Wer die FAZ-Leitartikel mit kühlem Kopf verfolgt, fragt sich, wer da Koch und wer Kellner ist. Anfang Juni schoß Nikolaus Busse Störfeuer auf den bevorstehenden Besuch des neuen russischen Präsidenten Medwedjew in Berlin und gegen die »Hinwendung zu Rußland«. Die »deutsche Umarmungspolitik« führe nur dazu, »daß wir uns zu eng an Moskau binden«, schlimmer noch: »Im Streit über die amerikanische Raketenabwehr gestand die Bundesregierung den Russen ein Mitspracherecht zu, das einer Veto-Möglichkeit faktisch ziemlich nahe kommt.« Das ist schlimm genug. Es kommt aber noch schlimmer. Diese Moskowiter wollen offensichtlich in Georgien und in der Ukraine ihre eigene Politik machen statt unserer amerikanischen: »Fragwürdig ist auch der Glaube, daß Rußland zur Lösung weltpolitischer Probleme beitragen könne – und wolle.« Wenn diese Russen also nicht wie wir können und wollen, muß die Berliner Regierung andere Saiten aufziehen. In FAZkes Deutsch übersetzt heißt das: »Eine Partnerschaft ist das nicht. Wenn die neue Moskauer Doppelführung weiter so dafür dankt, daß ihr der rote Teppich ausgerollt wird, dann wäre es an der Zeit, die deutsche Rußland-Politik zu überdenken.«
Wir verstehen, es geht gegen Schröders Umgang mit Rußland und Merkels leise Neigung in diese Richtung.
Sollte das so weiter eskalieren, kann es nur darauf hinauslaufen: »Ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!«
Ist das übertrieben? Es kommt jedenfalls nicht aus heiterem Himmel. Kurz vorher stand in einem Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: »Die veränderte internationale Lage erfordert vom vereinigten Deutschland ein Engagement – auch militärisch … auf allen Gebieten stehen unangenehme, aber auch unumgängliche Entscheidungen bevor … Da ist mit der Linkspartei kein Staat zu machen, nicht im Bund und auch nicht in Hessen.«
Das steht jetzt als Zitat einfach so hier, und später soll uns mal keiner mit der Ausrede kommen, er habe nichts gewußt und sowas auch nicht gewollt.
Dazu gibt’s eine lange Tradition. Im FAZ-Leitartikel »Sieg und Niederlage« vom 20. April 1985 schrieb Joachim C. Fest: »Jenseits bloßer Gedenkroutine bietet der 8. Mai daher auch für den Westen ein Bild der Widersprüche, Sieg und Niederlage in einem. Zu feiern ist das Ende Hitlers, und der Toten soll man sich erinnern. Gleich dahinter beginnen die Fragen.« Welche Fragen? Fest fragte vorher schon selbst. »Im Februar 1943, so berichtet Ernst Jünger, tauchte an den Mauern Pariser Häuser häufig, mit Kreide geschrieben, das Wort Stalingrad auf. ›Wer weiß,‹ fragte der Dichter sich, ›ob sie dort nicht mitbesiegt werden?‹« Ach ja, Hitler ist tot. Jünger lebt.
1943 siegten die Sowjets in Stalingrad, 1945 in Berlin. 1990 zogen diese Bolschewisten aus Deutschland ab. Heute geht es gegen die Russen. Schließlich schlugen wir sie schon, bevor sie Kommunisten wurden, 1914 bei Tannenberg und danach in Brest-Litowsk.
Unterziehen wir uns der Mühe, 100 Leitartikel des kapitalen Zentralorgans nebeneinander zu präsentieren, ergäbe sich eine veritable Traditionslinie permanenter Ostfeindschaft. Ob hinterm Ural oder an der Wolga und am Kaukasus, die Herrschaften wollen vergessen machen, daß sie schon mal als geprügelte Hunde das Land verlassen mußten. Wo bleiben eigentlich die Interessen derer, die mit Rußland, China und so weiter gut im Geschäft sind? Es sieht so aus, als hätten sich 100 Jahre heißer und kalter Krieg bei vielen Redakteuren derart in die PC-Festplatten eingefressen, daß sie weiterhin nur noch saudummes Kriegsgeschrei herunterladen können. Offenbar vermag gegen die ständige Hetze nicht mal eine erfolgreich Handel treibende Wirtschaft etwas auszurichten. Jeder Saftladen funktioniert besser als der Überbau des mainisch-rheinischen Kriegs- und Korruptionskapitalismus.
Inzwischen liegt der Moskauer Staatsbesuch in Berlin hinter uns. Merkel lächelte und mahnte Menschenrechte an, Medwedjew lächelte zurück und warnte vor weiterer Ost-Erweiterung der NATO.
Noch einmal Stalingrad gefällig? Hoffentlich sind unsere Politiker klüger als die leitartikelnden Brandstifter.