kapitalismus schrieb er über die diesem Gesellschaftssystem verbliebene »Fata Morgana der Dienstleistungsgesellschaft«, indem er sich auch mit unserem Gesundheitswesen beschäftigte, mit der illusorischen Hoffnung, unser Pflegesystem würde verbessert und ausgebaut.
Er zitiert das Wort des Ärztekammerpräsidenten vom »sozialverträglichen Frühableben«, verweist darauf, daß »immer unverhohlener nachgeholfen« wird, in Großbritannien »kalkuliert ein Computer, ob es sich lohnt, Moribunde künstlich am Leben zu halten«. In Deutschland »debattieren Ärzte, Juristen und Ethiker, ob man Komapatienten die Nahrung entziehen kann«, von der in den Niederlanden voll ausgebrochenen Euthanasie nicht zu reden.
Robert Kurz: »Nur vordergründig kann sich dieser mörderische Diskurs mit menschenfreundlichen Argumenten einer ›Abkürzung des Leidens‹ legitimieren. Er verrät sich regelmäßig mit dem Durchschimmern der Kostengesichtspunkte.« Und damit rechtfertigt sich auch Ärztepfusch.
Robert Kurz starb am 18. Juli 2012 in einer Nürnberger Klinik an den Folgen einer Dienstleistung. Er sollte wegen Tumorverdachts an der Niere operiert werden. Doch da war kein Tumor. Der operierende Arzt verletzte die Bauchspeicheldrüse. Es entstanden qualvolle Entzündungen, sechsmal noch wurde Kurz operiert wegen des so erzeugten Fehlers.
Robert Kurz starb, gegen den behandelnden Arzt wird noch immer wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Ja, dieser Tod hätte ihn auch in den Händen eines Medizinmanns im Busch ereilen können, aber er wäre zu vermeiden gewesen, würde sich ärztliche Sorgfalt in unserem ökonomischen Gesundheitssystem auszahlen.
Der herbeigeführte Tod unseres Kollegen Robert Kurz macht wütend.
Nachruf auf Robert Kurz bei der Totenehrung der Jahresversammlung des P.E.N. Zentrum Deutschland am 3. Mai 2013 in Marburg