Die Glocken der Nikolaikirche dröhnen über den Alten Markt. Es ist Gottesdienst. Auf dem Platz vor dem Potsdamer Landtag ein Rudel Wölfe. Es sind Skulpturen aus Bronze in natürlicher Wolfsgröße und zugleich erschreckende Mischwesen. Das ist keine Ausstellung, die sich gegen reale Wölfe richtet.
Initiatoren der Wolfs-Aktion sind die Brüder Rainer und Harald Opolka von der Zweibrüder Kunst @ Kultur GmbH. Sie sind aktiv im Förderkreis »Denkmal für die ermordeten Juden in Europa« und wurden für ihre Arbeit ausgezeichnet. Im Beiheft »Die Wölfe sind zurück?« liest man den verwaschenen Untertitel »Den Opfern von Krieg, Hass und Gewalt gewidmet«. In einem Vorwort schreibt Rainer Opolka – Buchautor und bildender Künstler –, dass auf Hass Gewalt folgt. Dabei bezieht er sich auf den heutigen Hass gegen Flüchtlinge, den Pegida, die AfD und die NPD schüren. Im Jahr 2015 kam es zu 20.000 rechtsmotivierten Straftaten. Auf den Facebook-Seiten der Neo-Nazis »Brauner Humor 2.0« sind rassistische Plakate der NPD zu sehen. Über einem Berg von Leichen ist zu lesen: »Juden retten die Energiewende, genug Brennmaterial bis 2020«. Ein anderes Plakat verkündet: »Kein Bock auf Flüchtlinge/ Werde aktiv/ Asylschmarotzer? Nein danke!« Asylbewerberheime brennen, Autos werden angezündet, Menschen rassistisch beleidigt, niedergeschlagen oder getötet. Hass und Ängste führen zu Gewalt. Ein Großteil der Menschen ist durch Arbeits- und Perspektivlosigkeit sozial abgedriftet und wird durch eine seichte Medienwelt bewusst von den Widersprüchen der Gesellschaft ferngehalten. Da dient dann die »Flüchtlingskrise« als Ventil, aufgeheizt wird die Lage durch rechtsradikale Hetze und verzerrte Nachrichten.
Die 63 Skulpturen der »Wolfsmenschen« sind jeweils etwa 280 x 100 x 150 Zentimeter groß und wiegen 250 Kilogramm. Sie werden von einem Anführer mit dem Hitlergruß aufgehetzt. Goldfarben hebt er sich vom Rudel ab. Fast alle Wölfe sind ihm zugewandt. Viele von ihnen sehen nichts, sie tragen eine Augenbinde. Da gibt es den »Mitläufer«, den »Blind Soldier«, den »Blinden Hasser«, den »Kraftprotz«, den »NSU-Mann« mit der Pistole und andere. Einige Wölfe stehen aufrecht; Oberkörper, Arme und Beine erinnern an menschliche Anatomie, doch die Wolfspfoten und ein buschiger Schwanz kennzeichnet sie als Tiere. Meist aggressiv und gnadenlos, bedrohen sie den Betrachter. Da ist kein Mitgefühl zu erwarten. Das Rudel wird umrahmt von Informations-Tafeln, auf denen zum Beispiel steht: »Wir sind harmlos und schießen auch nicht auf sie!« oder »Wo gehetzt wird, wird später auch getreten!« Ein Beiheft schließt mit der Frage: »Was können wir tun, damit niemand mehr hassen muss?« Auf einer großen Tafel werden die Besucher gebeten, ihre Meinung aufzuschreiben. Da gibt es viele gute Gedanken, aber auch einige wenige Nazi-Parolen. Der Besuch der Ausstellung wird zur Lehrstunde für Solidarität und Demokratie. Es bleibt zu hoffen, dass diese Art, die Menschen wachzurütteln, ihnen zu zeigen, wohin die gefährliche Reise gehen soll, Erfolg hat.
Das Gedächtnis der Menschen ist erstaunlich kurz. 1952 mahnte Brecht: »Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!« Diese Ausstellung vermittelt auf eindrucksvolle Weise Denkanstöße. Sie war bereits in Dresden zu sehen, geht nun nach Hamburg und soll in allen Bundesländern gezeigt werden. In Potsdam war auf einem Aufsteller zu lesen: »Potsdam bekennt Farbe!« Wäre es da nicht überzeugend, wenn der Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche, eines Symbols des preußischen Militarismus, der schließlich zum Faschismus führte, und in der Hitler durch Hindenburg seine Weihen erhielt, als »Versöhnungszentrum« unterbliebe?