Die öffentliche Auseinandersetzung um atomwaffenkritische Aufrufe zum Geheimnisverrat fordert die Bundeswehr heraus: Oberst Holger Radmann (Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 in Büchel) erstattete per E-Mail »Strafanzeige gegen Herrn Hermann Theisen in allen rechtlichen Belangen«, und Oberstleutnant Torben Boldt (Bundesministerium der Verteidigung) sandte eine Strafanzeige an das Landeskriminalamt Mainz, in der die Rede von Flugblättern mit Aufrufen zu einer Wehrstraftat »mit wehrzersetzendem Inhalt« ist. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat daraufhin zwei Ermittlungsverfahren gegen den Atomwaffengegner eingeleitet, da er mit den Flugblättern zum Verrat von Dienstgeheimnissen aufgefordert habe (§§ 111, 353b StGB).
Bundeswehr und Wehrkraftzersetzung
Die Verwendung des Begriffes Wehrzersetzung in einer Strafanzeige des Bundesverteidigungsministeriums im Jahr 2016 ist erstaunlich und erschreckend zugleich, denn es war bisher davon auszugehen, dass dieser Begriff nach 1945 aus dem Vokabular der Bundeswehr verbannt sei. Die Zersetzung der Wehrkraft [kurz: Wehr(kraft)zersetzung] war die Bezeichnung für einen grundsätzlich mit Todesstrafe bedrohten Straftatbestand im nationalsozialistischen Deutschland. Zu den aufgeführten Tatbeständen gehörten Kriegsdienstverweigerung, defätistische Äußerungen und Selbstverstümmelung. Der Tatbestand der Wehrkraftzersetzung war von den Protagonisten der NS-Militärjustiz bereits frühzeitig als Ergänzung des Wehrrechts gefordert und in der Folgezeit immer wieder in verschiedenen Ausformungen angeregt worden. Unzählige Frauen und Männer konnten so zum Tode verurteilt und hingerichtet werden, nachdem sie sich kritisch gegenüber dem NS-Regime verhalten hatten.
Wenn nun das Bundesverteidigungsministerium in einer Strafanzeige den Inhalt atomwaffenkritischer Flugblätter als wehrkraftzersetzend bezeichnet, so sollte Bundesverteidigungsministerin von der Leyen ihren Soldaten ein wenig Nachhilfe im historischen Verständnis des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte verordnen, denn in einem demokratischen Rechtsstaat muss die Gleichsetzung von militärkritischen Äußerungen mit Wehrkraftzersetzung ein Tabu sein.
Staatsanwaltschaft Koblenz fordert Haftstrafe
Unterdessen gehen die Strafverfahren wegen der Verteilung der atomwaffenkritischen Flugblätter gegen Theisen weiter. Nachdem ihn das Amtsgericht Cochem bereits im September 2015 zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilte (3 Ds 2090 Js 45215/14), kam es im Februar 2016 zu einer weiteren Verurteilung zu 40 Tagessätzen (3 Ds 2010 Js 13035/15). Gegen dieses Urteil hat neben Theisen auch die Staatsanwaltschaft Koblenz Berufung eingelegt und fordert darin die Verhängung einer Haftstrafe: »Das Amtsgericht hätte den Angeklagten bei zutreffender Würdigung aller Strafzumessungsgründe nicht mehr zu einer Geldstrafe verurteilen dürfen. […] Um den Angeklagten von der Begehung weiterer einschlägiger Straftaten abzuhalten, ist die Verhängung einer kurzen, tat- und schuldangemessenen Freiheitsstrafe unerlässlich«, so die Staatsanwaltschaft in ihrer schriftlichen Berufungsbegründung. Sie forderte bereits während des Prozesses im Februar eine Haftstrafe von drei Monaten, worauf das Amtsgericht Cochem noch einmal zu einer Geldstrafe verurteilte, aber bereits ankündigte, in weiteren Verfahren eine Haftstrafe nicht mehr auszuschließen.
Weitere Strafverfahren vor dem Amtsgericht Cochem anhängig
Nachdem die Flugblätter weiter verteilt worden sind, hat die Staatsanwaltschaft Koblenz inzwischen zwei weitere Anklagen vor dem Amtsgericht Cochem erhoben. Es ist davon auszugehen, dass sie in diesen Verfahren erneut die Verhängung einer Freiheitsstrafe fordern wird und das Amtsgericht dann auch eine solche verhängen wird. Die Friedensorganisation IPPNW hat sich deshalb in einem offenen Brief an die Staatsanwaltschaft Koblenz gewandt und darin erklärt: »Die IPPNW möchte hiermit ihre Solidarität mit Hermann Theisen aus Heidelberg zum Ausdruck bringen. Die Staatsanwaltschaft Koblenz verfolgt den Friedensaktivisten Hermann Theisen wegen der Verteilung eines Flugblattes mit einer Übereifrigkeit, die den Verdacht erweckt, als gäbe es dabei eine politische Agenda. Hermann Theisen fordert in unterschiedlichen Flugblättern SoldatInnen und Zivilbeschäftigte auf, die Öffentlichkeit über die Hintergründe der geplanten Neustationierung von zielgenaueren Atombomben zu informieren. Er erachtet diese als völkerrechts- und grundgesetzwidrig – diese Haltung teilen wir. Die öffentlichen Aktionen sollen eine öffentlichen Debatte anregen.«
Termin für die Berufungsverhandlung gegen Theisen vor dem Landgericht Koblenz: Dienstag, 12.7.2016, 13:30 Uhr, Sitzungssaal 49/EG, Karmeliterstraße 14. Kontaktmöglichkeit für Rückfragen: hermann.theisen@t-online.de. Spenden für Anwalts- und Prozesskosten auf das Konto von Hermann Theisen: IBAN: DE 88 4306 0967 6008 7785 00, BIC: GENODEM1GLS