Das Hamburger Pressehaus wurde umstellt. Bundesanwälte und Polizei drangen in die Spiegel-Redaktion ein, durchschnüffelten jedes Blatt Papier, setzten Redakteure fest. Rudolf Augstein kam erst nach 103 Tagen wieder frei. Und Konrad Adenauer sprach am 7. November 1962, unterbrochen durch Zwischenrufe von Abgeordneten der damaligen SPD: »Wir haben einen Abgrund von Landesverrat in unserem Land.«
Heute haben wir ihn. Die Hauptverdächtigen – Angela Merkel und Thomas de Maizière – befinden sich auf sehr freiem Fuß, der Generalbundesanwalt ist seit Wochen in »Prüfverfahren« untergetaucht, um zu »klären«, ob »ein Anfangsverdacht« für eine in seinen Zuständigkeitsbereich fallende Straftat wie Landesverrat vorliegt. Die Bundesanwaltschaft tut, was sie, bevor sie 1962 zuschlug, nicht tat: Sie prüft, sie prüft, sie prüft, und bei Redaktionsschluß dieses Heftes prüft sie immer noch, stets nach bestem Wissen und Gewissen, von dem auch die Kanzlerin und ihr Gehilfe immerdar geleitet waren.
Denn bei ihr – »Abhören unter Freunden, das geht gar nicht« – geht inzwischen alles, nachdem sogar der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Amt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) ein wenig auf Distanz gegangen sind.
Das Wort Landesverräter ist ein großes Wort. Es dient normalerweise dazu, die Menschen zu diffamieren, die das Richtige tun, um dem Frieden zu dienen. Carl von Ossietzky war im Kampf gegen illegale Rüstung so ein vorbildlicher Landesverräter, Edward Snowden ist es im Widerstand gegen den totalen Überwachungsstaat heute. In diesem Sinne sind Merkel und de Maizière des Landesverrats kein bißchen schuldig.
Haussuchungen und Beschlagnahmen im Kanzleramt und in Pullach gab es bisher nicht – da können nach zum NSU-Schutz vielfach bewährten Verfassungsschutzbrauch erstmal alle belastenden Akten geschreddert werden. Merkel und de Maizière haben nach bestem Wissen und Gewissen unser Land, ja ganz Europa an die lückenlose Überwachung durch den NSA ausgeliefert. Und an dessen Wirtschaftsspionage zugunsten von US-Konzernen.
Doch das aufzudecken, dekretiert die Bundesregierung, verstößt gegen »das Staatswohl«. So etwas gibt es zwar in absolutistischen Kabinettsverordnungen, unser Grundgesetz kennt derlei Verschwurbeltes nicht. Dennoch der Jurist Heribert Prantl in der Süddeutschen: »Das Staatswohl war und ist nicht dadurch gefährdet, daß die rechtswidrigen Aktionen von NSA und BND bekannt werden, sondern dadurch, daß Angela Merkel und ihr Bundeskanzleramt seit zwei Jahren nichts zur Aufklärung dieser Abhörskandale getan haben. Das ist der Skandal nach dem Skandal. Wenn die Medien diese monströse Untätigkeit öffentlich machen, begehen sie keinen Geheimnisverrat, sondern tun ihre Pflicht. Wer deren Erfüllung kriminalisieren will, macht sich verdächtig.«
Verdächtig? Merkel und de Maizière wären längst überführt, wenn die Bundesanwaltschaft endlich handeln möchte – oder dürfte?
Inzwischen durfte die Bundesregierung – will sie widerspenstige Abgeordnete des deutschen Bundestages an die USA ausliefern? – den Untersuchungsausschuß bedrohen. Ihr »Staatswohl«-Gutachten zeigt den Volksvertretern die Instrumente: Wenn die Ausschußmitglieder Edward Snowden zur Aussage vorladen, machen sie sich strafbar. Rechtsgrundlage für diesen Erpressungsversuch: eine dem Regierungsgutachten beigefügte Expertise von US-Anwälten, die den Mitgliedern des Ausschusses mit Strafverfolgung droht, wenn sie Snowden vernehmen. Es sei in den USA strafbar, wenn Snowden veranlaßt werde, geheime Informationen preiszugeben. Und das gelte auch für die Bundestagsabgeordneten, weil Snowden von den USA mit internationalem Haftbefehl gesucht werde.
Wäre es da nicht besser – zum Landesverrat bitte noch den Hochverrat – die Bundesregierung gliederte die Bundesrepublik Deutschland als 51. Staat den United States of America an? Dort im Inland dürfen US-Bürger – und das sind wir dann auch – nicht ausspioniert werden.