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Titel1209

Benedikt und die Piusbrüder  (Gerhard Feldbauer)

Seit Beginn seines Pontifikats führt Benedikt XVI. eine Offensive gegen jede Modernisierung der katholischen Kirche in einer pluralen Welt. Gleich mit »Deus caritas est« setzte er die unselige, Ende des 19. Jahrhunderts unter Leo XIII. beginnende Reihe der Sozialenzykliken fort. Die katholische Soziallehre habe über den Marxismus gesiegt, schrieb er und bekräftigte die Verdammung des Sozialismus als »Pest« und die »Wegweisung«, wie der Staat gegen ihn »mit starker Hand« vorzugehen habe, wenn sich die Massen »von üblen Doktrinen hinreißen lassen«.

Mit der Seligsprechung von 498 Kreuzrittern General Francos schloß er sich der von Pius XI. begründeten, von Pius XII. fortgesetzten Tradition des Bündnisses mit Reaktion und Faschismus an. Auf dieser Linie liegt auch sein zu Anfang dieses Jahres erlassenes Dekret über die Rehabilitierung der vier Bischöfe, die der 1991 verstorbene französische Erzbischof Marcel Lefebvre 1988 ohne Erlaubnis des Papstes geweiht hatte. Einer von ihnen ist der Holocaustleugner Richard Williamson aus Großbritannien. Benedikts Vorgänger Johannes Paul II. hatte Lefebvre und die Vier gleich 1989 exkommuniziert.

Die 1970 von Lefebvre gegründete, nach Pius X. (Papst von 1903 bis 1914) benannte Piusbruderschaft, der die Vier angehören, steht mit ihrem Haß auf Juden, Muslime, Homosexuelle und alle irgendwie Abtrünnigen auf dem äußersten rechten Flügel des Katholizismus. In Deutschland zählt sie etwa 500 Priester und mehr als 10.000 Anhänger. Weltweit geht die Zahl der Anhänger in die Hunderttausende. Feste Niederlassungen bestehen in 30 Ländern, die Zentrale befindet sich in der Schweiz. Den Zahlen nach (0,02 Prozent der Katholiken) ist sie einer Sekte vergleichbar, doch ihren Einfluß sollte man nicht unterschätzen.

Lefebvre hatte sich auf dem zweiten vatikanischen Konzil (1962–1965) der von Johannes XXIII. angestrebten vorsichtigen Anpassung der katholischen Kirche an neuzeitliche Entwicklungen widersetzt, vor allem der Toleranz unter den Religionen. Dem Dekret »Über die Religionsfreiheit«, einer Absage an Antijudaismus und Antisemitismus, hatte er seine Zustimmung verweigert. Ganz in der Tradition der Päpste Pius XI. und Pius XII. pflegte Lefebvre auch Beziehungen zum weiterbestehenden oder wiedererstehenden Faschismus der Nachkriegszeit, so zu Jean Marie Le Pens Front National, über den sich auch der Generalobere der Piusbruderschaft, Bernard Fellay, anerkennend äußerte und für den er Gottesdienste zelebrierte.

Schon als Leiter der Glaubenskongregation suchte Joseph Ratzinger eine Aussöhnung mit Lefebvre, scheiterte aber daran, daß dieser keinerlei Zugeständnisse machen wollte. Im Sommer 2005, gerade Papst geworden, empfing er Fellay und den deutschen Vorsteher der Piusbruderschaft, Franz Schmidberger, zu neuen Gesprächen, in denen Fellay darauf bestand, die Beschlüsse des Konzils müßten zurückgenommen werden. In diesem Wunsch stimmt Benedikt zwar mit ihm überein, kann das aber nicht so offen äußern. Jedenfalls gestand er den Piusbrüdern zu, daß die Messe nach altem Ritus wieder öfters in Latein abgehalten werden darf. Einen Schritt zurück ging er auch im Verhältnis zu den Juden. Deren Verurteilung im Karfreitagsgebet war unter Johannes XXIII. gemildert worden. Benedikt denkt eher wie der Kirchenlehrer Cyprian von Karthago, den er ausdrücklich zu seinen Leitbildern zählt. Cyprian verkündete vor 1800 Jahren: »Der Teufel ist des Juden Vater« und stempelte die Juden als »Gottesmörder« ab.

Im Mai 2008 wurde die Piusbruderschaft als Vereinigung anerkannt, was ihr jedoch nicht genügte. Im Dezember 2008 stellte Schmidberger in einem Rundbrief an alle 27 deutschen Bischöfe klar, daß »die Juden unserer Tage« des »Gottesmordes mitschuldig (sind), solange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren«. Williamson wiederholte im Januar 2009 gegenüber dem schwedischen Fernsehen seine ungeheuerliche Geschichtslüge: »Kein einziger Jude ist in einer Gaskammer umgekommen.« All das hielt Benedikt nicht davon ab, sein Rehabilitierungsdekret zu erlassen.

Es folgten zahlreiche Proteste. Der Ehrenpräsident der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie, Professor Peter Hünermann, sprach von einem »skandalösen Amtsmißbrauch« des Papstes. In Münster, wo Ratzinger einst gelehrt hat, unterschrieb fast die gesamte katholische Fakultät eine scharfe Protestnote. Der Jesuitenpater Klaus Mertes, Leiter der Gedenkkirche für die Opfer des Naziregimes »Maria Regina Martyrum« in Berlin Charlottenburg, äußerte sich entsetzt über seinen Papst. Der Kölner Katholik Markus Reinhard trat mit seiner Frau und vier Schwestern am Holocaustgedenktag aus der Kirche aus; 15 Mitglieder seiner Familie waren in Auschwitz umgebracht worden. Der Tübinger Theologe Hans Küng erinnerte daran, daß der Attacke gegen die Juden die Beleidigung der Muslime vorausgegangen war. Der langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, warnte, die Piusbrüder verträten »bedenkliche politische Positionen«, und verwies auf einen immer noch »ziemlich großen Bodensatz von Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit«, der »oft unreflektiert, deswegen aber gefährlicher« sei.

Ungerührt von all dem ließen die Piusbrüder ihren Bischof Bernard Tissier de Mallerais erklären: »Wir werden unsere Positionen nicht ändern, sondern Rom bekehren.« Als nächstes forderten sie, daß der Papst ihre ohne römische Zustimmung erfolgte Bischofsweihe legalisiere und ihnen Bistümer gebe. Bischof Williamson triumphierte in einem Brief an seine Piusbrüder, die Rehabilitation sei »ein großer Schritt voran«. Er schrieb: »Laßt uns danken und beten für Benedikt XVI. und alle seine Mitarbeiter, die geholfen haben, dieses Dekret durchzudrücken.«

Einige Pius-Obere sahen durch solch lauten Jubel ihren Erfolg gefährdet und veranlaßten Williamson zu einer Erklärung, die jedoch kein Widerruf war. Er nannte seine Äußerungen zum Holocaust lediglich »unvorsichtig« und bedauerte, Benedikt »unnötige Sorgen« bereitet zu haben. Schmidberger erklärte, die Verharmlosung der Judenmorde sei »inakzeptabel«, und bat dafür um Entschuldigung.

Vatikankenner könnten Recht haben, wenn sie vermuten, daß es sich um ein abgekartetes Spiel handelt, in dem Williamson zum Bauernopfer wird, um die Piusbrüder in den Schoß der Gemeinde Benedikts zurückzuführen, damit sie an dessen reaktionärer Offensive mitwirken können. Für den renommierten Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebermann ist das Teil einer »wohlüberlegten Strategie«. Der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, Walter Homolka, Vorstandsmitglied der World Union of progressive Judaism, an dessen Rabbiner-Seminar Studenten aus ganz Europa eingeschrieben sind, ordnete das Vorgehen Benedikts in »eine Kaskade von Vorfällen« ein, die nur den Schluß zuließen, daß für den Papst »das jüdisch-christliche Verhältnis ohne Wert ist«. Das stimmt vor allem insofern, als für diesen Papst auch heute noch grundsätzlich gilt, was sein Leitbild Cyprian postulierte: daß »die katholische Kirche alles ist und alles andere im Grunde genommen nichts«.

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