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Hans Paasche, Offizier, Pazifist  (Helmut Donat)

Am 21. Mai 1920 umstellen sechzig Soldaten das Gut »Waldfrieden« in der Neumark. Eine Denunziation, der Besitzer des Gutes, Kapitänleutnant a. D. Hans Paasche, halte ein Waffenlager versteckt, reicht als Vorwand für eine Hausdurchsuchung. Er weiß, daß er auf den Abschußlisten der Feme steht, doch heute sonnt er sich mit seinen Kindern am nahegelegenen See. Der Dorfpolizist kommt: »Ich muß Sie sprechen.« Als Paasche auf dem Weg zum Haus die Soldaten sieht, will er umkehren und sich in den nahe gelegenen Wald retten. Man läßt ihm keine Chance. Zwei Schüsse treffen ihn tödlich. Später singen die Soldaten: »Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-rot das Band, die Brigade Ehrhardt werden wir genannt.« Waffen wurden nicht gefunden. Ein Haftbefehl bestand nicht.

Die amtliche Untersuchung bezweckt die Rechtfertigung des Verbrechens. Ihr Ergebnis lautet: »Auf der Flucht erschossen« – seit den Morden an Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Kurt Eisner und Gustav Landauer eine mehr als ausreichende Rechtfertigung für rechte Lynchjustiz. »Hierzulande löst die soziale Frage / ein Leutnant, zehn Mann. Pazifist ist der Hund? / Schießt ihm nicht erst die Knochen wund! / Die Kugel ins Herz! / Und die Dienststellen logen: Er hat sich der Verhaftung entzogen«, kommentiert Kurt Tucholsky in der Weltbühne. Schon bald wird das Verfahren gegen den Mordschützen eingestellt.

Was aber machte den vor nunmehr neunzig Jahren ermordeten Hans Paasche so gefährlich und verhaßt, daß er ein frühes Opfer rechtsradikal gesinnter Soldateska wurde? Als Marine- und Kolonialoffizier wandelte er sich zum »Freund Afrikas« und Ankläger des Militärwesens. Mit seinem Appell »Ändert Euren Sinn!« forderte er seine »alten Kameraden« zur Umkehr auf – was sie ihm nie verzeihen würden, wie Tucholsky kommentierte.

Als Kommandant eines Kriegsschiffes war Paasche 1905/06 in Deutsch-Ostafrika an der Niederschlagung des »Maji-Maji«-Aufstandes beteiligt. Die Scharfmacher ekeln ihn an. 1908 quittiert er den Marinedienst. Nach Deutschland, wo er fortan sein Gut bewirtschaftet, kehrt er als Kriegsgegner und Bewunderer Afrikas zurück. In der erwachenden freideutschen Jugendbewegung spielt er eine führende Rolle, als Schriftsteller und Redner tritt er für Frieden und soziale Gerechtigkeit, für Umwelt-, Tier- und Naturschutz ein. Er bekämpft die Robbenjagd, fordert eine drastische Verminderung der Fangquoten, prangert die – ganze Vogelarten ausrottende – »Federmode« an, kritisiert den beginnenden Traumschiff-Tourismus, agiert für eine »natürliche Lebensweise«, für Vegetarismus, Bodenreform, Lärmschutz, Frauenstimmrecht und Wohngemeinschaften zur Entlastung der Frauen von Kindern und Küche. Er attackiert die zynische Herrenmentalität des Offizierskorps und den Hurrapatriotismus, die Todesstrafe und – selbst Mitbegründer des »Abstinenten-Bundes deutscher Offiziere« – den Alkoholismus und dessen Folgen Tuberkulose, Verbrechen, Unzucht und Geschlechtskrankheiten. Eindringlich warnt Paasche vor der Ausplünderung Afrikas, wodurch er in zunehmenden Gegensatz zu seinem Vater gerät, der als Wirtschaftswissenschaftler und nationalliberaler Vizepräsident des Reichstags dem kolonialen Expansionismus das Wort redet. Mit seinen fingierten »Briefen des Afrikaners Lukanga Mukara« – einer satirischen Bloßstellung der angeblichen Errungenschaften europäischer Zivilisation – aus dem »innersten Deutschland« führt Paasche den Deutschen schon 1912 vor Augen, daß sie kein Recht haben, ihre »Kultur« nach Afrika oder anderswohin zu exportieren. Thema der Briefe ist die ökologische Betrachtung des alltäglichen Lebens: Wohnen und Arbeiten, Kleidung und Ernährung, Verlust des Einklangs mit einer natürlichen Umwelt, die Unterdrückung der Frau, die Jagd nach Geld und Profit, der Ehrgeiz und die ziellose Hektik eines falschen Lebens, das Einsamkeit, Angst und Freudlosigkeit hervorbringt. Eine Kritik europäischer Verhältnisse – aus der Sicht eines gebildeten Afrikaners, farbig-konkret und höchst unterhaltsam.

Im August 1914 folgt Paasche noch einmal dem Ruf zu den Waffen, überzeugt, das Kaiserreich führe einen gerechten Verteidigungskrieg. Die mißtrauischen Militärbehörden machen ihn zum Leuchtturmwärter auf »Roter Sand«, wo er die vorbeifahrenden Schiffe einzuweisen hat. Später ist er Kompaniechef einer Torpedodivision in Wilhelmshaven. Schon bald wird ihm die Schuld des Hohenzollern-Regimes am Weltkrieg bewußt, den er nun als eine »Schändung des Evangeliums« begreift. Noch in Uniform verteidigt er Karl Liebknechts Kriegsgegnerschaft. Als Marinerichter weigert er sich, einen Matrosen wegen aufreizender Redensarten gegen den Krieg abzuurteilen. Ende 1916 wird Paasche aus der Marine entlassen. Aus seiner Haltung zu Krieg und Militär macht er fortan keinen Hehl. Den Misthaufen auf seinem Gut nennt er »Hindenburg«, die Oberste Heeresleitung »Oberste Gewaltleitung«. Er geht in den politischen Untergrund, propagiert einen Verständigungsfrieden, verbreitet illegale Schriften und verfaßt Flugblätter, in denen er die Arbeiter zur Lahmlegung der Rüstungsindustrie aufruft. Er schreibt: »An jedem Tag Krieg wird die Welt ärmer an Menschen, Nahrung, Geld und Glück, er ist der eigentliche Landesverrat.« Paasches Sympathien gelten den französischen Kriegsgefangenen, die auf seinem Gut arbeiten und für die er am 14. Juli 1917 die Trikolore hissen und die »Marseillaise« erklingen läßt – mitten im Kampf gegen den »Erbfeind«.

Wegen seines Aufrufs »Die Waffen nieder!« wird er im Herbst 1917 als »Hochverräter« verhaftet und für »geisteskrank« erklärt. Man steckt ihn in ein Berliner Nervensanatorium. Als Rosa Luxemburg im Breslauer Gefängnis von dem Fall hört, erklärt sie: »Nun ist … Hans Paasche neulich verhaftet worden – wie es hieß, wegen eines Flugblattes, worin er die Frauen der Munitionsbranche zum Massenstreik aufgerufen haben soll! Tatsache ist, daß er in Untersuchungshaft sitzt. Ist es nicht wunderbar, daß man plötzlich noch Menschen, Männer, entdeckt, und zwar in Kreisen, wo man sie àm wenigsten vermutete?«

Am 9. November 1918 befreien ihn revolutionäre Matrosen. Als Mitglied des Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte drängt er darauf, die am Krieg Schuldigen und die für die Kriegsverlängerung Verantwortlichen vor ein Volksgericht zu stellen. Paasche hat alles vorbereitet, Wagen mit bewaffneten Matrosen stehen bereit. Vergeblich – Ebert und Scheidemann weigern sich, die Haftbefehle zu unterzeichnen. Nicht einmal sein Vorschlag, die »Puppen« der »Siegesallee« in die Luft zu sprengen – als äußeres Zeichen dafür, daß es mit der Militärherrlichkeit in Deutschland ein Ende hat – findet zwar die Zustimmung der USPD-, aber nicht die der SPD-Volksbeauftragten. Tucholsky, der Paasche als »Wahrheitsfreund« und »weißen Raben« schätzt, sieht in dessen Vorschlag »Geistigkeit manifestiert« und kommentiert in der Weltbühne vom 4. Dezember 1919: »Gerade die gipsernen Ideale dieser nicht genügend zerstörten Welt müssen gänzlich entzweigeschlagen werden …«

Enttäuscht von der Revolution zieht sich Paasche auf sein Gut zurück. Als Vorstandsmitglied des pazifistischen »Bundes Neues Vaterland« fordert er 1919 in seinen Flugschriften »Meine Mitschuld am Weltkriege« und »Das verlorene Afrika« die Deutschen zur Abkehr vom Schwertglauben und zur geistig-moralischen Umorientierung auf. Deutschland geht einen anderen Weg – in den Zweiten Weltkrieg. Doch Paasches Worte und Werke wirken nach. In seiner letzten Flugschrift konstatiert er: »Nichts ist in diesem Volke, was nicht noch größer wäre in Verbindung mit dem Worte Krieg.« Und er fragt: »Ob es nicht ein ganzes Gebäude von Wissen, Bildung, Weltanschauung ist, aus dem der Deutsche auswandern muß?«

Unser Autor Helmut Donat hat in seinem Bremer Verlag anläßlich der 90. Wiederkehr des Todestages von Hans Paasche dessen Buch »Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukura ins innerste Deutschland« neu herausgegeben, 168 Seiten mit farbigen Illustrationen, 12.80 €; im selben Verlag liegen vor: Hans Paasche: »Ändert Euren Sinn! – Schriften eines Revolutionärs«, 266 Seiten, 15.40 €; Werner Lange: »Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland – Eine Biographie«, 264 Seiten, 19.80 €