Der Antiterror-Kampf ist noch lange nicht gewonnen. Obwohl al-Qaida nicht mehr in Afghanistan präsent ist, reicht den USA die Bedrohung durch die zersprengten Glieder dieser Organisation, sie als einen der wichtigsten Kriegsgründe aufzuführen. Al-Qaida wird überall dort gesichtet oder auch nur vermutet, wo die strategischen Interessen der USA keine Störung dulden: in Pakistan, Syrien, im Sudan und vor allem jetzt am Horn von Afrika, in Somalia und im Jemen. Und wenn die neue Doktrin des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama lautet, Krieg nur dann, wenn unbedingt nötig, dann erinnert sie an die Antwort der Radsportlegende Fausto Coppi auf die Frage, ob er jemals Dopingmittel genommen habe: »Nie – nur wenn es nicht anders ging.« Auf die Nachfrage, wann dies der Fall gewesen sei: »Eigentlich immer.«
Die Ausdehnung des Krieges gegen den Terror auf den afrikanischen Kontinent wird dem US-Präsidenten durch eine neue Waffe erleichtert, die gerade im Anti-Guerilla-Kampf eine Vielzahl von Vorzügen aufweist: die Drohne. In Pakistan und Afghanistan sind Drohnen zum alltäglichen, auf jeden Fall effektivsten Kampfmittel der USA geworden, das bisher mehr als 3.000 Menschen den Tod brachte, die Verletzten nicht gezählt. Die Meldungen von der Front tragen immer die gleiche Schrift: Opfer der Raketenangriffe seien Terroristen, Aufständische oder Extremisten der al-Qaida oder Taliban; mitunter wird ein »mittel- oder hochrangiger Kommandeur« getroffen. Namen werden nur in den seltensten Fällen genannt. Vorwürfe, daß es sich überwiegend um Zivilisten handele, werden als nicht nachprüfbar zurückgewiesen. Ist der Tod von Zivilisten nicht zu bestreiten, entschuldigt man sich und zahlt ein lächerliches Totengeld. Die Öffentlichkeit wird durch vage Berichte an diese Kriegspraxis gewöhnt, in der es eigene Opfer nicht mehr gibt.
Die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser gezielten Hinrichtungen mit zweifellos vielen zivilen Opfern wird nicht mehr gestellt. Die USA und Israel, die beiden Hauptproduzenten und -nutzer dieses Geräts, legitimieren diese Kriegsführung mit dem Allzweckargument der Selbstverteidigung gegen einen Gegner, mit dem man sich in einem militärischen Konflikt befinde, die zivilen Opfer werden als Kollateralschäden entsorgt. Endlich scheint man eine Waffe gefunden zu haben, die den – selbstverständlich für völkerrechtswidrig gehaltenen – Guerillamethoden des Gegners ebenbürtig ist. An ihrer Verfeinerung wird nicht nur in den USA und Israel, sondern auch in Deutschland und weiteren Ländern mit Nachdruck gearbeitet; ihre Einsatzmöglichkeiten locken gerade auch Staaten mit inneren Problemen.
In den US-Streitkräften konzentriert sich der Drohnenkrieg im Joint Special Operations Command (JSOC), dem obersten Befehlszentrum für die Spezialtruppen. In Pakistan war es allerdings bisher ausschließlich die CIA, die sich dieser so erfolgreichen und für ihre Krieger gefahrlosen Waffe bediente. Im Jemen war das JSOC aktiv, die CIA erst seit August 2011. Ebenso wie Somalia ist der Jemen ein ideales Testgelände für die Perfektionierung dieses Kriegsgeräts. Seit Jahren sind beide Länder durch einen unübersichtlichen Bürgerkrieg zerstückelt und gelähmt, es gibt keine staatliche Autorität, die dem beliebigen Treiben ausländischer Geheimdienste eine wirksame Kontrolle entgegensetzen könnte. Nun strebt die CIA danach, ihre Aktivitäten im Jemen ihrem erfolgreichen Wirken in Pakistan anzupassen. Ihre Erfolge bei der Tötung höherrangiger Al-Qaida-Kämpfer erzielt sie mit »signature strikes«, bei denen eine genaue Identifizierung der Opfer nicht gefordert wird. Obama hatte diese weitgehende Ermächtigung, die für das Militär des JSOC gilt, der CIA im Jemen versagt und den Geheimdienst auf »personality strikes« beschränkt. Diese setzen einen eindeutigen Beweis voraus, daß das Opfer im Fadenkreuz der Drohne sich auf der Ziel- sprich Todesliste befindet.
Die Anforderung der CIA. »signature strikes« führen zu dürfen, liegt dem National Security Council vor, das Weiße Haus hat sich noch nicht geäußert. Diskutiert wird nicht nur die Frage, ob jemand, der niemals des Terrorismus verdächtigt wurde – wie der US-amerikanische Sohn des Al-Qaida-Führers Anwar al-Awlaki – ohne gerichtliches Verfahren exekutiert werden durfte. Zwei Journalisten der New York Times, Jo Becker und Scott Shane, haben jetzt aufgedeckt, daß Obama persönlich über diese Liste der Todeskandidaten entscheidet.
Jetzt wird bestritten wird, daß der Präsident ohne den Kongreß die geplante Ausdehnung des Einsatzes genehmigen kann. Die Bedenken gehen zurück auf die nur eingeschränkte Ermächtigung George W. Bushs durch den Kongreß unmittelbar nach dem 11. September 2001. Bush hatte eine unbegrenzte Kriegserlaubnis gefordert, »um jeglichen zukünftigen Terror- oder Aggressionsakten gegen die Vereinigten Staaten zuvorzukommen oder sie abzuschrecken«. Doch der Kongreß ließ sich durch den Augenblick des Schreckens nicht zu einer derartigen Blanko-Ermächtigung verleiten. Denn mit dem vagen Begriff der »Aggression« hätte der Präsident jeglichen Vorwand für militärische Abschreckungsmaßnahmen ausnutzen können, ohne sich ein erneutes Votum vom Kongreß holen zu müssen. So begrenzte der Kongreß seine Ermächtigung auf den Gebrauch militärischer Mittel gegen Gruppen und Länder, »die an den Terrorakten des 11. Septembers 2001 beteiligt« gewesen sind. Der Präsident ist gezwungen, sich für jede weitere militärische Unternehmung wieder an den Kongreß zu wenden. Wenn CIA-Chef David Petraeus jetzt um die Ausweitung des Drohneneinsatzes auf Ziele mit »verdächtigem Verhalten« im Kontrollbereich terroristischer Gruppen nachsucht, fällt das nicht unter die ursprüngliche Ermächtigung. Denn diese Gruppen waren ebenso wenig wie der Jemen an dem Terroranschlag im September 2001 beteiligt. Bruce Ackermann von der Yale-Universität zieht daher den Schluß, daß, so ernsthaft die Bedrohung der USA durch die Terrorgruppen aus dem Jemen auch sein mag, der Präsident jetzt verpflichtet sei, die Zustimmung des Kongresses einzuholen. Konsequenterweise hätte er dies schon vor dem ersten Drohneneinsatz im Jemen tun müssen. Doch damals war der Einsatz entweder nicht bekannt, oder niemand forderte die Rechte des Kongresses ein.
Die Nachricht, daß Präsident Obama allein mit seinem Beraterkreis darüber entscheidet, wer auf die Todesliste der Drohnenangriffe kommt, hat die Öffentlichkeit alarmiert. Die USA haben seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr den Krieg erklärt. Wenn der Präsident dennoch Militär einsetzt, um Personen zu töten, so verlangt das Gesetz einen öffentlichen Bericht über den Vorgang an den Kongreß und eine Zustimmung des Kongresses nach spätestens 180 Tagen. Eine nichtmilitärische Organisation wie die CIA aber könne er unter keinen Umständen zur Tötung ohne gerichtliches Verfahren einsetzen, diese Praxis widerspreche nicht nur eindeutig dem Gesetz, sondern auch den Versicherungen, unter denen Obama angetreten sei, beklagt Andrew P. Napolitano in der New York Times: »Seit 9/11 hat die US-Regierung nationale Sicherheitssysteme errichtet, die weder der US-amerikanischen Verfassung noch den Genfer Konventionen entsprechen, die weder nach rechtsstaatlichen Prinzipien noch nach den Regeln des Krieges oder nach Bundesrecht funktionieren, sondern nach einem neuen geheimen System, das von der Bush-Administration geschaffen und nun von Obama persönlich geführt wird, dem gleichen Obama, der als Senator diese Regeln verurteilt, sie dann aber als Präsident noch ausgedehnt hat.«
Obamas Administration schweigt zu diesen Fragen und Vorwürfen. Sie hat nie Details zu den Methoden der Identifizierung von Zielen und Opfern veröffentlicht. Sie kann die Anforderung der CIA ablehnen oder den Kongreß um Zustimmung ersuchen. Nichts spricht dafür, daß dieser sie verweigern würde – zu tief sitzt die Angst vor dem Terror in der Psyche der politischen Klasse.