Kinderarmut wächst. Altersarmut wächst. Arbeitslosigkeit wächst (auch wenn die Regierung und ihre Behörden das mit immer schäbigeren statistischen Tricks verheimlichen). Und mit vielen neuen Gesetzen und Verordnungen beschneidet der Staat die sozialen Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger. Aber für das Institut der Deutschen Wirtschaft ist die Bundesrepublik Deutschland ein Sozialstaat, in dem die Umverteilung von oben nach unten klappt. Den Gutverdienenden, so behauptete IW-Direktor Michael Hüther dieser Tage in einer Studie, die er als wissenschaftlich ausgab, sei der soziale Ausgleich hierzulande zu verdanken.
Die Bundesregierung kommt in ihrem jährlichen Armutsbericht nicht umhin zu konstatieren, daß die Kluft zwischen Arm und Reich größer und größer wird. Doch darauf geht die Studie des Unternehmer-Instituts nicht ein. Hüther und seine Mitautoren tun so, als wäre ihnen auch ganz unbekannt, was die UN-Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem jüngsten Bericht veröffentlicht hat: Unter den Industrieländern gibt es kaum ein anderes, das die Bürger mit so hohen Steuern und Abgaben belastet wie die Bundesrepublik Deutschland. Dabei hält sich der Staat vor allem an die Gering- und Durchschnittsverdiener. Insofern nimmt die BRD auf einer Skala der sozialen Gerechtigkeit unter 30 Staaten den unehrenhaften Platz 29 ein.
Die OECD fordert schon seit längerem, die Gering- und Durchschnittsverdiener zu entlasten. Aber von den steuerpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre haben in Deutschland vor allem die Gutverdienenden profitiert, wie in dem Bericht zu lesen ist. Anders, als die Steuerprogression vorgaukelt, sinkt bei hohen Einkommen die Steuerbelastung.
Kaum ein anderer EU-Staat leistet es sich, trotz eines hohen Staatsdefizits keine Vermögensteuer zu erheben. Aber die BRD bringt es sogar fertig, während der Krise weitere Steuersenkungen zu versprechen.
All das kümmert unsere wissenschaftlichen Arbeitgebervertreter nicht. Sie argumentieren schlicht, ein Gutverdienender zahle mehr Steuern als ein Normalbürger. Das stimmt zwar und ist doch nicht die Wahrheit. Spitzenverdiener führen in absoluten Zahlen mehr ab als andere, aber der Prozentsatz der Zahlungen an den Staat verringert sich bei höherem Einkommen; von jedem Euro, den sie eingenommen haben, bleibt ihnen nach Steuerabzug mehr übrig. Im Vergleich mit ihnen bringen also die Durchschnitts- und Kleinverdiener viel mehr für den Staat auf, dem sie immer weniger zu verdanken haben.
»Gier ist nicht das Problem, und Wettbewerb ist im Normalbetrieb solidarischer als Teilen«, rechtfertigte der Münchner Professor für Wirtschaftsethik, Karl Hohmann, die Zustände in der globalisierten Wirtschaft und vor allem in Deutschland. Ganz in diesem Sinne protestierten die Aufsichtsräte von zwölf Dax-Konzernen in einem Brief an Kanzlerin Merkel gegen Pläne, die Managergehälter zu begrenzen, für die ersten zwei Jahre einer Managertätigkeit keine Bonus-Zahlungen mehr zuzulassen und ausscheidenden Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft nicht mehr sofort, sondern frühestens nach zwei Jahren den Wechsel in den Aufsichtsrat zu gestatten. Anführer des Protests war Gerhard Cromme, eifriger Sammler von Spitzenpositionen in der bundesdeutschen Wirtschaft, derzeit besonders einflußreich als Vorsitzender des Aufsichtsrats des Siemens-Konzerns.
Skandale im Management – war da was? Es ist schon fast vergessen. Dafür hat das Kapital schließlich seine Wissenschaftler (nicht nur seine Medien): damit sie alles vernebeln.