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Titel1210

Karl Mickel  (Heike Friauf)

Was ich mir wünsche, ist ein fester Tisch:
Einsachtzig mal einsachtzig, achtzig hoch

Zu seinem Tisch wünscht sich der Dichter noch manches, Bank, Bücher, Schreibmaschine, Lampe, Wein und »Zukost nach Bedürfnis«. Und:

Der leicht gebeugte Fuß wär gegen Balken
(Zwischen die vier Beine dieses Tischs
Dicht überm Boden eingespannt) gestoßen:
Die Balken hätten von der Freunde Sohlen
Wellen, welche glänzeten, im Schatten.

So zart wurde selten Freundschaft besungen wie von Karl Mickel in seinem Gedicht »Der Tisch«. Freundschaft und Arbeit. Mickel, der Sächsischen Dichterschule zugehörig, tauschte sich mit den wunderbarsten Schriftstellern aus, Volker Braun, Sarah und Rainer Kirsch, Adolf Endler, Heinz Czechowski … diese Seite ließe sich problemlos mit Namen füllen.

Dichten ist ein Beruf wie jeder andere, nur daß ihn nicht jeder ausüben kann. Unter den Könnenden war Mickel ein Großer. Als Dramaturg, zuerst bei Ruth Berghaus am Berliner Ensemble, und als Librettist stand er zwar nicht im Rampenlicht, auch nicht als Professor an der Schauspielschule »Ernst Busch«. Die bekannteren Kolleginnen und Kollegen aber wußten und wissen von seinem Einfluß auf ihre Arbeit. Zuletzt stellte Volker Braun seinem autobiographischen Notizbuch »Werktage I« Mickels Gedicht »Geselliges Lied« voran. Diesen August würden die Freunde Mickels 75. Geburtstag feiern, doch am 20. Juni vor zehn Jahren starb er.

Einer der wichtigsten Kritiker deutschsprachiger Literatur, Rainer Kirsch, schrieb, Mickel zeichne sich aus durch »scharfes, am Marxismus geschultes Reflektieren der Epoche und das bewußte Weiterarbeiten klassischer poetischer Techniken«. Ein Beispiel: Wie viele andere Künstler in der DDR reagierte auch Mickel erschüttert auf die Ermordung des kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba 1961, wenige Monate nachdem der Kongo die Unabhängigkeit errungen hatte. Sein »Requiem für Patrice Lumumba« wurde von Paul Dessau vertont, darüber freute sich Mickel besonders. Ein Arbeiter hatte auf einer Versammlung über Dessaus Musik gesagt: »Diese Musik kann kein Faschist verstehen.«

Ein Politiker, der Dessaus Musik mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht verstehen kann, versah kürzlich unsere Niedergangsepoche ungewollt passend mit dem Attribut »römische Dekadenz«. Dasselbe Motiv, allerdings reflektiert, klingt auf in Mickels epigrammatischem Gedicht »Römchen«, geschrieben sieben Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD. »Römchen« ist dem Stoff gemäß aus zwei Distichen gebaut, der Strophenform der Antike, in der Goethe, Schiller und andere auch für unsere Neuzeit klassische Verse geschrieben haben.
Kein Gewerbchen mehr da; mit Brötchen geatzt wird das Völkchen
Spielchen rund um die Uhr liefert ins Bettchen TV
Prätorianerchen schwingen die chemischen Keulchen; dann trappeln
Grüne Männlein herzu: schneiden die Häls’chen euch ab.