Wenn 120 der reichsten und einflußreichsten Menschen dieser Welt vier Tage in Klausur gehen und wenn kein Sterbenswörtchen darüber verlauten darf, was Konzernchefs, Politiker, Geheimdienstler und sorgsam ausgeguckte Medienleute miteinander bereden, dann ist Bilderberg-Konferenz. Eine solche hat vom 3. bis 6. Juni wieder stattgefunden, diesmal im Luxushotel Dolce Sitges südlich von Barcelona. Der obskure Klüngel – Mitglieder und Gäste verpflichten sich zu striktem Stillschweigen – wurde dort von 350 spanischen Polizisten vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.
Immerhin informierten diesmal sogar etliche Massenmedien über die Zusammenkunft, von 3sat über Spiegel und n-tv bis Frankfurter Neue Presse. Sie hielten sich allerdings weitgehend an Formulierungen einer dpa-Meldung: »Manche sehen in ihr eine Art ›Schatten-Weltregierung‹, andere nur einen überholten elitären Debattierclub: Die Bilderberg-Gruppe ist zu ihrem jährlichen Treffen zusammengekommen ...«
Mehr war aus den Medien kaum zu erfahren, allenfalls etwas Historie, zum Beispiel: »Das elitäre Forum war 1954 von Prinz Bernhard der Niederlande ins Leben gerufen worden, um die Beziehungen zwischen Westeuropa und den USA zu stärken. Der Name ›Bilderberg‹ entstammt dem ersten Konferenzort, einem Hotel im niederländischen Oosterbeek. Auch deutsche Politiker haben in der Vergangenheit an der Konferenz teilgenommen, zum Beispiel Kanzlerin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle. Die Presse war nie zugelassen, einzelne elitäre Meinungsmacher jedoch eingeladen. Dies hat im Laufe der Jahrzehnte Verschwörungstheorien genährt, wonach die ›Bilderberger‹ globale Herrschaft anstrebten und eine neue Weltordnung begründen wollten ...« (Aachener Zeitung).
Wer gemeint hatte, dieser Ouvertüre werde eine spannende Enthüllungsstory oder wenigstens eine argumentative Widerlegung der »Verschwörungstheorie« folgen, wurde enttäuscht. Mehr Information gab es nicht. Der investigative Eifer der Leitmedien hielt sich mal wieder in bescheidenen Grenzen. Die meisten Redaktionen respektieren geradezu sklavisch das Schweigegelöbnis der elitären Logenbrüder. Kein Reporterteam rückt ihnen auf die Pelle und forscht ihnen so intensiv hinterher, bis etwas von der Kungelei herauskommt. Dabei müßte das Faktum, daß an Bilderberg-Treffen einflußreichste Spitzenkräfte aus Europa, Kanada, USA und internationalen Organisationen teilnehmen, die ihre Beweggründe, Absichten und Ergebnisse hermetisch verdunkeln, die Journalisten doch eigentlich alarmieren, weil es Anlaß zu schlimmsten Befürchtungen gibt.
Ossietzky kann nicht mit einem Bericht über Tagungsverlauf und Beschlüsse der Bilderberger aufwarten, will aber zumindest darüber unterrichten, wer die Teilnehmer der jüngsten Bilderberg-Konferenz waren, die allesamt aus Staaten oder internationalen Organisationen kamen, die für sich den Kampfbegriff »Westliche Wertegemeinschaft« gelten lassen.
Im Dolce Sitges waren versammelt: Repräsentanten von 18 Staaten und diversen internationalen Organisationen wie Welthandelsorganisation, Weltbank, EU-Kommission, NATO, UN-Welternährungsprogramm. Außerdem die Chefs solcher global tätiger Konzerne wie Shell, Coca-Cola, Deutsche Bank, Chase Manhattan Bank, Société Générale, Goldman Sachs, Europäische Zentralbank. Dazu Geheimdienste wie die US-amerikanische National Security Agency.
Die Liste der deutschen Teilnehmer in diesem Jahr: Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bank AG (ständiges Mitglied der Bilderberg-Gruppe, nimmt regelmäßig teil); Thomas Enders, Vorstandsvorsitzender der Airbus Industries; Peter Löscher, Siemens AG; Olaf Scholz, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion; Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG; Matthias Nass, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, gehört zum Bilderberg-Lenkungsausschuß – wieder ein Journalist, der nach dem Treffen nicht über Inhalte und Ergebnisse informieren, sondern die Klappe halten wird, weil er sich vom Milieu einwickeln ließ, um bei den vermeintlich Großen mitspielen zu dürfen. Weshalb man ihm auch gewiß nachsagen darf, daß er bemüht sein wird, Themenwahl und Tendenz der Zeit auf den Vorstellungen der Bilderberg-Bande auszurichten. Womit er sich grundsätzlich nicht von den Politikern unterscheidet, die sich dem Bilderberg-Klüngel andienen.
Ein Blick auf die Liste der übrigen illustren Gäste: Richard C. Holbrooke, Investmentbanker und US-Sonderbeauftragter (für geheime Operationen) in Afghanistan und Pakistan, früher auf dem Balkan; Paul A. Volcker, Vorstandsvorsitzender der US-Wirtschaftsförderungskommission; David Rockefeller, ehemaliger Chef der Chase Manhattan Bank, Mitbegründer der Bilderberg-Konferenz; Richard N. Perle, Präsidentenberater. George A. David, Vorstandsmitglied der Coca-Cola Company; Daniel L. Vasella, Vorstandsvorsitzender des Chemie-Konzerns Novartis AG; Peter D. Sutherland, Vorstandsmitglied Goldman Sachs International; Franco Bernabè, Chef der Telecom Italia; George Papaconstantinou, griechischer Finanzminister; John Kerr, Mitglied des britischen Oberhauses und Chef der Royal Dutch Shell; Gertrude Tumpel-Gugerell, Direktorium der Europäischen Zentralbank; EU-Kommissionsmitglieder Joaquín Almunia, Karel de Gucht und Neelie Kroes.
Irgendwann sickert dann aber doch mal durch, worüber in diesen Kreisen gesprochen wurde, zum Beispiel über eine gewaltsame Reduzierung der Weltbevölkerung auf maximal zwei Milliarden Menschen durch »Schutzmaßnahmen« gegen eine aus der Dritten Welt kommende »Überbevölkerung« und »Umweltzerstörung«. So berichtete die Sunday Times vor einem Jahr von Überlegungen »führender Milliardäre«, »wie das Wachstum der Weltbevölkerung zu verlangsamen« sei, und Paul J. Watson machte in der Schweizer Zeit-Fragen publik, daß sich einige Bilderberger mit Eugenik-Programmen befaßt hätten; Überschrift: »Oligarchen planen Genozid an zwei Dritteln der Menschheit«. Als humanistisch, pazifistisch, sozial, demokratisch wird man solche Ideen nicht unbedingt rühmen wollen. Eher scheint es uns, daß diese Herrschaften, die ihre Interessen weltweit zur Geltung zu bringen wissen, die Nähe zum Faschismus nicht unbedingt scheuen. Wer Bilderberg als einen Schoß betrachtet, aus dem die schlimmsten Übel unserer Zeit kriechen, dürfte damit der Wahrheit nahe kommen.
Übrigens: ARD-Tagesschau und ZDF-heute haben das Treffen nicht einmal vermeldet, geschweige denn berichtet, wer warum daran teilnahm und in welchem Bezug zur jeweiligen öffentlichen Funktion. Bei der Erfüllung ihres Informationsauftrags versagten diese Anstalten wieder einmal kläglich.