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Vom Kriegsgegner zum »Novemberverbrecher«  (Jörg Wollenberg)

Im Januar 1926 hielt der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Dittmann (SPD) eine sechsstündige Rede vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Reichstages zur Dolchstoßlegende. Mit dieser die Geschichte fälschenden Zwecklüge hatten Rechtsparteien und nationalistische Gruppen behauptet, daß das deutsche Heer im Felde nicht militärisch besiegt, sondern von »hinten erdolcht« worden sei – durch die Anhänger der Novemberrevolution von 1918. Dittmanns Ausführungen über die Marinevorgänge von 1917 und 1918 schlugen wie eine Bombe ein. Der von der USPD im November 1918 in die Revolutionsregierung, den »Rat der Volksbeauftragten«, delegierte einstige Koordinator der »radikalen Mehrheit« gegen den Krieg hatte die amtlichen Geheimakten von 47 Schiffsprozessen, 13 Aktenbände des Reichsmarineamtes und 14 des Reichsgerichtes sorgfältig durchgearbeitet, um zur Aufklärung über das Gewalt- und Willkürregiment in der Reichsflotte während des Krieges beizutragen. Seine dazu zeitgleich vorgelegte Broschüre über die »Marine-Justizmorde von 1917 und die Admirals-Rebellion von 1918« sicherte die weitreichende Publizität in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit ab. Dazu von den Rechten mit Mordanschlägen bedroht, sah Dittmann sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gezwungen, im Februar 1933 als verfolgter »Novemberverbrecher« in die Schweiz zu fliehen. Lange wartete der prominente linke Sozialdemokrat als einstiger Minister und Fraktionsvorsitzender auf einen Rückruf aus den Reihen seiner Partei nach 1945, die ihn erst 1951 mit einem Posten im Parteiarchiv abspeiste und sich verweigerte, seine umfangreichen Erinnerungen zu veröffentlichen. Allzu deutlich hatte Dittmann dort den Anpassungskurs der SPD-Führung von 1933 ebenso kritisiert wie den von 1914, als sich die Organisationen der Arbeiterbewegung auf einen »Burgfrieden« mit den politisch-militärischen und wirtschaftlichen Eliten einließen. Der Glaube an den »Verteidigungs«-Charakter der deutschen Kriegsführung führte zu dieser Fehleinschätzung von 1914, die die Spaltung der Partei zur Folge hatte. Und so konnte Kaiser Wilhelm II. verkünden, er kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. »Bruder Hitler« (Thomas Mann) sollte diese fiktiven seelischen Verbindungen von Volk und Führer noch einmal überhöhen.

Ein ähnliches Schicksal wie der gelernte Tischler aus Eutin erlebte der in Hamburg geborene Künstler Cesar Klein. Der Maler, Grafiker, Bühnenbildner und Architekt beteiligte sich zusammen mit Wilhelm Dittmann in der Novemberrevolution an der Herausgabe des »Revolutionsalmanach« für 1919. Mit den Anhängern der USPD plädierte er für »Freiheit und Sozialismus« und entwarf für die Partei von Dittmann im Januar 1919 ein Wahlplakat, in dem die »Arbeiter, Bürger, Bauern, Soldaten aller Stämme Deutschlands« aufgefordert werden, sich in der Nationalversammlung zu vereinen. Mit Max Pechstein und Walter Gropius gehörte Cesar Klein zu den Begründern der revolutionären »Novembergruppe« und wurde 1919 als Lehrer an der Hochschule der bildenden Künste in Berlin in den Vorstand des »Arbeiterrats für Kunst« gewählt. Schon vor dem Krieg war er als Begründer der »Neuen Secession« in Berlin an der Durchsetzung der Kunst der Moderne in Deutschland beteiligt gewesen. 1933 wurde Cesar Klein als »entarteter Künstler« seine Berliner Professur durch die NS-Reichskulturkammer aberkannt. Diffamiert und ausgegrenzt überlebte er die NS-Zeit zurückgezogen in der »inneren Emigration« im ostholsteinischen Pansdorf, wo ich ihn als Nachbarn meiner Großeltern persönlich kennenlernte. Das Ostholstein-Museum in Eutin widmete Klein jetzt eine gut dokumentierte, eindrucksvolle Ausstellung, die allerdings den Kriegsgegner von 1914 und den politischen Graphiker Cesar Klein aus den Revolutionsjahren ausklammert.

Besser davon kamen die Anhänger des »Eutiner Almanachs« im Eutiner Dichterkreis. Mit seinen Mitgliedern – unter anderem Hans Friedrich Blunck, der als Nachfolger von Heinrich Mann zum Präsidenten der gesäuberten Preußischen Akademie der Dichtung aufstieg, oder Hermann Claudius, Gustav Frenssen und Edwin Erich Dwinger. Sie alle engagierten sich für Eutins Weg vom »Weimar des Nordens« zur »Hochburg des Nationalsozialismus«. Und sie verherrlichten mit dem Herausgeber des Eutiner Almanachs, Christian Jenssen, die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, die »stürmischen Ereignisse dieses zweiten Völkerringes unseres Jahrhunderts, das Gestalt und Wesen Europas endlich von seiner natürlichen Mitte her für eine weite Zukunft bestimmen wird« (Almanach 1940, S. 118). Es erübrigt sich hinzuzufügen, daß diese Anhänger des »Flammenrausches des Vaterlandes« (Theodor Lessing) in der Regel ohne große Einschränkungen ihre Karriere nach 1945 fortsetzen konnten und mit dazu beitrugen, daß entschiedene Gegner des Nationalsozialismus und Vertreter des Exils wie die aus Lübeck stammenden Brüder Heinrich und Thomas Mann oder Willy Brandt nach 1945 als »Vaterlandsverräter« diffamiert wurden und Kommunisten ausgegrenzt blieben.

Erich Mühsam, der 1878 geborene Sohn eines jüdischen Apothekers aus Lübeck (Löwen-Apotheke), gehörte mit dem Redakteur des Lübecker Volksboten Fritz Solmitz (SPD) zu den gesellschaftskritischen Publizisten, die 1933 in die frühen Konzentrationslager eingeliefert und von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Der als Anarchosyndikalist zeitlebens ausgegrenzte freie Schriftsteller Erich Mühsam war schon wegen »sozialistischer Umtriebe« in Lübeck von dem Gymnasium verwiesen worden. Der engagierte Kriegsgegner des Ersten Weltkrieges und Verteidiger der Münchener Räterepublik von 1919 beteiligte sich an allen »Kampfkomitees« gegen den aufkommenden Nationalsozialismus, die ihn früh als »meistgehaßten Roten« verfolgten, ihn noch in der Nacht des Reichstagsbrandes (28. Februar 1933) verhafteten und schließlich am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg von der SS ermorden ließen.