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Zigeuner, unsere Lieblinge  (Monika Köhler)

Ein alter bemalter Lada fährt auf die Kampnagel-Bühne in Hamburg. Heraus purzelt ein buntes Völkchen: achtzehn Personen, für die das Gefährt nicht nur Fortbewegungsmittel, auch Wohnung, Turngerät oder einfach Rückzugsort ist. In der Produktion »Open for everything« versucht die argentinische Choreografin Constanza Macras, die seit langem in Berlin arbeitet, sich der Situation der Roma in Ost- und Südosteuropa anzunähern. Das Goethe-Institut in Prag hatte sie eingeladen, nicht nur über, sondern zusammen mit den Roma ein Stück zu entwickeln, das deren Lage, die Stimmung gegen sie – besonders in Ungarn – bis zu Anschlägen auf ihre Siedlungen zum Thema hat. Der merkwürdige Titel, offen für alles, geht auf eine Art Casting der Mitwirkenden zurück. Dieser Satz fiel allzu oft und ist bezeichnend für die verzweifelte Zustimmung, auf jeden Fall mitzumachen. Constanza Macras ergänzte die Roma aus Ungarn und Tschechien durch fünf Mitglieder ihrer eigenen Gruppe »Dorky Park«.

Ein Stück auf die Bühne zu bringen, das die Vorurteile und Klischees, auch die verkitschte Romantisierung der »Zigeuner« zum Thema hat, ist eine schwierige Gratwanderung. Die tschechischen und slowakischen Musiker erfüllten ihre Aufgabe glänzend, ohne Operetten-Melodien und Kaffeehausklänge. Eine mitreißende Mischung: ungarisch-feurig, melancholisch und modern. Ein Lied, das plötzlich die heutige Warenwelt zum Thema hat, Firmenlabels den Mitwirkenden und dem Publikum um die Ohren haut: »Armani, Versace und Gucci« statt der zu Tode gegeigten »Lerche«. Vorher hatten sich alle mit Kleidern vergnügt, sich im Tanzen umgezogen, virtuos und bunt.

Ja bunt. Das eine, noch harmlose Klischee. Eine deutsche Ethnologin ist begeistert vom indischen Aussehen eines Mädchens. Denn sie weiß ja, da kommen sie her, ursprünglich. Daß »Zigeuner« reisen, keinen festen Ort wollen – ein anderes Klischee. Hinten in der Video-Einspielung erscheinen Plattenbauten, heruntergekommen. Auch ein Vorurteil? Wenn sie vertrieben werden – was im Stück nicht vorkommt – müssen sie sich in Wohnmaschinen am Rand von Städten zurückziehen. Eine Koreanerin streift hier immer mit einem Koffer umher, vertrieben wie die Roma. Eine Dame in Weiß sagt: »Wundervoll, ihr reist ständig.« Im Hintergrundvideo: Zäune mit Verbotsschildern. Und immer wieder Mauern.

Diese deutsche Dame im Kostüm gibt auch sonst so einiges von sich über jene. Ein bestimmter Körpergeruch ist ihnen zu eigen; Babys werden gestohlen – sogar gegessen; wenn man jene schon in Wohnungen steckt, dann verkommen die. »Sie haben keinen Respekt vor unserer weißen Welt.« Dann nennt sie sich eine »Freundin von Leni«, die für ihren Film »Tiefland« jene brauchte, »Zigeuner« aus dem Lager als Statisten. Nun liest sie aus einem als Entlastungsbrief gedachten Riefenstahl-Text vor: Das Lager Maxglan war damals ja noch gar kein KZ. Und die Zigeuner waren unsere Lieblinge, sie erhielten das gleiche Essen wie die Hotelgäste. Und sie genossen völlige Freiheit. – Hinten im Video zu sehen: eine Duschvorrichtung aus der Decke. Dazu lustiger Kastagnetten-Tanz mit Rüschenrock. Die Tänzerin Fatima hieß früher Raimund – auch so etwas soll gezeigt werden. Aber es verwässert, macht alles spielerisch, lustig. Was wohl Absicht ist, der Tanz, das Ausgelassene im Mittelpunkt.

Das Publikum erfährt Lebensgeschichten der Mitwirkenden – Constanza Macras aber will kein Betroffenheitstheater, keine Darsteller, die Opfer sind. Sie sollen sich selbst, wie sie sind, präsentieren. Und so findet auf der Bühne oft ein wildes Gewusel statt – authentisch? Es wird auch Zeitung gelesen. Hier in Hamburg die junge Welt. Roma lesen nicht?

Doch was soll ein Schauspieler mit schwarzem Hut und Schläfenlocken unter den Roma? Austauschbar? Er nimmt sich den Kleinsten vor und stellt ihn auf den Kopf, spielerisch, bis aus dessen Taschen Münzen purzeln. Bilder im Kopf vom Warschauer Ghetto. Ein Junge wird von der SS geschnappt und muß seine Taschen leeren. Heraus fallen Brot oder Kartoffeln. Dann wieder wilder Pop-Tanz wie im Bollywood-Film. Daß Hip-Hop auch dramatisch sein kann, erfahren wir zum Schluß von einem der Tänzer. Nach einem traditionellen Lied, das vom Tod des Vaters klagt. Die Geige wurde nicht ins Grab gelegt. Er könnte sie noch brauchen, irgendwann.