Wer weiß noch, dass die KPD, die Kommunistische Partei Deutschlands, einmal eine Massenbasis hatte. Wer weiß noch, dass es Millionen Menschen gab, die auf das revolutionäre Ziel der Partei, eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit zu schaffen, ihre Hoffnungen setzten. Ich gehöre zu denen, die sich aus Kindertagen noch daran erinnern. Ich sehe noch den Vorsitzenden der Anklamer KPD, Bruno Tiegs, auf der Straße gegenüber meinem Elternhaus stehen und das von ihm verfasste Kommunistenblättchen Pulverturm verkaufen, in dem seine erwachsenen Zeitgenossen lesen konnten: »Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.«
Aber die Deutschen haben diese Wahrheit nicht geglaubt, ihre Köpfe waren von antikommunistischer Propaganda vernagelt, und sie wählten Hitler, der sie in den Krieg führte und zu Mittätern des größten Massenmords der Menschheitsgeschichte machte. Ich war 17 Jahre alt, als ich 1943 Soldat werden musste, und verdanke es vielleicht der Verwundung durch einen russischen Granatsplitter, der mich rechtzeitig außer Gefecht setzte, dass ich den Krieg überlebt habe.
Als ich 1945 aus Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass die Deutschen sich noch einmal zu Antikommunismus und Kriegsbereitschaft verführen lassen würden. Ich war nicht der einzige Bremer Bürger, der die politische Arbeit der kommunistischen Minderheit, die den Staatsterror überlebt hatte, mit Hochachtung und Zustimmung sah. Wie gut, dass es in Bremen kämpferische Kommunisten wie Willi Meyer-Buer, Maria Krüger, Erika Ewert, Willi Hundertmark und Hermann Gautier gab, deren aufrechte politische Haltung auch von politischen Gegnern anerkannt und gern als Beweis dafür vorgezeigt wurde, dass es in den finsteren Jahren des Hitler-Faschismus auch ein anderes Deutschland gegeben hatte.
Aber die Deutschen diesseits der Zonengrenze wählten einen Bundeskanzler, der mit christlicher Garnierung die Remilitarisierung betrieb und alte Nazis in maßgebliche Positionen zu bringen wusste. Und er hat sich auch nicht geschämt, gleichzeitig ein Verbot der KPD durchzusetzen, die dieser Entwicklung im Wege stand. Ein Parteiverbot, das von der Generation, die noch kurz zuvor Hitler zugejubelt hatte, zustimmend aufgenommen wurde.
Als ich 1954 Rechtsanwalt in Bremen wurde, habe ich es nicht für möglich gehalten, dass Kommunisten wieder Strafverteidiger brauchen könnten, und ich habe mir nicht träumen lassen, dass ich zu ihrem Verteidiger werden würde. Mein Anfang in Bremen war vielversprechend gewesen, der Haus- und Grundbesitzerverein hatte mich zu seinem Hausanwalt gemacht. Aber dann wurde mir die Pflichtverteidigung eines Kommunisten zugewiesen, der weitere Mandate aus der linken Szene folgten. Und so wurde ich zum Anwalt der Opposition gegen Adenauers Politik der Remilitarisierung und der Reaktivierung alter Nazis im Staatsapparat.
Ich erlebte mit, wie Kommunisten, die schon als Widerstandskämpfer gegen das Naziregime Jahre im Zuchthaus und im Konzentrationslager verbracht hatten, erneut vor Gericht gestellt wurden, weil sie ihrer politischen Gesinnung treu geblieben waren. Und ich erlebte mit, wie das einst von den Nazis enteignete Parteihaus der KPD in der Lindenhofstraße, das der Partei nach dem Krieg als Wiedergutmachung von Nazi-Unrecht zurückgegeben worden war, erneut enteignet wurde. Ich werde nie vergessen, wie Albert Krohn und andere Genossen der KPD, die ihre Ersparnisse in die Renovierung ihres Parteihauses gesteckt hatten, verzweifelt und wütend über das ihnen zugefügte Unrecht in meinem Anwaltsbüro und vor Gericht saßen und ich ihnen vergeblich gegen die Übermacht der alten und der neuen Nazis im Staatsapparat zu helfen versuchte. Wer will, findet die Verfahrensakten im Bremer Staatsarchiv.
Es sollte auch nicht in Vergessenheit geraten, dass es wiederum Kommunisten gewesen sind, die den Anfängen einer vom Ungeist der Nazizeit beeinflussten Politik widersprochen haben, die in unseren Tagen zu globaler Herrschaft des Kapitals, zu neuer Kriegsbereitschaft und zu wachsender Massenarmut und empörender Ungerechtigkeit geführt hat. Ein Pulverturm, der Name des Kommunistenblättchens von 1932, könnte auch heute als doppelsinniges Symbol für die Zukunft der Menschheit stehen. Die historische Alternative könnte wieder soziale Revolution oder Krieg und Faschismus lauten.
Wenn der Pulverturm so oder so explodiert, wird es im bürgerlichen Lager wieder keiner vorausgesehen haben. Aber dann könnte die Zeit kommen, in der man sich der frühen Kämpfer für eine sozialistische Gesellschaftsordnung erinnert. Dann wird man sich wieder an Robert Stamm erinnern, den die Nazijustiz hinrichten ließ und dessen Namen das KPD-Parteihaus in der Lindenhofstraße trug. Und nicht nur an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und die unzähligen anderen von reaktionärem Militär und Hitlers Justizfaschisten ermordeten Kommunisten wird man sich erinnern, sondern auch an Felix Halle und die vielen anderen aufrechten Kommunisten, die von Stalins Justizterroristen verurteilt wurden. Und man wird endlich die unzähligen Justizopfer der antikommunistischen Nachkriegsjustiz der BRD rehabilitieren, von denen viele – auch einige der hier Versammelten – neben mir vor Gericht standen. Und dann wird die Stunde für nachfolgende Generationen schlagen, sich zu entscheiden, ob sie lieber in die von den Machthabern der USA und ihren globalen Mitläufern angezettelten Kriege ziehen wollen, oder ob sie den Profiteuren der Kriege und ihren Wegbereitern den Kampf ansagen wollen.
Der Text basiert auf Heinrich Hannovers Rede am 28. Mai vor dem Roten Haus im Buntentorsteinweg in Bremen.