Wer von Monstern redet, meint es nicht sonderlich ernst. Das ist die Sprache des Kinderbuchs. Dort ist von Krümelmonstern und wilden Kerlen die Rede, die auch als Monster nicht sonderlich ernst zu nehmen sind. Jedes Kind durchschaut das. Wenn aber der Präsident des Landes, um wiedergewählt zu werden, gut populistisch, also auch kindgerecht, von den internationalen Finanzmärkten als Monstern spricht, zitieren es die Zeitungen, als wäre es ernst gemeint. Dabei wollte Horst Köhler doch nur für die Undurchschaubarkeit und Unlenkbarkeit kapitalistischer Märkte eine plastische und kritisch klingende Metapher finden. So wie es Müntefering mit seinen Heuschrecken vorgemacht hatte.
Das Wichtigste in diesem Zusammenhang ist das Adjektiv »international«. Denn was international ist, ist noch immer verdächtig, in Deutschland allzumal. Das galt für die Sozialistische Internationale, das gilt auch für das »internationale Finanzkapital«, vor allem das angelsächsische, hinter dem sich alle möglichen Monster verbergen. Entsprechend illustriert die Wirtschaftswoche das Wort des Präsidenten. Auf der Titelseite vom 26. Mai greifen sich schwarze Krallen von außerhalb ein tempelartiges Gebäude, das für die Börse steht, aber auch assoziativ für die ganze abendländische Kultur stehen kann. Die eine Seite ist schon von Reißzähnen abgebissen: »In den Klauen des Monsters. Die Folgen der Finanzkrise für Unternehmen, Anleger und Wirtschaft.« Auf blutrotem Hintergrund.
Bei den Krallen und Reißzähnen denkt jeder an die seit Jahren verbreiteten Bilder vom »Raubtierkapitalismus«, aber auch, tiefer in die Geschichte zurück, ans »raffende Kapital«, das bekanntlich das »schaffende« bedrängt, aussaugt und zu vernichten droht. Doch wie verträgt sich das mit der Tatsache, daß deutsches Kapital längst selbst in aller Welt mitmischt, sogar bei den Hedgefonds und anderen monströsen Anlageformen? Ganz einfach: Die Monster, das sind immer die Anderen. Wir doch nicht.
Die Zeitschrift Capital exerzierte das im März mit einem verblüffend ähnlichen Titelblatt durch. Ebenfalls auf blutrotem Hintergrund erschien ein schwarzes, bedrohliches Krallentier, diesmal aber war es der urdeutsche Adler, als Symbol für »Die neuen Waffen des Steuerstaats«. Als Monster erschienen hier die das Unternehmertum und die »wirtschaftlichen Leistungsträger in der Mitte« quälenden Steuern, vor allem die Pläne der SPD, unter dem Druck der Linken den Reichen etwas mehr Geld fürs Gemeinwesen abzuknöpfen. Der Staat wurde so dargestellt, als ob er von außen käme und nicht Ausdruck der realen Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft wäre, also eher ein Staat des Kapitals – das aber seine Soldschreiber immer dann gegen ihn Stimmung machen läßt, wenn er ihm auch nur minimal, und sei’s zum Zweck des Systemerhalts, in die Quere kommt.
Beide Zeitschriften bedienen so die Ängste der selbständigen und lohnabhängigen Mittelschichten und versuchen diese mit den großen Unternehmen und Banken, die ebenfalls möglichst niedrige Steuersätze und Sozialabgaben wünschen, in einer Allianz zusammenzuführen. Dementsprechend macht sich im Editorial der Wirtschaftswoche Chefredakteur Roland Tichy unter dem Titel »Schummel-Scholz« über den Armuts- und Reichtumsbericht des Sozialministers lustig. Und der unvermeidliche Professor Sinn aus München darf mit statistischen Zaubertricks beweisen, daß es in Deutschland gar nicht so viele Arme gibt. Hartz IV mache nicht arm, sondern glücklich. Auf jeden Fall sei es in anderen Ländern schlimmer.
Im Editorial von Capital schrieb Chefredakteur Klaus Schweinsberg unter der Überschrift »Sind Top-Manager asozial?«, daß die Rezepte der Linken gegen die Asozialität auf jeden Fall falsch seien: »Will man das weitere Auseinanderdriften zwischen denen da oben und denen da unten wirklich verhindern, so bedarf es keiner Reichensteuer, keiner Deckelung von Gehältern, keiner härteren Strafen für Wirtschaftsdelikte.« Stattdessen schlug Schweinsberg Maßnahmen zur persönlichen Läuterung vor, die nicht viel kosten und, was das Wichtigste ist, die ungestörte Kapitalverwertung nicht tangieren: »Es mag verstörend klingen, aber warum sollte der Chef eines Dax-Konzerns nicht verpflichtet werden, mehrere Tage im Jahr im Krankenhaus die Bettpfannen auszuleeren, in der Suppenküche für Obdachlose zu helfen oder einsame Menschen zu besuchen?«
Also: Ran an die Bettpfannen! Mit ihnen kann man sogar Monster vertreiben.