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Das Jahr 1968 in den USA  (Victor Grossman)

Für Schlagzeilen bot das Jahr 1968 in den USA mehr als genug Stoff!

 

Jahrelang schon dauerte das Morden in Vietnam. Gegen den Krieg waren zunächst meist Jugendliche – von den Medien ignoriert oder als radikale Hippies oder Gammler verschrien. Am 30. Januar 1968 begann die Tet-Offensive: 85.000 nordvietnamesische Kämpfer attackierten fünf große Städte und 34 Provinzen Südvietnams, sogar die US-Botschaft in Saigon. Gegen eine halbe Million US-amerikanische plus weitere südvietnamesische Soldaten waren ihre Siege kurzlebig und die Verluste schwer, doch bewiesen sie: Alle Versprechen aus Washington, das Licht am Ende des Tunnels sei gut sichtbar und der Sieg nahe, waren Lügen. Als weitere 200.000 US-Soldaten nach Vietnam geschickt werden sollten, lehnte schon die Hälfte der US-Bevölkerung das Weiterkämpfen ab.

 

Präsident Lyndon Johnson, der in seinen ersten Amtsjahren mit Gesetzen gegen Rassismus gepunktet, dann mit der Lüge über einen nordvietnamesischen Angriff im Golf von Tonkin viele patriotisch aufgeputscht hatte, verlor nun rapide an Popularität.

 

Ein Lied wurde zum Symbol. Zunächst wegzensiert, konnte Pete Seeger am 26. Februar sein »Waist Deep In The Big Muddy« schließlich doch im Fernsehen singen. Der Song handelt davon, wie ein Hauptmann bei Übungen seine Einheit durch einen Fluss führen wollte. Das endete tödlich – für ihn; die Soldaten konnten sich gerade noch retten. Der Refrain »Der große Idiot sagt: ›Weitermachen‹.« war unzweideutig auf Johnson gemünzt.

 

Bei der folgenden Vorwahl in New Hampshire für den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten erreichte der milde Senator Eugene McCarthy aus Minnesota (nicht mit dem Kommunistenfresser Joseph McCarthy verwandt) überraschend 42 Prozent, fast so viel wie sein Parteikollege Johnson und ein harter Schlag für diesen. McCarthys Hauptforderung war die Beendigung des Krieges.

 

Beherzigte Robert Kennedy, John F. Kennedys Bruder, bis dahin kaum als Kriegsgegner aufgetreten, den Bob-Dylan-Text »You don't need a weatherman to know which way the wind blows« (Man muss kein Meteorologe sein, um zu wissen, woher der Wind weht)? Zwei Wochen nach McCarthys Achtungserfolg wurde auch er Kriegsgegner und ein charismatischer Opponent.

 

Ob Johnson Lieder mochte, ist unbekannt, doch er wusste, woher der Wind weht. Angesichts gedämpfter Aussichten in Vietnam, seiner sinkenden Wahlchancen und der Wirtschaftsflaute im eigenen Land zog er zum weltweiten Erstaunen seine Kandidatur zur Wiederwahl zurück. Wer sollte nun von den Demokraten gegen den erzreaktionären und als schlitzohrig bekannten Republikaner Richard Nixon (»Tricky Dick«) antreten? Johnson favorisierte Vizepräsident Hubert H. Humphrey, der kaum Ausstrahlung besaß, nur selten in Erscheinung trat – nie gegen den Krieg. Der lächelnde, jugendliche, redegewandte Kennedy rückte weiter ins Rampenlicht gegen McCarthy.

 

*

 

Doch 1968 war nicht allein durch den Wahlkampf geprägt. Nach der Ermordung des kämpferischen Malcolm X im Jahr 1965 spitzte sich die Situation der schwarzen Amerikaner in den Ghettos des Nordens weiter zu. Die junge Black-Panther-Partei wurde stärker – beliebter unter Schwarzen und verhasster beim FBI und seinem Chef, J. Edgar Hoover.

 

Noch mehr fürchtete Hoover allerdings den wichtigsten Führer der Afroamerikaner, Martin Luther King. Zunächst enger mit dem Weißen Haus liiert und daher von Radikaleren als Versöhnler geschmäht, wurde King seit seiner »Ich hatte einen Traum«-Rede immer kämpferischer. Erst recht, nachdem er Bilder vom Morden in Vietnam gesehen hatte, insbesondere von getöteten Kindern (im US-Fernsehen waren es die ersten bewegten, bewegenden Kriegsbilder überhaupt), nahm er eine starke Widerstandsposition ein: »Und ich wusste, dass ich niemals wieder meine Stimme gegen Gewalttaten der Unterdrückten in den Ghettos erheben könnte, bevor ich nicht zuerst und eindeutig über den größten Gewalttäter in der heutigen Welt gesprochen hätte, und das ist meine eigene Regierung. Um … der Hunderttausenden willen, die unter unseren Gewaltakten zittern, kann ich nicht schweigen …« (zitiert nach: www.lebenshaus-alb.de/magazin/001713.html)

 

Solche Worte nahmen Politiker und Medien sehr übel; auch Führer schwarzer Institutionen sollten lieber nicht gegen den Krieg sprechen. Das »lenke nur ab«.

 

King schwieg aber nicht. Für den Mai plante er eine Resurrection City (Stadt der Auferweckung) mit Zelten und Bretterbuden vor dem Kongressgebäude in Washington. 10.000 Arme aus dem ganzen Land, Schwarze aus den Ghettos, mies bezahlte Latinos, weiße Tagelöhner, auch Indianer, sollten gemeinsam eine neue Politik fordern. Für manche aus dem Establishment galt das als höchst gefährlich!

 

Es bewegte sich viel, mancher Abfall aber nicht! New Yorks Müllarbeiter streikten vom 2. bis 10. Februar. Als 100.000 Tonnen Müll die Straßen verstopften, erkämpften sie bessere Löhne und Arbeitsbedingungen – ein Novum! Das steckte an! Nachdem zwei Müllarbeiter in Memphis zu Tode gequetscht worden waren (sie hatten im Müllwagen Schutz vor dem Regen gesucht, weil sie als Schwarze anderswo nicht geduldet wurden), streikten auch dort die Müllarbeiter und baten Dr. King um Unterstützung. Überzeugt von der Bedeutung von Arbeitskämpfen unterbrach er seine Arbeit in Washington, führte zwei Protestmärsche in Memphis an und hielt eine seiner großartigsten, bewegendsten Reden. Am nächsten Tag, dem 4. April 1968, wurde er erschossen. Wer dahintersteckte, wurde nie aufgeklärt. Aber man weiß, dass das FBI in einem anonymen Brief King aufgefordert hatte, sich selbst das Leben zu nehmen. Es folgten schwere Tumulte in mehr als 100 Städten, etwa 40 Menschen starben. In Washington brannte es in vielen Straßenzügen bei wütenden Protesten.

 

Das Jahr blieb blutig. Fast sämtliche Jugendliche der DDR sahen später in der deutschen Version des US-Films »Blutige Erdbeeren«, wie protestierende Studenten, welche Gebäude der Columbia University besetzt hatten, von der Polizei mit äußerster Gewalt herausgeholt wurden.

 

Derweil ging 1968 der Kampf in der Demokratischen Partei weiter. Als Robert Kennedy im großen Kalifornien siegte, schien ihm die Nominierung sicher. Beim Feiern des Sieges, also auf dem halben Weg ins Weiße Haus, wurde auch er erschossen. Der Mord bleibt bis heute genauso mysteriös wie die Ermordung von Martin Luther King.

 

Noch ein Symbol: Die schwarzen olympischen Medaillensieger, John Carlos und Tommy Smith, streckten bei der Siegerehrung die schwarzbehandschuhte Faust nach oben – gegen den Rassismus. Das Olympische Komitee der USA forderte sie auf, das Olympische Dorf zu verlassen.

 

Im August mussten die Demokraten über ihren Kandidaten entscheiden, und die Gewalt ging weiter. Tausende junge Kriegsgegner demonstrierten in Chicago – für McCarthy. Doch die Macht des Staates und der Stadt lag bei den Humphrey-Anhängern, fast wie bei Hillary Clinton gegen Bernie Sanders. 24.000 Polizisten und Soldaten trieben mit Stöcken und Tränengas die Demonstranten durch die Stadt, die wütend skandierten: »Die ganze Welt schaut zu.«

 

Der laue Humphrey wurde also Kandidat. Im Wahlkampf unterlag er dem Rassisten Nixon, der mit Hilfe von Henry Kissinger den Krieg noch sieben Jahre weiterführte. 1968 war ein hartes, blutiges Jahr!