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Mit Yoga beim Theatertreffen  (Heinz Kersten)

Kein Festival, ob Film oder Theater, das heute nicht seinen Anspruch betont, ein politisches zu sein. Wenn Politik im öffentlichen Bewußtsein schon sonst eher marginalisiert hinter Shoppen, Sport und Spielen rangiert, bleibt ihr ein Reservat auf Leinwand und Bühne. Wie und womit es zu nutzen sei, beschäftigte die Teilnehmer des Berliner Theatertreffens diesmal offensichtlich mehr als die Präsentation ihrer Produktionen. Zumal die Auswahl der »zehn bemerkenswertesten« deutschsprachigen Inszenierungen für den Kritiker vielfach nicht nachvollziehbar war. Insofern unterschied sich der Jahrgang 2015 mehr als sein Vorläufer, von den Anfängen des Theatertreffens ganz zu schweigen.


Die esoterische selbstverliebte Originalitätssucht mancher junger Regisseure sollte wohl nicht mehr als eine Modeerscheinung bleiben. Erstarrte vor einem Jahr das Theatertreffen-Debut der noch in Amsterdam lebenden Susanne Kennedy, die bald zur Berliner Volksbühne wechselt, mit Marieluise Fleißers Erstlingsstück »Fegefeuer in Ingolstadt« bereits in totaler Künstlichkeit, so wiederholte sich, was damals als »Masche« erschien, in ihrem diesjährigen Beitrag als Stilprinzip. Die Darsteller der Bühnenadaption von Rainer Werner Fassbinders Film »Warum läuft Herr R. Amok?« sind hinter Silikon-Masken entpersönlicht, ihre aufgezeichneten Stimmen aus dem Off hörbar. Das Leben erstickt zwischen holzgetäfelten Wänden in gewohnter Alltäglichkeit, aus der zuletzt nur der sonst still funktionierende Titelheld ausbricht.


Fast wurde das Theatertreffen zu einem Fassbinder-Festival. Außer dem Beitrag der Münchner Kammerspiele mit »Warum läuft Herr R. Amok?« feierte man den mit 37 Jahren früh verstorbenen Workaholic, der 44 Filme hinterließ, zu seinem 70. Geburtstag mit einer Wiederaufführung seiner Filme und einer großen Ausstellung im Berliner Gropius-Bau, wobei die Repertoire-Inszenierung des Maxim-Gorki-Theaters »Angst essen Seele auf« über die von ihrer Umwelt geächtete Liebe einer nicht mehr jungen Witwe zu einem marokkanischen Gastarbeiter noch am aktuellsten wirkte.


Bewußt hatte man zum Auftakt des Theatertreffens ein verwandtes Thema programmiert, dessen Autorin Elfriede Jelinek dafür bekannt ist, daß sie mit ihren Stoffen stets aktuell auf Diskussionen realer Vorkommnisse reagiert. Diesmal bezog sie sich auf die Besetzung der Wiener Votivkirche 2012/13 durch pakistanische Flüchtlinge und kombinierte ihren dazu erfundenen Text mit einem 2500 Jahre alten von Aischylos: »Die Schutzflehenden«. In der Einrichtung des Jelinek-Spezialisten Nicolas Stemann für das Hamburger Thalia-Theater wurde daraus »Die Schutzbefohlenen« (s. Ossietzky 20/2014), wobei den Regisseur bei der Zusammenarbeit mit authentischen Flüchtlingen die Frage nach der Darstellbarkeit des Leidens bewegte: »Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch ja spielen.« Zugespitzt: Werden hier nicht »Eingeborene« wie einst bei den Kolonialschauen vorgeführt? Mir schien, daß es beim Publikum manchmal mehr Gelächter als Betroffenheit gab.
Bei einem jungen Ensemble vom Schauspiel Stuttgart und dessen Regisseur Christopher Rüping (Jahrgang 1985) war das beabsichtigt, obwohl ich die Originalvorlage, den dänischen »Dogma«-Film »Das Fest« von Thoma Vinterberg und Mogens Rukov, viel ernsthafter in Erinnerung hatte. Schließlich geht es um das modische Thema Kindesmißbrauch, mit dem ein Patriarch ausgerechnet an seinem Geburtstag von seinen Kindern konfrontiert wird. Daß es hier nicht ganz ernst gemeint ist, wird schon beim ersten Auftritt klar, wenn ein halbnackter Steinzeitmensch mit einer Keule die Bühne betritt und sich ein anderer mit einer Hitler-Parodie versucht. Die restlichen fast zwei Stunden vergehen mit einem ständigen Tischerücken und Rollentausch zwischen den Geschlechtern, begleitet von Popsongs unter buntem Konfettiregen.


Die immer mehr um sich greifende Tendenz, Fremdstoffe für die Bühne zu adaptieren, war auch bei diesem Theatertreffen zu beobachten. Schon Brecht betonte, es mit geistigem Eigentum nicht so genau zu nehmen. Was diesmal dem Theatertreffen eine willkommene Schlußpointe bescherte, wovon der Meister selbst betroffen war. Frank Castorf, darin dem großen b. b. verwandt, hatte Anfang dieses Jahres für das Münchner Residenztheater Brechts ungeliebten Erstling »Baal« inszeniert und die Handlung in die Indochina-Kriege verlegt. »Im Krieg ist jeder Baal Soldat, der als Besatzer all die Werte übertreten darf, für die er mit der Waffe einstehen soll.« Nicht übertreten durfte nach Meinung der bald 85jährigen einzigen noch lebenden Brecht-Tochter Barbara Schall-Brecht Castorf das Urheberrecht und verlangte beim Suhrkamp Verlag ein Aufführungsverbot. Ausgenommen wurden lediglich eine achte Aufführung beim Residenztheater und ein einmaliges Gastspiel beim Theatertreffen. Das wurde erwartungsgemäß bejubelt, auch für das vietnamesisch nachempfundene Bühnenbild mit Helikopter, Bordell und Opiumhöhle von Aleksandar Denić. Natürlich fehlten nicht die Castorf-üblichen Videoeinblendungen, diesmal von Francis Ford Coppolas »Apocalypse Now«. Und neben ausgiebigem Lustgestöhne verwiesen neben Anleihen auf Rimbaud bis Sartre nur wenige Brechtsche Originalzitate auf den literarischen casus belli.


Mit mehr als vier Stunden war Castorfs »Baal« diesmal die längste Theatertreffen-Produktion. Mehr Raum nahm nur das Begleitprogramm »Camp« ein, welcher sich mit kulturpolitischen Diskussionen anspruchsvoll als »Denkraum« anbot. Unter dem Titel »Angst essen Theater auf« zog man dort zuletzt keine sehr optimistische Bilanz: »Angst ist heute eines der großen gesellschaftlichen Themen, besonders im Zusammenhang mit Arbeit. Für künstlerisch Arbeitende ist das Thema auf komplexe Weise präsent: Auch wenn viele Theaterspielpläne ein großes Bewußtsein für gesellschaftlich-soziale Themen zeigen, gilt das nicht für die Arbeitsrealität der Künstler. Ein großer Widerspruch besteht darin, daß ein angstfreier Raum notwendig ist, um eine Inszenierung entstehen zu lassen, und daß gleichzeitig Künstler im Theater unterhalb der Armutsgrenze, mit unsicheren Anstellungsverhältnissen, Entwurzelung, extremen Hierarchien und überkommenen Kommunikationsformen konfrontiert sind.« Ob dagegen Yoga hilft? Jedenfalls gehörte es zum »Camp«-Programm eines Theatertreffens in der Krise.