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Titel1119

Ursachen eines Bebens  (Conrad Taler)

Nicht die Selbstentblößung zweier Rechtspopulisten aus der ersten Reihe und auch nicht das Zustandekommen der Videoaufzeichnung des Gesprächs der beiden mit einer angeblich reichen Russin in einer Villa auf Ibiza sind das Wichtigste an dem politischen Beben in Österreich, sondern die Ursachen und die Umstände des Aufstiegs einer Partei wie der FPÖ. Auch hier gilt, wie in der Physik und anderswo: Von nichts kommt nichts.

 

Dass ein begnadeter Demagoge wie Jörg Haider, politisch erstarkt im Grenzland Kärnten, aus der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) binnen weniger Jahre einen bestimmenden Faktor des politischen Lebens in Österreich machen konnte, hat mit der Geschichte des Landes zu tun, genauer gesagt mit der langen gemeinsamen Regentschaft der beiden großen Parteien. In den 72 Jahren seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es nur 28 Jahre, in denen Österreich nicht von einer Großen Koalition regiert wurde. Achtmal stellte die Österreichische Volkspartei (ÖVP) den Bundeskanzler und siebenmal die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ). Das führte mit der Zeit zu einer Verkrustung des politischen Lebens und einer Menge Unzufriedenheit bei vielen Menschen, die sich vernachlässigt und ausgegrenzt fühlten.

 

Das Versprechen der FPÖ, diese Verkrustung aufzubrechen, fiel auf fruchtbaren Boden. Bei der Nationalratswahl erreichte die Partei 1999 mit 26,9 Prozent ihren bisher höchsten Stand. Die SPÖ blieb damals zwar mit 33,1 Prozent stärkste Partei, hatte aber einen Rückgang von 4,9 Prozent zu verzeichnen und galt als Wahlverlierer. Die FPÖ unter Jörg Haider gewann 5 Prozent hinzu und war damit neben der ÖVP, die 1, 37 Prozent verloren hatte, mit ebenfalls 26,9 Prozent zweitstärkste Kraft. Die Regierungsbildung war schwierig und zog sich bis ins Jahr 2000 hin. Am Ende verbündete sich Schüssels ÖVP mit der FPÖ, die damit zum ersten Mal in einer österreichischen Regierung saß.

 

Protestdemonstrationen im ganzen Land waren die Folge. In Wien strömten nach Schätzungen der Polizei 150.000 und nach Schätzungen der Veranstalter 250.000 Menschen zu einer Kundgebung zusammen. Die Reaktion der europäischen Partnerländer war ebenfalls heftig. Wolfgang Schüssel klagte in seiner ersten Regierungserklärung: »Unsere europäischen Partner und andere Länder nehmen Anstoß an der Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei. Von 15 Mitgliedsländern haben 14 beschlossen, die bilateralen Kontakte zum Partnerland Österreich einzufrieren.« Härte, Ausmaß, Geschwindigkeit und Art des Vorgehens hätten Österreich schockiert.

 

Von der einst klaren Abwehrhaltung der Europäischen Union ist wenig geblieben. Als 18 Jahre später der neue Hoffnungsträger der ÖVP, Sebastian Kurz, die FPÖ wieder in die Regierung holte und gleich danach seine Aufwartung beim EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker in Brüssel machte, hielt dieser sich sämtliche Hintertüren offen. Er erwähnte den rechten Koalitionspartner der ÖVP mit keiner Silbe, sagte aber auf Nachfrage, er wolle sich nicht an Vorverurteilungen der neuen Regierung beteiligen. Er lese nur das Regierungsprogramm, das Kurz ausgehandelt habe, und das finde er stimmig. Damit hatte der Newcomer freie Bahn und nachträglich auch den Segen für seine Beteiligung an der Abschottung der Balkanroute gegenüber Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten.

 

Wer nach den Gründen des Rechtsrucks in Europa sucht, findet hier einen Teil der Erklärung. Die eigentlichen Ursachen liegen woanders und viel tiefer: in der weltweit zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich als Folge der Globalisierung, in dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Fremdbestimmung durch anonyme Kräfte außerhalb des eigenen Blickfeldes, gegenüber dem Raubbau an der Natur, der Beschädigung des Klimas durch den Wachstumswahn der Industriestaaten. Den Rest besorgt der chauvinistische Berserker im Weißen Haus mit seinem »America First!«. Das ist der Nährboden, auf dem Rechtspopulismus gedeiht. Wes Geistes Kind diese Leute wirklich sind, zeigt das »verstörende Sittenbild«, von dem der österreichische Bundespräsident Van der Bellen gesprochen hat, als es um die Konsequenzen aus der Selbstentblößung der beiden FPÖ-Spitzenpolitiker bei dem Treffen in der Villa auf Ibiza ging. Sich mit solchen Leuten politisch einzulassen geht niemals gut.