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Abschreckung, Abschottung, Abschiebung  (Ulla Jelpke)

»Für die nächsten Monate ist das Wichtigste Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung«, stellte Bundeskanzlerin Merkel im September 2016 das nun wirklich nicht neue Paradigma der deutschen Asylpolitik heraus. Seit dem sogenannten Asylkompromiss und der damit verbundenen faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl im Jahr 1993 beherrscht der Dreiklang aus Abschreckung, Abschottung, Abschiebung die Situation von Schutzsuchenden, die sich auf den Weg nach Europa beziehungsweise Deutschland machen. Eine Verschärfung im Asylrecht jagt die nächste. Daran ändert auch die von Regierungsseite im Jahr 2015 proklamierte Willkommenskultur nichts – auf asylrechtspolitischer Ebene erleben wir keine offenen Arme oder gar Integration, sondern eine regelrechte Anti-Asylpolitik.

 

Schon im Koalitionsvertrag vereinbarten die Unionsparteien und die SPD, die Balkanstaaten Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Mazedonien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Sie behaupteten, durch diese im November 2014 umgesetzte Regelung werde einem angeblichen Asylmissbrauch durch »Armutsflüchtlinge« entgegengewirkt. Auf einmal war Flüchtling nicht mehr gleich Flüchtling – es begann eine diskriminierende Aufspaltung Schutzsuchender in »richtige« und »falsche« Flüchtlinge.

 

Als Ergebnis der Fluchtbewegung im Rahmen des Syrienkrieges stieg ab Frühjahr 2015 die Zahl der in Deutschland neuankommenden Flüchtlinge sprunghaft an. Doch die Bundesregierung blieb untätig. Sie kümmerte sich weder um den Ausbau von Erstaufnahmeeinrichtungen noch um den Personalnotstand im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder die dringend überfällige dauerhafte und strukturelle finanzielle Unterstützung der Bundesländer bei der Erstaufnahme und Versorgung der Schutzsuchenden. Flüchtlingsgipfel um Flüchtlingsgipfel verstrich ohne konkrete Beschlüsse und Zusagen, ohne Konzepte zur Aufnahme und Integration.

 

Als sich im September verzweifelte Flüchtlinge in Ungarn an den Bahnhöfen stauten, ließ Angela Merkel sie nach Abstimmung mit Österreich über Wien einreisen. Viele sprachen von einer »Willkommenskultur« und feierten das freundliche Gesicht Deutschlands in der europäischen Flüchtlingspolitik. Doch dieses Gesicht entpuppte sich als janusköpfig. Denn während viele ehrenamtlich Engagierte sich tatsächlich unermüdlich für eine humanitäre Aufnahme der Schutzsuchenden einsetzen, wurde auf politischer Ebene längst an weiteren Verschärfungen des Asylrechts und Abschottungsmöglichkeiten gefeilt. Rechtspopulisten, Nazis und sogenannte »besorgte Bürger« nahmen die ansteigenden Flüchtlingszahlen zum Anlass für rechte Hetze. Aussagen einiger politisch Verantwortlicher schürten weitere Ressentiments gegen Flüchtlinge. »Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt«, propagierte etwa der bayerische Regierungschef Horst Seehofer vor Tausenden CSU-Anhängern im Februar 2016. Es folgte ein Stakkato flüchtlingsfeindlicher Gesetze, die mittlerweile Bücher füllen. Daher können hier nur einige Beispiele exemplarisch herausgestellt werden.

 

Mit den Asylpaketen I und II im September 2015 und März 2016 sowie dem Gesetz »zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« im Mai 2017 ist nichts mehr vom »freundlichen Gesicht« Deutschlands zu erkennen, das in der Presse so viel zitiert wurde. Vielmehr manifestiert sich darin die zunehmende Aufspaltung von Flüchtlingsgruppen in »gute« und »schlechte« Flüchtlinge.

 

Im Asylpaket I wurde unter anderem der gesamte Westbalkan zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Den betroffenen Flüchtlingen wird das Recht auf Asyl praktisch aberkannt. Sie trifft eine Art »Beweislastumkehr«. Im Asylverfahren wird zunächst unterstellt, sie seien in ihren Herkunftsländern sicher und hätten daher keinen Anspruch auf Asyl. Dies müssen die Schutzsuchenden erst einmal widerlegen. Gerade Roma, die massiv ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt werden, trifft das schwer. Die von der Regierungskoalition beschlossene Ausdehnung der sicheren Herkunftsstaaten auf die Maghrebstaaten, in denen willkürliche Inhaftierungen und Folter an Oppositionellen sowie grausame Verfolgung von Homo-sexuellen gängig ist, scheiterte bislang an der Zustimmung des Bundesrates.

 

Einen besonders schweren Einschnitt im Rahmen des Asylpakets II stellte die zweijährige Aussetzung des Familiennachzuges für subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge dar. Während die SPD sich von der Union einreden ließ, diese Aussetzung betreffe ja »nur« 100 syrische Flüchtlinge pro Jahr, schnellte diese Zahl bis heute auf 150.000 hoch. Durch die Aussetzung des Familiennachzuges wurde zahlreichen Frauen und Kindern die einzige legale Möglichkeit genommen, ihren Angehörigen nach Deutschland nachzukommen. Innenminister de Maizière sprach von »harten Bildern, die wir jetzt aushalten müssen«. Die Grausamkeit der geltenden Regelungen zeigt der Fall von Salah J. aus Syrien. Um nicht als Soldat gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt zu werden, floh er im Frühling 2015 nach Deutschland. Salah J. musste seine Frau und seine beiden kleinen Kinder in der Türkei zurücklassen. Er wollte ihnen die gefährliche Reise ersparen. In Deutschland erhielt er nach 24 Monaten lediglich einen subsidiären Schutzstatus und durfte seine Familie nicht nachholen. Nach zwei Jahren Trennung und Not machte sich seine Frau Susan mit den Kindern auf den Weg über die Ägäis. Doch das Schlauchboot kenterte am 24. März 2017 vor der türkischen Küste, alle drei kamen ums Leben. Für minderjährige Flüchtlinge über 15 Jahre bedeutet die Aussetzung in der Praxis, dass sie ihre Familien voraussichtlich gar nicht mehr zu sich holen können werden. Denn abgesehen von den zwei Jahren Aussetzungsfrist kommt danach noch eine rund einjährige Wartefrist auf einen Termin zur Visabeantragung an den deutschen Auslandsvertretungen hinzu. Bis alle formellen Voraussetzungen für den Familiennachzug gegeben sind, vergehen gut und gerne drei Jahre. Dann sind die Betroffenen volljährig und verlieren den Anspruch, ihre Eltern nachzuholen. Mittlerweile macht die Union sogar Stimmung mit der Fortsetzung der Aussetzung des Familiennachzugs über März 2018 hinaus.

 

Weitere Gesetzespakete folgten. Nur einige der beschlossenen Regelungen seien hier genannt: Bis zu zwei Jahren Abschiebehaft für angebliche Gefährder – also für ohne Gerichtsbeschluss von der Polizei zur Begehung schwerer Straftaten für fähig gehaltene Personen – mit Flüchtlingsstatus; standardisierte Mobiltelefondurchsuchung bei Flüchtlingen ohne Pass; Ausländerbehörden sollen die Möglichkeit haben, Vaterschaftsanerkennungen, die zu einem Aufenthaltstitel führen können, zu verweigern – ein Widerspruch dagegen hat keine aufschiebende Wirkung. Die »Abschiebung ohne Ankündigung« versetzt Schutzsuchende in einen permanenten Alarmzustand. Ein Ankommen und eine Heilung der Traumata von Krieg und Flucht sind offensichtlich nicht erwünscht – es geht einzig und allein um Abschrecken, Zermürben und Abschieben.

 

Die Asylpolitik der Bundesregierung lässt sich wie folgt umreißen. Es werden Ausnahme- und Überforderungszustände suggeriert – oder sogar provoziert – um einen immer härter werdenden Kurs in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu rechtfertigen. Flüchtlinge und andere, vornehmlich sozial schwache Bevölkerungsgruppen werden gegeneinander ausgespielt. Angeblich reichen Geld, Wohnraum und vergleichbare Ressourcen nicht für alle. Dabei fehlt es objektiv nicht an Geld oder möglichen Kapazitäten, sondern nur am politischen Willen. Viele soziale Missstände wurden durch eine langjährige Sparpolitik der Bundesregierung hervorgerufen, wie etwa der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, an Personal in Behörden oder Kita-Plätzen. Nun müssen die Flüchtlinge als Sündenböcke herhalten.

Die Bundesregierung heizt die Stimmung in der Bevölkerung gegen Flüchtlinge dadurch noch an, dass sie mit falschen Zahlen operiert, um ihre flüchtlingsfeindlichen Gesetze durchzudrücken. Mit Kleinen Anfragen konnte ich mehr als einmal feststellen, dass die Bundesregierung die Zahl der Ausreisepflichtigen beispielsweise gnadenlos überhöht angibt. So entsteht eine furchtbare Dialektik: Einerseits biedert sich die Bundesregierung dem Pegida- und AfD-Spektrum an, um rechte Wähler durch einen immer flüchtlingsfeindlicheren Kurs zurückzugewinnen. Andererseits stärkt sie diese Gruppen, indem sie selbst durch Falschmeldungen und Alarmismus vor allem aus den Reihen der Union den Forderungen der völkischen Rechten einen Anschein von Legitimität gibt.