Erleichtern neue Begriffe in der Arbeitswelt den Arbeitsalltag? In der »Datenwolke« oder mit der »Menge« Menschen über Internetplattformen zusammenzuarbeiten – Cloud-Working und Crowd-Working werde von immer mehr Beschäftigten gefordert, heißt es. Klingt auch besser, als ein Arbeiten in der Freizeit anzuweisen und permanent erreichbar sein zu müssen. Die Wirkung bleibt dieselbe – es gefährdet die Work-Life-Balance. Selbst beim französischen Konzern Saint-Gobain wird ein Agile Coach gesucht – es scheint also ein europäischer Trend zu sein. Immer mehr englischsprachige Begriffe dominieren den Arbeitsalltag.
Vielleicht verlangt das Unternehmen zukünftig eine transparente Arbeit der Belegschaft durch Working Out Loud (WOL). Der WOL-Berater Jon Stepper fordert dazu auf: »Mach deine Arbeit sichtbar« und »Biete Hilfe an, anstatt dich großspurig selbst darzustellen«. Dafür werden Circles genutzt, das sind Gruppen von bis zu fünf Beschäftigten, die sich zwölf Mal für eine Stunde pro Woche treffen, wobei einer als Moderator eingesetzt wird.
Manchen reicht das nicht. »Die Arbeit wird in und durch regelmäßige Treffen synchronisiert: Tacticals finden »am Anfang jeder Woche in Kreisen [im Kreis sitzend] statt«, fordert Carsten Schermuly eine radikal neue Gesprächskultur. Bei Issue-specific Meetings werden »spezifische Probleme behandelt, die nicht in den Tacticals gelöst werden konnten«. Gesteigert wird dies durch Governance Meetings: »Falls sich viel in der Organisation ändert, dann finden sie monatlich statt. Hier werden der generelle Zweck und die Ziele eines Kreises hinterfragt«, so der Experte für Wirtschaftspsychologie.
Aus Sicht der Beschäftigten gilt jedoch: »Don't believe the hype«, nicht jeder neue Begriff verheißt auch Neues. Denn verkündet der Teamleiter des Callcenters im Sinne der Digital Leadership, zukünftig die Beschäftigten – auch Agents genannt – per Coaching zu unterstützen, bedeutet dies in der Praxis meist: erweiterte Kontrolle durch Mithören von Telefongesprächen und Schikane durch verstärkte Fehlersuche. Offensichtlich reicht dem Vorgesetzten das Monitoring nicht mehr aus – was wie ein unverbindlicher Blick auf den Bildschirm klingt, ist die permanente Überwachung der Dauer von Telefongesprächen, mit Vergleich der Lohnabhängigen untereinander per Benchmarking.
»Ein ganz wesentlicher Bestandteil agilen Organisationsverständnisses ist die Ermächtigung der Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen«, meldet der Bundesverband der Personalmanager. »Dieses Phänomen lässt sich unter dem Schlagwort Empowerment zusammenfassen«. Shopfloor-Management dient in der Praxis vor allem dazu, die Arbeit transparent zu machen – eingesetzt wird oft ein Shopfloor-Board, auf dem Zahlenvorgaben visualisiert werden. Teammitglieder treffen sich regelmäßig in sogenannten Stehungen oder Stand-ups und werden so kontrolliert.
Über Global Talent Trends berichtet eine Studie der international tätigen Unternehmensberatung Mercer. Für Beschäftigte werde der »Sinn einer Tätigkeit inklusive des nötigen Freiraums für Lernen und Experimentieren« immer wichtiger. Auch ein Sachzwangargument darf nicht fehlen: Die Digitalisierung im Betrieb habe große Bedeutung, denn es gehe darum, »den Abstand zwischen der digitalen Alltagswelt der Mitarbeiter im privaten Bereich und ihrem Arbeitsumfeld bzw. der digitalen Organisation zu verringern«. »Permanente Flexibilität« sei bei heutiger Arbeit gefordert, betonen die Berater von Mercer.
Die Digitalisierung erleichtert dem Management das Vorgehen, Technik dient der Kontrolle: Tracking ist die Verfolgung anhand von Aufzeichnungen, etwa wenn Arbeitszeitbeginn, das Einloggen im Rechner und die Kantinenabrechnungen kombiniert werden. Auch die Verfolgung des Kommunikationsverhaltens gehört dazu: An wen werden Mails geschrieben, mit wem erfolgen Videokonferenzen, wie häufig werden Betriebsratsmitglieder kontaktiert? Scoring wiederum ist eine Methode, um die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Verhalten vorherzusagen. Das Programm »Workday« wirbt mit einem Algorithmus, der Beschäftigte erkennt, die demnächst kündigen werden – indem Mail-Verhalten, Arbeitszeitkontostand, Stellenprofil und vieles mehr aus dem Intranet und dem Internet verknüpft werden.
Ein wichtiges Element sollen Digital Labs sein, sogenannte digitale Labore. »Orientiert an Erfahrungen der Startup-Szene werden damit ›unternehmensinterne Denkfabriken‹ bezeichnet, in denen kreative Freiräume für unternehmensinterne Mitarbeiterteams geschaffen werden«, erläutert der Management-Berater Ernst Tiemeyer. Wichtig sei, »das richtige Bewusstsein im Unternehmen zu schaffen«. Neu zusammengesetzte Gruppen mit kreativen Beschäftigten, die aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen kommen – etwa Anwendungsentwickler und Produktdesigner – sollen »unbelastet von zentralen Unternehmenszwängen Ideen« entwickeln. Ein häufiges Argument: Wir leben in einer V.U.C.A.–Welt. Diese sei geprägt von Volatilität, also Unbeständigkeit durch erhöhte Veränderungsgeschwindigkeit, Unsicherheit und Complexity, auf Deutsch »Komplexität«. Dazu gehört auch Ambiguität, die Mehrdeutigkeit von Informationen, die durch »Big Data« nicht einfach zu interpretieren sind.
Dass Unternehmen diese Veränderungen massiv vorantreiben und Technik gezielt einsetzen, wird weniger thematisiert, wenn Beschäftigte mit dem täglichen Change im Betrieb konfrontiert werden. Es soll nach Sachzwängen klingen, die aus der Digitalisierung resultieren. Hierzulande sei man »Veränderungen gegenüber sehr skeptisch. Dinge brauchen länger, um disrupted, grundlegend neu organisiert zu werden«, kritisiert Rahmyn Kress von der Geschäftsführung des Henkel-Konzerns.
Telekom-Ex-Vorstand Thomas Sattelberger – heute Bundestagsabgeordneter für die FDP – benennt offen, dass es trotz neuer Begriffe um Altbekanntes geht: Zugunsten der Unternehmen seien »Anpassungen in der Gesetzgebung: im Sozialversicherungsrecht, im Arbeitsrecht, im Arbeitsschutz« erforderlich. Digitalisierung zur Deregulierung nutzen – so lautet die Strategie. »Wir sollten unsere Arbeit an der Qualität des Outputs, nicht an der Büropräsenz messen«, fordert Martin Kaelble vom Capital-Magazin.
Auch vor den Gewerkschaften machen die neuen Begriffe nicht Halt. In einem Working Paper untersucht die Hans-Böckler-Stiftung die Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten wie Foodora and Deliveroo. Unter dem Motto »Riders Unite! Fair Delivery!« haben sich Anfang Februar zum zweiten Mal scheinselbständige Lieferdienstfahrer aus der gesamten Republik getroffen. Eingeladen hatte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die auch die Kampagne »Liefern am Limit« unterstützt. »Wir haben einen Nerv getroffen«, sagt Sarah Jochmann. Die Sprecherin der Kampagne hält die Vernetzung über Facebook für wichtig. Die Beschäftigten fordern höhere Löhne und Entschädigungen für eingebrachte Arbeitsmittel, etwa ihre Fahrräder. Frei nach dem Motto »Gemeinsam sind wir stark!«