Peer Steinbrück, trostspendend. – Die Pleite von Arcandor mitsamt Karstadt haben Sie gelassen kommentiert: Von einem »Phönix aus der Asche« wollten Sie nicht sprechen, aber Sie hätten »das ein oder andere Mal schon die Erfahrung gemacht, daß solche Insolvenzanträge auch dazu führen können, daß vieles zu retten ist.« Unbeschadet bleibt gewiß das Vermögen der Großaktionäre, das diese aus dem früheren Konzernprofit beiseite geschafft haben, insofern gibt es keinen Grund zur Aufregung. Auch steigen die Börsenkurse der anderen Großkonzerne in der Branche trotz oder gerade wegen der Arcandor-Insolvenz. Also ist schon vieles gerettet. Arbeitsplätze, das mußten ArbeitnehmerInnen schon das ein oder andere Mal erfahren, gehören in die Rubrik »weniges«.
Guido Westerwelle, voreilig. – »Freude, schöner Götterfunken«, so schilderten Sie Ihren Gefühlszustand, als sich die Ergebnisse der Europawahl abzeichneten. Aber noch haben Sie die Vizekanzlerschaft nicht erreicht. Eine schwarz-gelbe Mehrheit nach der Bundestagswahl ist nicht garantiert; Angela Merkel wird, wenn es nicht anders geht, auch wieder mit der SPD regieren. Dann ist alles zu spät – nicht für die »Marktwirtschaft«, wie Sie es gern an die Wand malen, aber für Ihr Lebensziel.
taz-Redaktion, wahlverwirrt. – Offenbar beeindruckt vom Erfolg der FDP haben Sie den Ausgang der Europawahl so kommentiert: »Mitten in der Krise vertrauen die Menschen ausgerechnet Parteien, die für neoliberale Ideen stehen.« Welche Parteien außer der von Guido Westerwelle haben Sie da im Auge? CDU/CSU und SPD, in ihrer Praxis neoliberal, hatten Verluste, also keinen Zugewinn an Vertrauen, und die Grünen, ebenfalls neoliberal, nur einen kaum nennenswerten. Die FDP hat fünf Prozentpunkte dazugewonnen – bei denen, die gewählt haben, und die sind weniger geworden. Umgerechnet auf die Wahlberechtigten kam die FDP nur auf etwas mehr als fünf Prozent. »Die Menschen« haben also keineswegs Vertrauen in diese Partei gesetzt, mehrheitlich sind sie erst gar nicht zur Wahl gegangen, weil sie sich vom Europäischen Parlament nichts erhoffen.
Frank-Walter Steinmeier, erfolgreich. – Nach dem Debakel Ihrer Partei bei der Europawahl haben Sie versprochen, bis zur Bundestagswahl würden Sie »noch eine Schippe drauflegen«. Aber wozu denn? In der Ausgabe vor der Wahl brachte das Mitgliedermagazin Ihrer Partei, vorwärts, ein Großfoto von Ihnen, eine Präsentation erstklassiger Herrenkleidung, und dazu berichtete das Blatt, als »Architekt der Agenda 2010« hätten Sie »vor geladenen Honoratioren« erklärt, warum diese »Reformpolitik nötig und richtig« gewesen sei. Da sei »Beifall aufgebrandet« beim Publikum, »hochkarätigen... Vertretern des schwarz-gelben Geld- und Bedeutungsadels, Industrie- und Wirtschaftskapitänen, Bankern und Immobilienmaklern«. Demnach können Sie hochzufrieden sein. Wenn der »Geld- und Bedeutungsadel« diesmal bei der Wahl die FDP unterstützt hat, dann vor allem zu dem Zweck, daß an Ihrer Agenda nicht gekratzt wird. Und wenn so manche Sympathisanten einer sozialen Demokratie bei der Wahl verdrossen zu Haus geblieben sind, hat auch das seinen Vorteil für die Agenda-Politik: Resignation bei deren Opfern, Kritiker bleiben stumm. Nach der Bundestagswahl werden Sie womöglich weiter reformerisch tätig bleiben dürfen: als Vizekanzler einer nochmaligen Großen Koalition.
Franz Müntefering, offenherzig. – Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben Sie sich »über den vergangenen Wahlkampf und das, was noch kommt« geäußert: Die SPD werde weiterhin die »Marktradikalen«, also Union und FDP, angreifen. Aber hat das Ihrer Partei bei der Europawahl etwas gebracht? Dochdoch, sagen Sie – »immerhin haben wir die Linkspartei ausgebremst.« Die SPD, läßt sich demnach festhalten, ist zu dem Zwecke tätig, eine sozialdemokratisch gesonnene Partei (denn was wäre diese »Linke« anderes?) zu behindern. Nach der Wahl kann sie dann in einer Ampel- oder wieder in einer Großen Koalition mit »Marktradikalen« zusammen reagieren. Beide Möglichkeiten fassen Sie in der FAZ ins Auge; die Oppositionsrolle komme für die SPD nicht in Betracht. Die Fortdauer des Marktradikalismus ist also gesichert.
Josef Joffe, schwächelnd? – Ist das noch Ihre Zeit? Wir haben uns seit Jahren fest darauf verlassen, daß Sie das führende deutsche Wochenblatt auf imperialistischem Kurs und die Fahne des Antikommunismus hoch halten, weil der Kalte Krieg für Sie nie zu Ende sein wird. Aber nun müssen wir im Feuilleton unter dem Rubrum »Herr Gohr (BRD)« – ja wirklich: BRD! – von dem genannten »Professor für Kunstwissenschaft« eine »Gegenrede an die Kritiker« lesen, in der er der Ausstellung »60 Jahre – 60 Werke« im Berliner Gropius-Bau nachsagt, sie habe »in erschreckender Weise das unerschütterliche ideologische Weltbild des feisten linksrheinischen Spätkapitalismus offenbart«. Wenn Sie nicht wollen, daß die Leserinnen und Leser von solchen klassenkämpferischen Gedanken infiziert und in ihrem Zeit-gemäßen Weltbild erschüttert werden, dann sorgen Sie umgehend dafür, daß wieder journalistische Schreibzucht in Ihrem Feuilleton einkehrt, aber dalli, marsch, marsch!