Die Bundesregierung möchte eine zentrale Bundesfernstraßengesellschaft (BFG) errichten und damit den Bundesländern die Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen entziehen. Dazu ist eine Grundgesetzänderung notwendig, die eine Zweidrittel-Zustimmung in Bundestag und -rat braucht. Die Länder lehnen die Gesellschaft bisher ab.
Die vorgeschlagene Bundesfernstraßengesellschaft soll nach den Vorstellungen des Verkehrsministeriums eine privatrechtliche GmbH sein und zuständig für den Lebenszyklus Straße werden, das heißt gebündelt für die Aufgaben Planen (einschließlich Grunderwerb), Bauen, Betreiben, Erhalten und Finanzieren. Die vielfach auch als Autobahngesellschaft bezeichnete GmbH soll die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Ländern übernehmen, selbst Kredite aufnehmen können, die Beteiligung privaten Kapitals an Projekten ermöglichen und ohne Haftungsverbund zum Bund ausgebildet werden. Möglicherweise soll die Gesellschaft auch selbst zu 49,9 Prozent teilprivatisierbar werden.
Einbezug privaten Kapitals
Vor zwei Jahren hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine unter anderem mit Vorständen von Banken und Versicherungen besetzte Kommission unter dem Vorsitz von DIW-Chef Marcel Fratzscher einberufen. Die Kommission sollte Vorschläge »zur Stärkung der Investitionen in Deutschland« erarbeiten, heraus kam die offensive Forderung nach dem Einbezug von privatem Kapital in den Ausbau und Betrieb öffentlicher Infrastruktur. Die Autobahngesellschaft war dazu das erste und am weitesten ausformulierte Beispiel. Dieser Zusammenhang zu den Interessen der Versicherungen ist seit Sommer 2015 wieder medial in den Hintergrund gerückt (worden). Seither hebt die Bundesregierung vor allem auf die notwendige Reform der Auftragsverwaltungen ab.
Die Verkehrsminister der Länder richteten als Reaktion auf die Forderungen der Fratzscher-Kommission die Bodewig-II-Kommission ein, die sich mit dem »Bau und der Unterhaltung des Verkehrsnetzes« befasste und ihren Abschlussbericht Mitte Februar 2016 vorlegte. Mit einem 16:0-Beschluss bestätigten die Minister, die Auftragsverwaltung behalten zu wollen. Fragestellungen zur Einbindung von privatem Kapital wurden in diesem Bericht zwar nur am Rande behandelt, aber als Option nicht ausgeschlossen: »Zur Gewinnung privater Investitionen bedarf es einer Rendite. Damit erhöhen sich zwangsläufig die Finanzierungskosten für die Bereitstellung der hierüber bereitgestellten Infrastruktur. Privates Kapital kann letztendlich nur in Einzelprojekten bzw. über Konzessionsmodelle Eingang in die Gesamtfinanzierung finden.« (Bodewig-Abschlussbericht 2016)
Die Verkehrsminister der Länder stellen sich in zentralen Fragen gegen die Pläne des Bundes, schließen aber eine »zentrale Kapitalsammelstelle« nicht aus. Die Einbindung von privatem Kapital wird durch sprachliche Wendungen zwar als begrenzt beschrieben, eine später überprüfbare Grenzsetzung findet allerdings nicht statt. Es könnte somit einer entsprechenden Gesellschaft die Kreditfähigkeit gestattet und die Möglichkeit eingeräumt werden, Kapitalanlegern öffentlich-private Partnerschaftsverträge (ÖPP-Verträge, s. dazu auch Ossietzky 10/2013) anzubieten. Die Renditeerwartungen der privaten Kapitalanleger sind in jedem Falle saftig.
Es geht um Privatisierung
Kaum jemand fordert offensiv und in der Öffentlichkeit ÖPP, aber ohne ÖPP ergibt die ganze Konstruktion einer Fernstraßengesellschaft keinen Sinn. Schließt man ÖPP ganz aus, bleibt von den Reformvorschlägen wenig übrig. Dass ÖPP ein wichtiges – vermutlich das zentrale – Instrument zum Einbeziehen privaten Kapitals wird, zeigt auch die enorme Schnittmenge der Interessen von Bauindustrie und Versicherungen, die ein gemeinsames Positionspapier dazu verfasst haben.
Vor diesem Hintergrund werden vermutlich auch die Hoffnungen enttäuscht, eine deutsche Fernstraßengesellschaft könnte sich ähnlich wie die österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) eines ausgeweiteten Einsatzes von ÖPP enthalten. Die bundesdeutschen Gesellschaften, die den Prozess begleiten und institutionell umsetzen sollen, sind vor allem die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH (VIFG), die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) und die ÖPP Deutschland AG. Aller drei Gesellschaften sind extrem ÖPP-bejahend, ja teilweise wachsen ihnen Bedeutung und Aufgaben zu, wenn sich der Einsatz von ÖPP ausweitet.
Zudem ist interessant, wie die ASFINAG begründet, warum ihre 11,6 Milliarden Euro Schulden nicht als Staatsschulden gerechnet werden müssen. In einer öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestags am 13. April stellte ASFINAG-Chef Klaus Schierhackl dar, den Schulden stünden der geschätzte Wert der ASFINAG von 20 Milliarden Euro gegenüber. Damit wäre die ASFINAG pro Mitarbeiter sechseinhalb Mal mehr wert als der Technologiekonzern Apple. Vermutlich rechnete Schierhackl jedoch den Wert der österreichischen Straßen mit ein. Die Autobahnen werden also als Sicherheiten verstanden – der Einstieg in den Ausverkauf.
Der Widerstand wächst
Anfang 2016 wurde von Gewerkschaften, Privatisierungskritikern, Umwelt- und Verkehrsverbänden sowie Parlamentariern aus drei im Bundestag vertretenen Fraktionen die »Plattform gegen die Bundesfernstraßengesellschaft« gegründet. Dringendstes Ziel der Plattform ist die Verhinderung einer Grundgesetzänderung zur Ermöglichung der Gesellschaft in oben beschriebener Ausprägung. Vor dem Hintergrund einer ersten gelungenen öffentlichen Aktion der Plattform sammelten das Online-Kampagnen-Netzwerk campact und Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) über 250.000 Unterschriften und überreichten sie den Ministerpräsidenten der Länder. Die Überschrift der Petition lautete »Keine Privatisierung der Autobahnen«.
Doch der Bund hat seine Pläne noch nicht zu den Akten gelegt. Er möchte privatem Kapital einen deutlich erweiterten Zugang zur öffentlichen Infrastruktur verschaffen. Daran wird seit über zwei Jahren intensiv gearbeitet. In der Anhörung vom April erklärte Enak Ferlemann, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, dass für die Bundesfernstraßengesellschaft der Entwurf für eine Grundgesetzänderung fertig vorliege. Er war zuversichtlich, dass die Länder bis zur Sommerpause dem Vorschlag im Rahmen der Bund-Länder-Finanz-Verhandlungen zustimmen werden, etwa wenn ihnen zum Beispiel im Gegenzug mehr Geld für die Unterbringung und Integration geflüchteter Menschen angeboten werde. Ein Kuhhandel also, der eine Grundgesetzänderung im Bundesrat ermöglichen könnte.
Dabei wächst der gesellschaftliche Widerstand, eine Grundgesetzänderung zur Ermöglichung des Privatisierungsprojekts zu verhindern. Das spiegelt sich auch in den Bundesländern wider: Die Landtage in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt haben bereits Beschlüsse zum Erhalt der Auftragsverwaltung gefasst. Die Verkehrsminister der Länder haben zwar die Tür für eine »Kapitalsammelstelle« geöffnet, sich aber auch geschlossen gegen eine Grundgesetzänderung ausgesprochen. Je mehr über das Vorhaben bekannt gemacht wird, desto unwahrscheinlicher wird letztlich seine Umsetzung.
Weitere Informationen und Möglichkeit zur Unterschrift: https://www.gemeingut.org und https://www.keine-fernstrassengesellschaft.de/