erstellt mit easyCMS
Titel1116

Unter Sonstiges: Komponisten aus der DDR  (Sigurd Schulze)

Beinahe könnte man reden wie der Bundesverband der Deutschen Industrie: »In Doitschland herrscht großer Mangel an Fachkräften!« Immerhin sind in Berlin gleich drei Chefdirigentenstellen ein Jahr lang unbesetzt. Aber so einfach ist das nicht. Zwar gibt es Dirigenten genug, aber Spitzenorchester wollen Spitzendirigenten. Die aber sind auf Jahre hinaus gebunden bei großen Orchestern in München, Dresden, Los Angeles, London, Venedig und so weiter.


Glück hatten nach langem Schwanken die Berliner Philharmoniker. Sie kriegen ihren gerade entdeckten Wunschkandidaten Kirill Petrenko, in Berlin bestens bekannt als Generalmusikdirektor der Komischen Oper, zur Zeit Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper München, jüngst wieder gewählt zum Dirigenten des Jahres. Sir Simon Rattle beendet seine Tätigkeit als Chefdirigent des Orchesters im Jahre 2018. Da aber lassen die Münchener ihren Chef noch nicht weg. Also tritt Petrenko sein neues Amt erst im Herbst 2019 an. Ein Jahr lang werden die Berliner Philharmoniker ohne Chef arbeiten, was man ihnen als in der Selbstverwaltung erfahren zutraut. Petrenko aber, der die Berliner Philharmoniker bislang nicht mehr als dreimal, doch mit nachhaltigem Eindruck, dirigiert hat, wird mit großer Neugier bereits ab Herbst 2016 Konzerte des Orchesters leiten und sich »einarbeiten«. Voll und ganz ist er erst 2020 da, denn während der Saison 2019/20 muss er noch beide Orchester führen. Vertrag ist Vertrag.


Harmonisch löst das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ein ähnliches Problem. Marek Janowski hatte sich nach 13 Jahren Chefstellung entschlossen, seine Arbeit mit dem Orchester im Oktober 2015, ein Jahr vor dem Ende seines Vertrages, zu beenden, um sich eigene Wünsche erfüllen zu können, etwa in Bayreuth. Ihm folgt Wladimir Jurowski, ein gefragter Dirigent, zum Beispiel an der Komischen Oper, am Theater Bologna, beim Russischen Nationalorchester, in Salzburg, Wien und Zürich. Seinen Chefposten beim London Philharmonic Orchestra nimmt er bis 2017 wahr. In der Übergangszeit wird Janowski bis Ende 2016 sechs Konzerte dirigieren. Ab Januar 2017 wird Jurowski das Orchester bereits bei mehreren Projekten leiten, bis er im August 2017 offiziell das Amt antritt.


Ein Interregnum wird es auch beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (DSO) geben. Der vom Orchester 2012 begeistert aufgenommene Tugan Sochijew ist zum Musikdirektor des Bolschoi Theater berufen worden und beendet im Juni 2016 vorfristig sein Amt in Berlin. Als sein Nachfolger wurde der Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra, Robin Ticciati, gewonnen. Seinen Vertrag hat er bereits feierlich unterzeichnet, seine Tätigkeit beginnt jedoch erst im September 2017. Orchesterdirektor Alexander Steinbeis wendet die Pause ins Positive: In der Saison 2016/17 werden vier ehemalige Chefdirigenten dirigieren: Wladimir Aschkenasi, Kent Nagano, Ingo Metzmacher und Tugan Sochijew sowie eben Ticciati. Am 6. November begeht das DSO sein 70jähriges Bestehen. Das Festkonzert leitet Nagano. Ein weiterer Höhepunkt wird die Uraufführung eines Konzerts für Violine, Violoncello und Orchester von Jelena Firssowa unter Leitung Tugan Sochijews sein. Und Martin Grubinger kommt wieder mit einem eigens für ihn komponierten Konzert für Schlagzeug und Orchester. Gut vertreten sind im Programm entsprechend den Vorlieben der Chefs französische und britische Werke, auch mit russischer und slawischer Musik hat Sochijew das Publikum begeistert. Ein Problem ist nicht zu übersehen. Als RIAS-Symphonie-Orchester entstanden, heißt das Orchester jetzt Deutsches Symphonie-Orchester. Sein Repertoire umfasst 98 Komponisten. Darunter findet sich kein einziger Komponist der DDR. Der Name des Orchesters verleitete mich zu der Frage, ob das Deutsche Symphonie-Orchester auch deutsche Komponisten aus der DDR entdecken wolle. Alexander Steinbeis beantwortete sie mit dem Hinweis auf die Aufführung der Deutschen Sinfonie von Hanns Eisler im Jahre 2009. Man muss Ingo Metzmacher nicht folgen, der einst das Deutsche in der Musik finden wollte. Eine Ironie liegt allerdings in solchem Anspruch angesichts des großen weißen Flecks auf der musikalischen Landkarte, der offiziell »Beitrittsgebiet« heißt, aber dessen Anschluss am Ende nichts anderes als ein großes Orchestersterben zeitigte.


Das DSO ist keine Ausnahme. Die Spuren von DDR-Komponisten sind spärlich. Sowohl in der Staatsoper im Schillertheater als auch in der Deutschen Oper und in der Komischen Oper vermisst man Opern von Paul Dessau, Siegfried Matthus oder Udo Zimmermann. In der Staatsoper sind die Thüringer Komponisten Susanne Stelzenbach und Helmut Zapf an einer Werkstatt-Produktion beteiligt. Von John Rausek wird ein Stück für Flöte solo mit Tonband und Projektion uraufgeführt. Beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin erscheint in der Liste der Komponisten unter »Sonstiges« Musik von Hanns Eisler und Paul Dessau auf dem Programm eines Gastkonzerts mit Filmmusik in der Alten Oper Frankfurt. »Da zappelt wenigsten was«, wie die Fernsehleute sagen. Auch die Berliner Philharmoniker führen aus einer Anzahl von 152 Komponisten immerhin ein Werk von Siegfried Matthus im Kammermusiksaal auf. Diese Übersicht ist ein Jahresausschnitt, begrenzt auf die Berliner Orchester, die ihr Programm für 2016/17 bereits bekannt gegeben haben. Ein Zufallsprodukt? Der Deutsche Musikrat grübelt noch über seine Meinung.