Augen zu. Hausgemachte Wehrmachtsverherrlichung (Ulla Jelpke)
Vorwärtsverteidigung: So kann man die Strategie der Verteidigungsministerin nennen, mit der Affäre um den rechtsextremen Soldaten Franco A. und der Wehrmachtsverherrlichung in der Truppe umzugehen. Niemand inszeniert sich derzeit so sehr als Wehrmachts-Ausputzerin wie Ursula von der Leyen.
Das bringt ihr eine Menge Kritik ein, zuallererst von Seiten der Bundeswehr-Generalität, die jetzt fürchtet, für ihre jahrelange Taktik des Wegsehens, Ignorierens und Duldens rechter Umtriebe verantwortlich gemacht zu werden. Äußerst rechtslastige Kritik kommt aber auch von der SPD, die der Ministerin vorwirft, die Bundeswehr zu »verunsichern«. Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping verglich die Suche nach Wehrmachts-Reliquien gar mit einer »Hexenjagd«.
Nun ist von der Leyen mitnichten die Speerspitze der Antifa in der Bundeswehr. Der Staub, den sie derzeit durch das Wegräumen von Wehrmachtshelmen aufwirbelt, hat nicht zuletzt die Funktion, dahinter ihre eigene Verantwortung zu verbergen.
Anlass dafür hätte sie genug: Jahr für Jahr erkundigt sich die Linksfraktion in Kleinen Anfragen danach, wie die Bundeswehr mit Soldaten umgeht, die wegen rechter Umtriebe auffällig geworden sind. Die Meldungen an den Wehrbeauftragten suggerieren, dass da genau hinschaut werde. Aber was passiert denn dann mit diesen Soldaten? Die Antworten der Bundesregierung zeigen, dass sie häufig im Dienst verbleiben, trotz Hakenkreuzschmierereien, Hitlergrüßen und SS-Parolen. Beispiele aus dem Jahr 2016:
Ein Freiwillig Wehrdienstleistender befestigt ein Hakenkreuz auf der Kapuze seiner Feldjacke. Er verbleibt im Dienst, hat weiter Zugang zu Waffen. Ein Zeitsoldat outet sich gegenüber dem Finanzamt als »Reichsbürger«. Das Finanzamt informiert das Verteidigungsministerium. Der Soldat bleibt im Dienst, hat weiter Zugang zu Waffen. Ein Soldat streckt beim Verlassen der Kaserne die Hand zum Hitlergruß aus dem Auto und ruft dem Posten »Heil Hitler« zu. Er verbleibt im Dienst und hat weiter Zugang zu Waffen. Kommentar des Verteidigungsministeriums hierzu, datiert vom März 2017: Es handele sich jeweils um »Einzelfallentscheidungen«, die »nicht zu beanstanden« seien.
Eine Ministerin, die nichts daran findet, dass selbst »Reichsbürger« weiterhin ihre Schießkünste in der Truppe verfeinern dürfen, trägt selbst erheblich zu jenem Korpsgeist bei, den sie nun der Truppe vorwirft. Denn das bewirkt selbstverständlich, kritische Soldaten von entsprechenden Meldungen abzuhalten, weil ja sowieso nichts passiert.
Und was die Wehrmachtsverherrlichung angeht: Im Juli 2014 teilte von der Leyen auf Anfrage der Linksfraktion zur Umbenennung von nach Wehrmachtsgenerälen benannten Kasernen lapidar mit, man könne Traditionsbewusstsein nicht »von oben« verordnen, die Standorte sollten selbst entscheiden. Das ist angesichts des politischen Bewusstseins in der Truppe nichts anderes als ein Freibrief für die Wehrmachtsverherrlichung. Dementsprechend hat die Belegschaft der Lent-Kaserne in Rotenburg/Niedersachsen Mitte Mai entschieden, an ihrem Namensgeber festzuhalten: einem Wehrmachtsflieger, der noch im Sommer 1944 vom Endsieg phantasierte, Durchhalteparolen von sich gab und jedes Kapitulieren für »unvereinbar mit der deutschen Soldatenehre« erklärte.
Ebenfalls im Mai 2017 formuliert das Verteidigungsministerin als Antwort auf die Frage: »Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung im Allgemeinen dafür, Kasernen nach (nazi-)systemkonformen Wehrmachtsoffizieren zu benennen?« dies: »Das BMVg hat die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen.« Mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges zerbricht man sich also im bundesdeutschen Verteidigungsministerium immer noch darüber den Kopf, wie man jetzt eigentlich zu den Wehrmachts-Kämpfern steht?
Seit Jahrzehnten behaupten Verteidigungsminister, dass die Wehrmacht kein Vorbild sei, und schieben dann hinterher: Ausnahmen sind natürlich möglich. »Nicht die Wehrmacht, aber einzelne Soldaten können traditionsbildend sein, wie die Offiziere des 20. Juli, aber auch wie viele Soldaten im Einsatz an der Front«, formulierte Volker Rühe 1995, konfrontiert mit der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht«.
Notabene: Der Einsatz an der Front diente auch dann, wenn er ohne »extra« Verbrechen erfolgte, der Verteidigung einer Front, hinter der Auschwitz lag. Was soll daran »traditionsbildend« sein?
Tatsächlich liegt das Problem weniger darin, dass in Kasernenräumen ein paar Wehrmachtshelme vor sich hin stauben. Das Problem ist vielmehr die Gesinnung: Dass Soldaten heute noch glauben, man könne positiv an die Wehrmacht anknüpfen. Dass sie glauben, es ließe sich legitimerweise unterscheiden zwischen der angeblichen »militärischen Effizienz« der Wehrmacht oder »soldatischen Tugenden« wie Disziplin und Tapferkeit auf der einen Seite, und dem verbrecherischen Zweck, dem diese Eigenschaften zugutekamen, auf der anderen Seite.
Woher kommt das? Ein Grund hierfür liegt zweifellos darin, dass die Bundeswehr seit 1990 zur »Einsatzarmee« getrimmt wird. Dass 1999 völkerrechtswidrig Jugoslawien bombardiert wurde, dass 2003 völkerrechtswidrig der Irak-Krieg unterstützt wurde, dass die Bundeswehr potentiell die ganze Welt zum Einsatzgebiet erklärt. Das befördert einen »Kämpfer-Kult«, der sich in Sprüchen wie »Klagt nicht, kämpft« ausdrückt, der zunehmend auf militärische Professionalität setzt und das Primat der – demokratischen – Politik als lästige Eingrenzung der Einsatzbereitschaft abtut. Der »apolitische« Kämpfer, der einfach macht, was ihm befohlen wird, ohne nach (Völker-)Recht und (Grund-)Gesetz zu fragen, kann in der Wehrmacht genauso sein Vorbild sehen wie der Neonazi.
Es gäbe zwei Alternativen, da herauszukommen: Zum einen die strikte Beachtung des Grundgesetzes und den Rückbau der Truppe zu einer Armee, die Landesverteidigung macht und sonst nichts. Zum anderen – und das ist durchaus im Sinne der herrschenden Politik – die schrittweise Ablösung des Wehrmachts-Kämpfer-Kultes durch die Etablierung eines genuinen Bundeswehr-Kämpfer-Kultes, der sich zum Beispiel am Afghanistan-Krieg orientiert. Diese Art von Modernisierung ist es, die von der Leyen meint, wenn sie kritisiert, die alten Wehrmachts-Vorbilder seien nicht mehr »zeitgemäß«.