Soweit zu verstehen ist, machen die deutschen Sparkassen ein solides Geldgeschäft. Darüber hinaus wenden sie sich mit lobenswertem Engagement der zeitgenössischen Kunst zu und suchen dabei nicht, wie oft staatliche Stellen und Museen, mit »Events« den Ruhm, sondern bemühen sich um grundlegendere Kunstförderung in ihrer Region und für die Menschen, die dort leben und mit denen sie sich verbunden fühlen. Beispielsweise greifen sie mit ihrer Kulturstiftung den Mühlhäuser Museen beim Kunsterwerb für die Sammlung Thüringer Kunst und deren wissenschaftliche Publikation unter die Arme. Noch anders in Halle, da die Saalesparkasse mit ihrer Stiftung und mit der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam den Ankauf von Kunst fördert, selbst sammelt und mit Ausstellungen und Veranstaltungen im Kunstforum Halle präsentiert.
In zwei Stockwerken der Villa wird jetzt bis zum 23. Juni die Ausstellung »Leben mit Lust und Liebe« von Willi Sitte gezeigt. Die Presseagenturen hefteten Willi Sitte wie üblich das Epitheton des »umstrittenen Künstlers« an und das Kainsmal, er sei »von 1986 bis 1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED« gewesen.
Doch entgegen dieser reduzierenden Kunstideologie weckt der »Fall Willi Sitte« auch Hoffnung. Denn was vereitelt werden soll, produziert ein Geschehen, womit das Vereitelte anders durchsetzt wird. Wer hätte, als im Jubiläumsjahr des Künstlers 2001 in Nürnberg die große Sitte-Ausstellung politisch scheiterte, die Prognose gewagt, daß fünf Jahre später in Merseburg die Galerie einer »Willi-Sitte-Stiftung für realistische Kunst« eröffnet wird? Wer sich, wie das Kunstforum Halle oder Freundeskreise, Galerien mancher Kunsthändler und kleinere Museen, für Willi Sitte engagiert, vertritt ein bürgernahes Interesse und Gerechtigkeitsempfinden. Das zeigt, wie sich Menschlichkeit und Kunstempfinden über die Grenzen politischer Orientierung erheben und öffentlich werden lassen, was Sitte wesentlich ausmacht: seine Bilder.
Von der Saalesparkasse begrüßte Friedrich Stumpf, der zudem den Vorsitz des Kuratoriums der Willi-Sitte-Stiftung für realistische Kunst in Merseburg inne hat. Zugleich überraschte der Generationswechsel bei den sonst üblichen Laudatoren. Denn der Enkel des Künstlers, Johannes Rohrberg, führte in die Ausstellung ein und zeigte, wie sich in den 80 großformatigen erotischen Handzeichnungen und Grafiken von 1950 bis 1992 die Bedürfnisse über Generationsfolgen hinweg eng berühren. Die Auswahl kuratierte Sittes Tochter Sarah aus ihrem in die Stiftung eingebrachten Kunsterbe.
Als Intention seiner Kunst äußerte Sitte, an der menschlichen Figur festzuhalten und eine »Feier des Guten und Abwehr des Bösen« zu geben. Daß Willi Sitte, 1921 im nordböhmischen Kratzau geboren, von einem nazarenischen Maler schwärmte, spiegeln seine akademischen Anfänge, von denen er in Halle an der Saale, der »vitalsten Stadt in der ostzonalen Malerei« (Fritz Löffler), wegkommen wollte. Das beförderte weniger die Kunstschule Burg Giebichenstein, an der Willi Sitte ja nicht studiert, aber von 1951 bis 1986 gelehrt hatte, sondern der Freundeskreis um Hermann Bachmann. Mit »Querdenken« distanzierte man sich doppelt von der westlich hochgelobten abstrakten Kunst und dem östlich propagierten stalinistisch überformten »Realismus«. Wie Willi Sitte mit Lust an artifiziellen Erprobungen, unter dem Einfluß picassoscher Bildsprache und mit einer mythopoetischen Orientierung ans Werk ging, zeigen die Zeichnungen »Mädchen mit Faun«, 1953, Tusche, Feder, Pinsel, oder »Faschingsfest«, 1956, Kohle. Um seine akademische Perfektion aufzubrechen, zeichnet er 1951 mit einer an einen Stiel gesteckten Feder »3 Frauen mit Männerkopf«. Sitte war auf der Suche nach einer Bildsprache, die – ohne den Boden der Tradition zu verlassen – nicht in den Trivialrealismus abgleitet. Willi Sittes Gestaltungskraft überzeugt, wie er aus der Spannung gegensätzlicher Farbe und Strukturen von Pinselspuren und Federn in Tusche, mit Sepia und Filzstift, das Motivliche entwickelt, konkretisiert und körperhaft räumlich ausprägt, oft mit starken Verkürzungen und futuristischen, simultanen Effekten.
Wir erleben eine Feier in all den Bereichen des Lebens, von der Kindheit bis ins Alter, mit der Natur vereint (»Frau im Wind«, 1969). Ein heiteres Kräftemessen vollziehen etliche Jungen, die nebeneinander »An der Reckstange«, 1961, hängen. Die Bilder von Tanzenden (»Beatliebespaar«, 1965), Badenden, Turmspringer, Familien, Freunden in der Sauna und vor allem die Liebespaare mit Geschlechterkampf, sexueller Eindeutigkeit und erotischer Obsession, sind von einer faunischen Lebensart durchdrängt. Vor allem die Grafik (Zinkografien), eine Serie von 1993, präsentiert mythologische Themen, mit denen Sitte auch jahrtausendealte »Rechte« der Männer aufs Korn nimmt. »Drei Frauen verweigern sich Paris«, 1999, die mit ablehnender Gebärdensprache das Parisurteil gar nicht erst stattfinden lassen. Damit demonstriert der Künstler, der Mythos ist zur ständigen Wandlung und zur Mythenkritik fähig.
Für Willi Sitte existiert der Mensch in der Einheit von Natur und gesellschaftlichem Wesen, wobei auch seine natürliche Körperlichkeit etwas über das gesellschaftliche Leben sagt, über seine Harmonie und Widersprüche. So nachhaltig, wie die erotischen Themen Willi Sittes Lebenswerk bestimmen und oft mit dem Topos Älterwerden verbunden sind, dürfte zutreffen, daß die Kreativität des Künstlers, sein »élan vital« (Henri Bergson), im Geschlechtlichen wurzelt. Visionen vom Menschsein, die sich vor allem in der Liebe gründen, leben in Willi Sittes Bildern als Unabgegoltenes weiter.
Um zu sehen, wie Willi Sitte seinen »dialektischen Realismus« entwickelte, sollten Kunstfreunde die Reise ins benachbarte Merseburg nicht scheuen, wo die Willi-Sitte-Galerie die Hauptschau von »Leben mit Lust und Liebe«, darunter Gemälde aus der Moritzburg, wie das Polyptychon »Unsere Jugend«, 1962, und das Triptychon »Die Liebe«, 1971, bis 15. Januar 2014 zeigt.