Man hätte dieses Zeitalter auch »das schreckliche« nennen können, sagt Ortrud Westheider, die Direktorin des Hamburger Bucerius-Kunst-Forums. Im Titel der Ausstellung von Portraits aus der US-amerikanischen High Society im ausgehenden 19. Jahrhundert heißt es »Gilded Age«, also vergoldet. Der Name stammt von Mark Twain und Charles Dudley, die im Jahre 1873 ihre Sozialsatire »The Gilded Age. A Tale of Today« veröffentlichten. Nach dem Bürgerkrieg, der 1865 geendet hatte, erlebte das Land einen riesigen – wie heißt es heute – Aufschwung. Aus einem Agrar- wurde ein Industriestaat. Öl- und Stahl-Barone mit eigenen Eisenbahnlinien und Dampferflotten wollten ihre Macht nun auch in Gemälden für die Nachwelt dokumentieren. Geld-Adel: Wer keine Ahnengalerie vorzuweisen hat, schafft sich eine. Man sah nach Europa, die Paläste und Villen der Renaissance wurden nachgebaut und Maler engagiert, die in München oder Paris studiert hatten und wußten, wie Herrscher darzustellen sind.
Die Hamburger Ausstellung gibt mit 42 meist sehr großen Gemälden und 23 Portraitminiaturen ein Abbild dieser Upper-Class, der oberen Vierhundert, die alles beherrschten. Prächtige Roben der Damen, Seide, Samt, Spitze, Schmuck, die Herren manchmal im Pelz. Die Hände sind oft verräterisch: verkrampft in unnatürlicher Haltung. Fast alle Bilder stellen den ganzen Körper dar und lassen auch kostbarem Mobiliar Platz. Die Nachkommen niedlich im Spitzenkleidchen oder schon ganz der künftigen Aufgabe bewußt: herrisch-breitbeinig im Matrosenanzug, rechts oben das goldene Wappen auf dem Vorhang. Wie De Lancey Iselin Kane. Seine Vorfahren stammten aus Irland, das O´Kane war nicht mehr gefragt. Der Geld-Adel durfte nur noch Kane heißen. Der Matrosenanzug-Junge wurde Erbe des Astor-Vermögens, der Großvater mütterlicherseits war der New Yorker Bankier Adrian Iselin.
Da sind die Vanderbilts, vielleicht die Reichsten. Für das Bild von George W. Vanderbilt, dem jüngsten von acht Kindern, hat sich der Maler James McNeill Whistler von Velazquez inspirieren lassen. Der junge Mann, der sehr gebildet gewesen sein soll – ein anderes Bild zeigt ihn mit Buch – hat einen Großteil seines Vermögens in Kunst und seltene Bücher investiert. Aber auch in eine Privatresidenz mit 250 Zimmern. Sein Bild zeigt ihn ganz schmal, im Reitanzug mit Gerte, alles in sehr düsteren Farben. Wer sich da mit wem durch Heirat verband und so das Immobilien- und Bankvermögen mehrte und welcher Maler wen kannte und malte, wer zu den Bällen eingeladen wurde, wer – nach Skandalen – in Europa Unterschlupf fand in eigenen Villen oder auf der Yacht in Venedig, all das ist nachzulesen im Katalog.
Ein Doppelportrait, Vater und Tochter: Henry Clay Frick und Helen Clay Frick. Er, einer der mächtigsten Industriellen der USA, versorgte die Stahlindustrie mit Koks und war mit 30 Jahren Millionär. Er übernahm die Leitung des Stahlkonzerns Carnegie Brothers and Company. Laut Katalog war er ein »unermüdlicher Arbeiter und entschiedener Gegner von Gewerkschaften«. 1892, nachdem er 4000 Stahlarbeiter aus dem Carnegie-Werk in Pennsylvania hatte aussperren lassen, drang ein »Anarchist« in sein Büro ein, schoß und stach mit einem Messer auf ihn ein. Frick überlebte. Er überwarf sich mit Carnegie und verließ den Konzern. In einem nachfolgenden Prozeß erhielt er als Abfindung Aktien im Wert von 65 Millionen Dollar. Schon bald saß der »fleißige und umtriebige« Frick in mehreren Konzernvorständen. Auch Kunst sammelte Vater Frick eifrig, Tizian, Bellini, Rembrand, Vermeer. Das Gemälde von Edmund C. Tarbell zeigt den alten, weißhaarigen Mann vorn im Bild: »Fricks kämpferische Entschlossenheit und Dynamik ist fast mit Händen zu greifen«, so der Begleittext. Seine Tochter, die 95 Jahre alt wurde und nie heiratete, hinter ihm im hellen Kleid und Hut, etwas unscharf oder weichgezeichnet, aber »das ins Auge genommene gemeinsame Ziel vereint Vater und Tochter«.
Dem Maler Julius LeBlanc Stewart wurde schon 1889 bestätigt: »Nie malt er eine Frau, die nicht wenigstens wie eine Baronin anmutet, und alle seine jungen Mädchen sehen aus wie die Töchter von Herzoginnen.« Wer solche Bilder schuf, gehörte dazu. Es gab auch einzelne Malerinnen. Sie wurden meist nur für Kinderbildnisse herangezogen.
In seinem informativen Katalogbeitrag: »Vergoldete Zeiten – Das New York der Reichen gestern und heute« schlägt Eric Homberger die Brücke zum zweiten Gilded Age, das noch anhält. Es bedeutet nichts anderes »als Vormacht des Marktes, Steuererleichterungen für die Reichsten der Reichen und strikte Ablehnung staatlicher Regulative«. Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert wurden in den USA noch gar keine Steuern erhoben. Dann machten sie dem ersten Gilded Age ein Ende. Und heute? Die Immobilien-Pleiten treffen nicht den Club der Vierhundert, den amerikanischen Adel. Noch immer gilt: »Mit all ihrem Wohlstand kreisen sie in ihrer überirdischen Umlaufbahn, unwiderruflich losgelöst von der Erde, auf der wir anderen zufällig leben.« (Homberger)
Ein kurioser, aber nicht unpassender Einfall des Bucerius-Kunst-Forums: Es hat den Bundesverdienstkreuzträger und NDR-Royalisten vom unermüdlichen Dienst Rolf Seelmann-Eggebert gewonnen und kündigt für den 25.Juni seinen Vortrag an: »Zum dynastischen Selbstverständnis des amerikanischen Bürgertums im Gilded Age.«
Der Katalog ist im HirmerVerlag erschienen, 216 Seiten, 24,80 € (im Buchhandel 34,80 €).