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Titel1210

Im umgebenden Meinungsklima  (Hans Canjé)

Solange Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) im fernen Magdeburg als Kultusminister agierte, ließen ihn die Aktenhüter in der Gauck-Birthler-Behörde ungeschoren. Es gab ja keinen Anlaß, sich näher mit ihm zu befassen. Er hatte nach der »Wende« brav abgeschworen, seine Vergangenheit hinter sich gelassen. Dachte er. Doch kaum war er zum neuen Rektor der Berliner Humboldt-Universität (HU) gewählt worden, konnte ein Mitarbeiter der Behörde mit dem langen Namen, die im wesentlichen damit beschäftigt ist, ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und eine Überführung der von ihr verwalteten Akten in ein Bundesarchiv zu verhindern, mit Olbertz‘ Habilitationsschrift aus dem Jahre 1989 aufwarten. Präsentiert wurde sie in einer Veranstaltung an der Freien Universität (FU), die sich als Konkurrenz der HU versteht, von einem dort angesiedelten Forschungsverbund, dessen Mitarbeiter dank vorzüglicher finanzieller Ausstattung noch lange Jahre von DDR-Hinterlassenschaften leben wollen.

Allerlei »sozialistisches Kauderwelsch« wurde in Olbertz’ Dissertation und in seiner Habilitationsschrift entdeckt. Zum Beispiel habe er unter Hinweis auf die Massenarbeitslosigkeit geschrieben, Unabhängigkeit und Freiheit könne es unter kapitalistischen Bedingungen nicht geben. Olbertz, der sein neues Amt im Oktober antreten soll, bereut jetzt, solche Gedanken geäußert zu haben, die er »Zugeständnisse« nennt – »aber nur mit Worten, vielleicht ein paar zu viele«. Im Grunde war er, wissen wir jetzt, ein ganz anderer.

Unser Mitleid mit einem solchen Opportunisten hält sich in Grenzen. Ob er Präsident der HU wird oder ein anderer, dem die Kampagne in dieses Amt verhelfen soll, macht wahrscheinlich keinen großen Unterschied. Springers BZ, »Berlins größter Zeitung«, kommt der Fall Olbertz gerade recht, mal wieder die Universität Unter den Linden anzurempeln. Dort vermutet Chefreporter Gunnar Schupelius nämlich immer »noch zu viele Alt-Leninisten«. Als wäre nicht alles, was links war, systematisch abgewickelt worden

Der Zufall hat es gefügt, daß just in diesen Tagen, da Olbertz Vergangenheit ins Blickfeld gerückt wurde, die von Jan Eicke Dunkhase verfaßte Biographie »Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20. Jahrhundert« erschienen ist. Jürgen Kocka, an der FU lehrender Professor, Dunkhases Doktorvater und einst von Conze geförderter Nachwuchshistoriker, hatte das Werk über den »hochangesehenen Repräsentanten der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft« im Klüngelverbund schon im vergangenen Jahr vorab als »fair und einsichtig« gewertet. Götz Aly dagegen hatte Conze, NSDAP-Mitglied Nr. 5089769, schon mal »Blut-und-Boden-Historiker« genannt. Das bezog sich auf dessen Tätigkeit als Dozent und Professor an der »Reichsuniversität Posen«. Der »Hochschullehrer und Bürger« Conze, dessen Wirken laut Dunkhase immer »auf den Zusammenhalt der ganzen Nation fixiert gewesen« sein soll , hatte in seinen Schriften das »erbgesunde Bauerntum als Blutquell des deutschen Volkes« propagiert und die Forderung nach »Entjudung der Städte und Marktflecken« Polens gefordert. Nachsichtig merkt der Biograph an, Conze habe zwar Ausdrücke wie »Entjudung« und »Verjudung« benutzt, damit aber »lediglich judenfeindliche Gemeinplätze des ihn umgebenden Meinungsklimas bestätigt, ohne darüber hinaus weiterreichende Maßnahmen anzumahnen«. So offenbare sich sein Verhältnis zum Holocaust »auf weiten Strecken als Nichtverhältnis«.

Da im Nachkriegswestdeutschland allenthalben derart großzügig Absolution erteilt worden war, konnte Werner Conze bald wieder in Göttingen und Münster lehren und in Heidelberg als Rektor der dortigen Universität amtieren. Von 1972 bis 1976 war er als einer der »einflußreichsten und angesehensten Historiker« (Dunkhase) Vorsitzender des bundesdeutschen Historikerverbandes. Dazu war er übrigens nicht nur durch seine Schriften aus den Jahren des Faschismus prädestiniert. Auf der Höhe der neuen Zeit zeigte er sich in einer 1953 von ihm verfaßten Geschichte der 291. Infanteriedivision, mit der er als Leutnant im Osten gegen einen Gegner gestanden hatte, »der heute wieder auf der Lauer liegt, um neue Sklaven zu gewinnen«. Bewegt rühmte er die »Mannestugenden« der 291er, »die uns heute nötiger denn je« und Ansporn seien »zur Bewährung unter neuen Bedingungen, in denen die Lebenden ihrer toten Kameraden sich würdig erwiesen müssen«.