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Titel1216

Bemerkungen

Erklärungsnot

Viele Politiker meinen, sie müssten das, was sie angerichtet haben, nur besser erklären, damit es gebilligt wird. Manche müssen dabei die Tatsachen Lügen strafen.

Günter Krone


Bilderwind in Weimar
Als ich neulich in Weimar spazierte, fiel mir in der Karl-Liebknecht-Straße auf, dass die Musikschule jetzt den Namen Johann Nepomuk Hummel trägt, hieß sie doch bisher, soweit erinnerlich, nach Ottmar Gerster. Nach Ursachen suchend, fand ich in der Thüringer Allgemeinen Zeitung vom 20. Februar einen Beitrag »Ottmar Gersters Name verschwand von der Musikschulwand« – nicht zu glauben, schien mir. Ein Foto widerlegte das Verschwinden. Abgebildet war der Hausmeister der Musikschule mit den abmontierten Buchstaben unter den Armen. Nichts verschwand, es wurde vorsätzlich demontiert. Musikschuldirektor Gernot Grohs verlieh schon im Oktober 2015 seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Schule der neue Name besser zu Gesicht stehe. Hummel sei schließlich Hofkapellmeister in Weimar gewesen, Gerster dagegen Opportunist und als musikalischer Vertreter des sozialistischen Realismus nicht mehr gefragt. Also: Gerster in den Müll, Hummel an die Schulwand. Kein Bildersturm, eher kleingeistiger Bilderwind wehte da. Hummels Grab befindet sich auf dem Weimarer Historischen Friedhof in der Nähe der Goethe- und Schillergruft, ein ihn ehrendes Denkmal steht seit 1895 am Sophienstiftsplatz, am Wohnhaus Marienstraße 8 befindet sich eine Gedenktafel für den Meister und eine Hummelstraße gibt es seit 1887 in der Stadt. Aber nun Hummel in der Karl-Liebknecht-Straße? Da gibt es anscheinend Nachholbedarf. Übrigens kämpft das Deutsche Nationaltheater in Weimar gerade ums Überleben, da müssen schon Prioritäten gesetzt werden.

Gerhard Hoffmann


Unsere Zustände
Die Aufgabe der heutigen Politik besteht darin, die alltäglichen Grausamkeiten, die der Kapitalismus verursacht, schönzureden.

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Humor ist in Deutschland eine derart ernste Sache, dass jeder, der lachen will, sich vorher sachkundig macht, ob auch die anderen lachen.

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Wer Halsabschneidern zujubelt, muss sich nicht wundern, wenn er einen Kopf kürzer wird.

Wolfgang Eckert


Fahnenstreit
Am 22. Mai wurde in Madrid der Copa del Rey de Fútbol ausgespielt. Im königlichen Fußballpokalfinale standen sich der FC Barcelona und der FC Sevilla gegenüber. Ein politischer Fahnenstreit überschattete das Spiel im Vorfeld. Auslöser war ein Verbot der Regierungsbeauftragten in Madrid, Concepción Dancausa, Mitglied der Partido Popular. Die Tochter von Fernado Dancausa, dem Falangisten und Gründer der Nationalstiftung Francisco Franco, verbot den Anhängern des FC Barcelona, die »katalanische Separatistenfahne« mit ins Stadion zu nehmen. Es folgte ein Sturm der Entrüstung. Der FC Barcelona legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein und erklärte, das Verbot verletze das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont und die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, sagten ihre Teilnahme am Spiel zunächst ab. Durch den Fahnenstreit kochten die Emotionen wegen der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen hoch. Viele Juristen zweifelten die Rechtmäßigkeit der Verbotsanordnung an – auch mit dem Hinweis, dass diese politische Entscheidung das Zusammenleben in Spanien nicht gerade fördere. Schließlich entschied in Madrid ein Richter, dass im Stadion die katalanische Fahne gezeigt werden darf.


Ohne Einschränkungen genehmigte die Regierungsbeauftragte Dancausa eine Demonstration der Neonazigruppe »Hogar Social Madrid« (Soziales Heim Madrid) am Vortag des Fußballspiels in der Stadt. Von der Plaza de España zogen die Teilnehmer mit der simplen Losung »Spanien verteidigen« durch die Straßen von Madrid. Keinen Erfolg hatte die Bürgermeisterin Manuela Carmena mit ihrem Verbot des Naziaufmarsches gehabt.


Zum 28. Mal gewann der FC Barcelona den Copa del Rey. Der Verein siegte gegen den FC Sevilla mit 2 : 0.

Karl-H. Walloch


 

Wertschätzung
Eine Wertegemeinschaft, von der so viel geredet wird, ist nur etwas wert, wenn alle Mitglieder nicht nur die gleiche Meinung teilen, sondern auch gleichwertig sind. Eine Wertegemeinschaft bestand auch zwischen dem absoluten Monarchen und seinem Hofnarren.

Günter Krone


Unangepasster Lesestoff
Wenn eine Bundestagsabgeordnete und linke Parteivorsitzende sich in Buchform zur derzeit in allen Medien breitgewälzten »Flüchtlingskrise« äußert, sollte man dieses Werk zur Kenntnis nehmen.


Katja Kipping nennt als erstes Flucht-ursachen: Bürgerkriege, Waffenexporte, Umweltzerstörung, rassistische Verfolgung und Hunger. Und zitiert zutreffend eine Definition der weltweiten Migration: das »Elend, das sich der Beschreibung entzieht«. Diese Definition stammt freilich aus den 1990er Jahren, wo schon einmal eine von Politik und Medien getragene Kampagne die Verschärfung des Asylrechts ermöglichte. Hinweise auf die damals tobende rassistische Gewalt sowie den Widerstand linker Gruppen und Bewegungen finden sich im Buch eher spärlich.


Leserlich und engagiert ist ein Abschnitt, der detailliert die westliche Wirtschafts- und Militärpolitik in peripheren Staaten und Regionen untersucht und die Verantwortung westlicher Industriemächte für das weltweite Elend und die permanenten Migrationswellen eindeutig nachweist.


Anliegen des Buches ist aber weniger die theoretische Analyse, vielmehr geht es um eher praktische politische Empfehlungen. Als Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung von Fluchtursachen nennt die Autorin unter anderem das Verbot besonders perfider Methoden wirtschaftlicher Plünderung, den Stopp der globalen Erwärmung, das Ende von Militarisierung und Rüstungsexporten sowie die Verstärkung der Entwicklungspolitik. Wer diese Maßnahmen durchsetzen soll, bleibt allerdings offen.


Kipping zitiert stellenweise linke Theoretiker der Gegenwart, wobei sie sich aber auch in Ungereimtheiten verwickelt. So widerspricht sie beispielsweise unter Verweis auf den US-amerikanischen Historiker Moishe Postone der Möglichkeit eines Zusammenbruchs des kapitalistischen Systems. Dass Postone in diesem Kontext eine Installation hochmilitarisierter Staaten prophezeit hat, die künftig mittels autoritär-repressiver Maßnahmen die Mehrheit der Weltbevölkerung in Schach halten sollen, wird zwar korrekt wiedergegeben, bleibt in Kippings weiteren Ausführungen aber folgenlos.


Gegen Ende des Buches propagiert die Autorin einen »Infrastruktursozialismus« sowie eine »Ökonomie der Gemeinsamkeit«, durch die öffentliche Räume kostenfrei der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden sollen. All dies wirkt zwar wenig überzeugend, ist aber immerhin ein Ansatz, über ordinäres kapitalistisches Wirtschaften hinauszudenken.


Einem Abschnitt des Buches, in dem die gegenwärtige Migrationswelle mit dem Strom von DDR-Flüchtlingen des Jahres 1989 verglichen wird, ist allerdings zu widersprechen. Die Einverleibung der DDR war ein frühes und warnendes Beispiel für den Umgang Deutschlands mit wirtschaftlich unterlegenen Regionen. Dazu findet sich bei Katja Kipping gar nichts. Sie verweist lediglich auf Ähnlichkeiten der damaligen und der jetzigen Medienkampagne gegen die in Turnhallen und anderen Notquartieren untergebrachten Neuankömmlinge und bezeichnet die Integration der DDR in die größere Bundesrepublik Deutschland als gelungenes Projekt von »Vereinigen und Teilen«. Tatsächlich war dieser Prozess von einer fast vollständigen Zerstörung der Industriekapazität des unterlegenen deutschen Staates flankiert, von dem sich der Osten Deutschlands bis heute nicht erholt hat.


Sympathisch ist der heilige Zorn der Autorin angesichts zerstörter Volkswirtschaften peripherer Staaten, ertrunkener Flüchtlingskinder und faschistoider Gewalt gegen Migranten in vergleichsweise wohlhabenden Ländern. In einem gesonderten Kapitel schildert sie ihr persönliches Engagement im Rahmen der Berliner Initiative »Moabit hilft!«. Von irgendeiner Anpassung an rechten Zeitgeist und Wählergunst ist im Buch nichts zu verspüren. Allein schon aus diesem Grunde lohnt sich die Lektüre.

Gerd Bedszent

Katja Kipping: »Wer flüchtet schon freiwillig. Die Verantwortung des Westens oder warum sich unsere Gesellschaft neu erfinden muss«, Westend Verlag, 203 Seiten, 16 €


 

Kommentar
»Nur die allerdümmsten Kälber
wählen ihren Metzger selber.«
Ein guter Satz, doch kein durchdachter,
den Bertolt Brecht da spricht.
Sie landen stets bei einem Schlachter,
die Kälber können wählen oder nicht.

Günter Krone

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse
»Arme Dagmar Reim!« klagt der Berliner Kurier in seiner Ausgabe vom 23. Mai über das Unrecht, das der in Kürze aus dem Amt scheidenden rbb-Chefin widerfahren soll. Das muss man sich mal vorstellen: Ihre monatliche Pension soll nur zwischen 12.000 und 13.000 Euro liegen! Damit gehört sie zu den Geringverdienern unter den Intendanten, andere ARD-Chefs sollen viel höhere Pensionen kassieren, von Ruheständlern in anderen Verdienstgruppen mal ganz abgesehen! Ich finde es jedenfalls anerkennenswert, dass der Kurier auch ein Herz für Benachteiligte unserer Gesellschaft spürt und sich nicht nur mit den Reichtümern und Schönheitsreparaturen von Promis herumschlägt! Vielleicht sollten wir in einer Zeit, in der Fördervereine als eine Art soziales Gewissen der Nation fast täglich aus dem Boden schießen, auch an einen DAGMAR-FÖRDER-VeREIM
e. V. denken! – Wanda Federkiel (56), Vor-Pensionärin, 07955 Wenigenauma

Wolfgang Helfritsch