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Nicht im Archiv erstickt  (Irene Teichmann)

Wer nach Franken reist, um Kunst kennenzulernen, sollte nicht nur die Städte Bayreuth, Bamberg, Nürnberg oder Würzburg besuchen, sondern – vorzugsweise am Sonntagnachmittag – auch einen Abstecher in die Marktgemeinde Neunkirchen am Brand (Landkreis Forchheim) wagen. Dort steht eine sehenswerte Kirche aus dem 14. Jahrhundert, die Pfarrkirche St. Michael, und in ihrem Schatten, im »Zehntspeicher«, gibt es ein kleines bemerkenswertes Museum, das Felix-Müller-Museum. Es ist einem »unbekannten« Künstler, dem Bildhauer und Maler Felix Müller (1904–1997), gewidmet. Müller gehörte zu den hoffnungsvollen Talenten des 20. Jahrhunderts, deren Künstlerbiografie aber gebrochen wurde; bei ihm sogar dreimal. Müller arbeitete sein ganzes Leben gegen diese Brüche an. Davon zeugen seine Skulpturen und Bilder, die im Museum zu sehen sind, aber auch seine zahlreichen Briefe, in denen er davon erzählt hat.

Felix Müller wurde 1904 in Augsburg als Sohn eines Eisenbahnarbeiters geboren. Von 1917 bis 1920 wird er an der Handwerkerfachschule in Fürth zum Holzbildhauer ausgebildet. Mit dem Gesellenbrief in der Tasche geht er – nach alter Tradition – auf Wanderschaft. Auf den Straßen in Süddeutschland zeichnet er Bettler, Musikanten, Obdachlose, außerdem »studiert« er, wo immer sich Gelegenheit bietet, auch Werke großer Künstler seiner Zeit, wie Ernst Barlach, Oskar Kokoschka, Emil Nolde, aber auch solche von van Gogh und von barocken Meistern. 1927 gibt er die eintönige Arbeit in einer Stilmöbelfabrik auf und wagt in Laubendorf (Landkreis Fürth) den Einstieg in einen »schönen Beruf«, wie er einem Freund schreibt. Er wird freischaffender Künstler. Von nun ab schnitzt er Kruzifixe für Priester, malt farbenprächtige Landschaften, formt Figuren aus Ton. Es ist ein entbehrungsreiches Leben, und er meistert es nur dank seiner großen Leidenschaft und der Hilfe vieler Freunde. Sie kaufen nicht nur seine Arbeiten, sondern versorgen ihn auch mit Farben und vermitteln Aufträge. Ab 1928 gelingt ihm der Durchbruch als Künstler. Jahr für Jahr werden nun Arbeiten von ihm in Nürnberger Ausstellungen gezeigt. Mit seinen Plastiken und Bildern findet er nach und nach auch Anerkennung bei Kritikern und Kollegen. Der Weg in die Öffentlichkeit ist 1934 schlagartig zu Ende. Gauleiter Julius Streicher schmäht zwei Tonskulpturen des Künstlers, »Schäfer« und »Bettler«, als »undeutsch« und lässt sie aus einer Ausstellung entfernen. Das kommt einem Ausstellungsverbot gleich. Felix Müller zieht sich in seine Laubendorfer »Werkstatt« zurück und arbeitet besessen weiter. Bei allem, was er nun zeichnet, formt und malt, ist er sich immer bewusst, dass er sich damit in Gefahr begibt.

 

»Ich bin beständig voller Gedanken, ein Teil davon feiert im Jahr über dann Auferstehung in Farbe u[nd] Holz. Alles andere ist mir so egal wie nur was. Ich gehe meinen Weg, verstehst Du! Ich lebe mein Leben. U[nd] schaffe mein Schaffen. Ein Abweichen wäre Feigheit u[nd] Fahnenflucht vorm eigenen Ich«, schreibt er 1939 an einen Freund.

 

In jener Zeit entstehen Werke von großer Expressivität, wie die Zeichnung »Meine Mutter 64 Jahr« und auch die Holzskulptur »Krist am Kreuz«. Beide Werke sind im Museum zu sehen. Das Kruzifix gilt in seiner expressiven Darstellung menschlicher Verzweiflung heute als eines der herausragenden Werke des Künstlers. Im Mai 1940, zwei Wochen nach der Fertigstellung, wird er auch aus dieser Periode herausgerissen und zum Kriegsdienst einberufen. Damit gingen, so notiert er später, für ihn als Künstler neun Jahre verloren.

 

Als Felix Müller 1948 völlig mittellos aus französischer Gefangenschaft zurückkehrt, lässt er sich in Neunkirchen am Brand nieder, dem Ort, in dem seine Mutter den Krieg überlebte. Sofort beginnt er wieder zu arbeiten. Der Start ins Künstlerleben beginnt hoffnungsvoll. Denn schon ein Jahr später wird er von der 1947 gegründeten Künstlergruppe »Der Kreis« eingeladen, in Nürnberg auszustellen. Aber er muss auch Geld verdienen, und so konzentriert er sich erst einmal auf das, was in der Nachkriegszeit gebraucht wird. Er entwirft und schnitzt Haustüren, er entwirft Grabsteine, Firmenschilder, Brotschalen und vieles andere mehr. In den 50er Jahren entstehen aber auch faszinierende Porträts seiner Frau Gertrud, seiner Mutter und das Bronzerelief »Nocturno«, ein Hohelied auf die Liebe. Mit diesen Werken kann er zwar an die Erfolge vor 1934 anknüpfen, jedoch bleibt er ein Regional-Künstler. Der westdeutsche Kunstbetrieb hatte begonnen, sich auf Abstraktes zu orientieren. Felix Müller aber arbeitet nach wie vor figürlich, wenn nun auch in einem eigenen Stil. Damit ist ihm der Weg in die westdeutsche Kunstszene weitgehend verwehrt. Er baut sich abseits des Kunstbetriebes einen Freundeskreis von Sammlern auf, mit denen er regen Austausch, auch in Briefen, pflegt. Es entstehen nun aber auch Werke für den öffentlichen Raum, Mahnmale gegen den Krieg, Grabplatten, Entwürfe für Kirchenfenster, Landschaftsbilder, in denen die Farben regelrecht explodieren, Ansichten der Kirche von Neunkirchen am Brand, Madonnenfiguren.

 

In den 1980er Jahren beginnt er sein Werk zu sichten und zu ordnen. Sein großer Wunsch ist es, dass seine »Arbeiten in keinem Archiv ersticken«, so kommt es für ihn nicht infrage, den Nachlass dem Pfalzmuseum in Forchheim oder gar dem renommierten Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu überlassen. Seit 1984 ist er Ehrenbürger der Marktgemeinde Neunkirchen am Brand, und so verfügt er, sein Werk der Gemeinde zu übergeben, und verpflichtet sie, den Nachlass zu erhalten und öffentlich zu präsentieren.

 

Drei Jahre nach seinem Tod, am 21. Juli 2000, wird das Felix-Müller-Museum im ersten Stock des »Zehntspeichers« eröffnet. 2007 gibt der Markt Neunkirchen Müllers Briefe an seinen Freund Karl Schwab heraus, drei Jahre später erscheint der Briefwechsel des Künstlers mit seiner Mutter während der Kriegsgefangenschaft.

 

Im Juli besteht das Museum zwanzig Jahre. Gefeiert werden sollte das mit einem Konzert und mit einer Ausstellung, in der auch Leihgaben aus Privatbesitz zu sehen sein sollten. Beides ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Aber vielleicht gelingt es dem Museum, das jährlich bisher nur 900 Besucher zählt, schon vorher Aufmerksamkeit außerhalb der Region Nürnberg, Erlangen, Fürth und Forchheim zu finden. Denn dort gibt es nicht nur das Werden eines Künstlers im 20. Jahrhundert zu erkunden, sondern auch einige herausragende Kunstwerke zu entdecken.

 

 

Das Museum ist seit dem 17. Mai wieder geöffnet, immer sonntags von 15 bis 17 Uhr. Weitere Informationen zum Museum unter www.neunkirchen-am-brand.de/freizeit/fmm